Die Versicherungskammer Kulturstiftung feiert den 100. Geburtstag der großartigen Magnum-Fotografin Inge Morath.

Inge Morath

»Man traut seinem Auge und entblößt seine Seele«

inge morath

»MEXICO. Durango. Audrey Hepburn mit ihrem Hund Mr. Famous am Filmset von ›The Unforgiven‹« | 1959

Clark Gable in Reno: Er wirft, bei einem Schnappschuss auf der Straße, seinen unnachahmlichen Blick zur Seite. Auf einem anderen Foto sitzt er mit Marilyn Monroe am Tisch beim Kaffee. Bei den Dreharbeiten zu »The Misfits« steht die Schauspielerin etwas verloren im Grünen. Intensiv tanzt sie mit ihrem Filmpartner Eli Walach. Inge Morath war als Setfotografin 1960 nach Reno gereist, zu den Dreharbeiten von John Hustons Film, der zugleich Gables und Monroes letzter Film sein würde. Ein faszinierendes Kapitel in der großen und großartigen Werkschau von Inge Morath. Auch wenn im Film gespielt, das Tanzen geprobt wird – es sind Bilder voller Leben.

Eine Aufnahme zeigt Marylin am Ende eines Drehtages, beim Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers, und den Blick eines Mannes mit Zigarette auf die Szene: Arthur Miller, der Autor des Drehbuchs und Marilyns Mann. Während dieser Dreharbeiten ging die Ehe in die Brüche – und 1962 heirateten der weltberühmte Dramatiker und die Fotografin. Seither begleitete sie Miller auch auf Auslandsreisen, nach China und Russland. Auf der eindrucksvollen Aufnahme der Primaballerina Maja Plissetskaja in der Garderobe am Bolschoi ist im Spiegel das Gesicht von Miller zu sehen.

Zur Fotografie fand Inge Morath durch die Münchner Zeitschrift »Heute«, wie sie in ihrem Lebensbericht erzählt – der Film ist in der Ausstellung des Kunstfoyers der Versicherungskammer zu sehen, der Text im opulenten Buch zur Ausstellung nachzulesen. Die 1923 in Graz geborene Tochter eines Naturwissenschaftler-Ehepaars arbeitete nach dem Krieg in Wien als Journalistin und bei der Suche nach Fotos zu Reportagen und Texten für »Heute« beschäftigte sie sich erstmals intensiv mit dem Medium, zusammen mit dem Fotografen Ernst Haas. Beide gingen nach Paris zur Fotografenagentur Magnum, wo Morath Texte zu den Bildern der Mitglieder schrieb.

Ihre ersten eigenen Fotos dann machte sie 1951 mit der einst von der Mutter im Labor für Mikroskopaufnahmen verwendeten Contax: im Urlaub, in Venedig. Nachdem sie bei zauberhaftem Regenwetter vergeblich einen Fotografen für einen Essay über die »aus dem Wasser geborene Stadt« angefordert hatte, griff sie selbst zur Kamera, »wartete, bis sich Menschen, Säulen, Fenster und Tauben in dem Rhythmus befanden, den ich auf einem Photo für gut befunden hätte, und drückte auf den Auslöser. Es war mir sofort klar, dass ich von nun an Photographin sein würde; ich hatte endlich meine Sprache gefunden. […] Ich ging ins Hotel zurück und übte, ohne Photoapparat, mit einem geschlossenen und einem offenen, auf die Straße gerichteten Auge, wann ich auf den Auslöser drücken würde.« Von den drei Filmen, die sie in Venedig verknipste, ist kein Bild in der Ausstellung zu sehen, aber viele Motive ihres Œuvres erweisen Moraths Sensibilität für Atmosphä- ren: der von der Sonne erhellte und von Möwen durchschwirrte Nebel über einer Themsebrücke, Schatten- und Lichtspiele in New York und der Dunst bei der Besichtigung der Skyline von ganz oben.

inge morath

»USA. Reno, NV. Marilyn Monroe am Filmset von ›The Misfits‹« | 1960 © Inge Morath / Magnum Photos / courtesy CLAIRbyKahn (2)

Als Fotografin ins Geschäft zu kommen lernte sie in London in der Agentur Report von Simon Guttmann. Und kaufte sich ihre erste Leica. Nach dem Ende ihrer kurzen Ehe mit einem britischen Journalisten ging sie zurück nach Paris, machte eine Reportage über Arbeiterpriester und konnte sich mit Hilfe von Frank Capa bei Magnum etablieren. Für einen Auftrag über die Dreharbeiten von John Hustons »Moulin Rouge« fotografierte sie 1952 erstmals am Filmset; und sie begleitete den genialen Henri Cartier-Bresson bei seinen Reportagereisen. Ein Bild zeigt den Meister des entscheidenden Augenblicks, wie er 1953 auf der Münchner Maximilianstraße Diapositive prüfend gegen das Licht hält. Ab Mitte der 50er Jahre war Morath dann – sie und Eve Arnold als damals einzige weibliche Mitglieder der Magnum-Kooperative – für eigene Aufträge weltweit unterwegs. Sie porträtierte Prominente wie die Millionenerbin und Schauspielerin Gloria Vanderbilt oder den Dichter Jaques Prevert auf dem Montmartre. Beobachtete Schauspieler:innen am Filmset wie Audrey Hepburn, Ingrid Bergmann, Anthony Perkins und die junge Christine Kaufmann. Fotografierte berühmte Künstler:innen im Atelier wie Alberto Giacometti, Louise Bourgeois und Alexander Calder. Oder Yves Saint-Laurent beim konzentrierten Skizzieren vor seiner ersten Modenschau bei Dior. Und Igor Strawinsky 1959 beim Blick auf die Uhr, auf dem Weg ins Aufnahmestudio der Columbia Records. Natürlich auch ihren Mann Arthur oder ihre Tochter Rebecca Miller. Mit dem Zeichner Saul Steinberg realisierte sie eine Serie mit Papiertüten-Köpfen.

Ihre Aufnahmen aus dem Alltag zeigen kleine Abenteuer: Schaufenster, Ladenfassaden und Straßenszenen. Denn sie fängt konzentriert und wie spielerisch wundersame Momente ein. Wobei sie sich für ihre Reportagethemen und Reisen gut vorbereitete, um dann offen-aufrichtig eine intime Verbindung zum Ort der Aufnahme und zu den Menschen herzustellen. Jahrelang beispielsweise lernte sie Chinesisch und Russisch, bevor sie die Länder besuchte. Die renommiertesten Magazine druckten ihre Bilder, Morath sammelte ihre Arbeiten in wunderbaren Bildbänden. Ihr Werk wurde seit den 80er Jahren in Ausstellungen gewürdigt und nach ihrem Tod 2002 durch eine von der Familie gegründete Stiftung gepflegt.

In der Ausstellung – und im Buch – sehen wir die vitale und herzliche Fotografin auch in einem Selbstporträt und bei der Arbeit von Kollegen abgelichtet: wenn sie für ihr DonauProjekt auf einer Leitplanke balanciert oder mit John Huston tanzt oder in Manhattan Linda, das Lama, das als Fotomodel und fürs Fernsehen arbeitet, auf seinem Heimweg im Auto mitbetreut. Dass zwei Fotografen – gleichzeitig, am selben Ort – nie das gleiche, sondern stets etwas Individuelles fotografieren würden, erklärte Morath 1999 so: »Die persönliche Sicht ist eigentlich immer von Anfang an da: Resultat irgendeiner Alchemie von Herkunft, Gefühl, Tradition und ihrer Ablehnung, Sensibilität und Voyeurismus. Man traut seinem Auge und entblößt seine Seele.« ||

INGE MORATH. HOMMAGE
Kunstfoyer Versicherungskammer Kulturstiftung | Maximilianstr. 53 | bis 13. März
täglich 9.30–18.45 Uhr | Eintritt frei, Zutritt nur mit Online-Reservierung: www.versicherungskammer-kulturstiftung.de | Das gleichnamige,
zweisprachige Katalogbuch, hrsg. von Isabel Siben und Anna-Patricia Kahn, (Schirmer/Mosel, 296 S., 212 Tafeln) kostet in der Ausstellung 50 Euro

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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