Park Chan-wooks neues Werk »Die Frau im Nebel« bewegt sich auf verschlungenen Pfaden zwischen Mord und Liebe. Hier gibt es vorab die Kritik aus der aktuellen Ausgabe!
Die Frau im Nebel
Observation, Faszination, Obsession
Ein wenig bekannt kommt einem das schon vor: eine mysteriöse Femme fatale, ein Cop, dem sie zur verführerischen Gefahr wird und natürlich ein Verbrechen, das beide in einen Strudel hinabreißt. Da denkt man gleich an Hitchcocks »Vertigo«, allerdings auch an unzählige weitere Noir-Stoffe, die man nicht auseinanderhalten kann und wahrscheinlich auch gar nicht gesehen hat. Und so etwas sieht man nun in »Die Frau im Nebel«, dem neuen Werk von Park Chan-wook? Immerhin ist er doch einer der Regisseure, der der Welt um die Jahrtausendwende bewies, wie innovativ das Kino Südkoreas sein kann. Kommen nun die Abgründe von vorgestern? Schon in den ersten Minuten wird man von einer solchen Vorahnungg eheilt. Die besondere Atmosphäre, mit der der Kultregisseur seine Geschichte erzählt – leicht schwebend und sinister zugleich –, zieht einen sofort ins Geschehen.
Und da hat man es erst einmal mit einem tödlichen Unfallzu tun. Zumindest sieht es danach aus. Ein pensionierter Herr, früher bei der Einwanderungsbehörde tätig, jetzt passionierter Kletterer, stürzt bei seiner Leidenschaft in den Tod. Für den Ermittler Jang Hae-joon (Park Hae-il) stehen die Zeichen jedoch nicht so eindeutig auf Unfall. Vor allem nachdem er die junge Frau des Verstorbenen kennenlernt. Song Seo-rae (Tang Wei), eine Exilchinesin, scheint über das Ableben ihres Mannes nicht gerade bestürzt zu sein. Im Gegenteil eher erleichtert, nicht zuletzt weil dieser auch seine besitzergreifenden Züge hatte. Die perfekte Gelegenheit für Hae-joon, um seinem Steckenpferd zu frönen: dem Observieren.
Hier sind wir auch schon beim nächsten großen Highlight von »Die Frau im Nebel«: den Figuren. Seo-raes Verhalten wechselt locker zwischen unschuldig und verdächtig, mitunter driftet es auch ins komplett Rätselhafte. Ihr Gegenpart ist dabei nicht viel einfacher zu entschlüsseln. Dass seine Beobachtungslust aus chronischer Schlaflosigkeit resultiert, wird sehr schnell offensichtlich. Aber fließt da nicht noch etwas anderes mit ein? Dieser Mann will einen Mord aufklären, nebensächlich, ob überhaupt einer geschehen ist. Doch dann treibt ihn das observierte Subjekt plötzlich ganz anders um, sodass auch das Bild seiner perfekten Fernbeziehung Risse bekommt. Natürlich ahnt man auch ohne Inhaltsangabe, dass sich die zwei früher oder später näherkommen. Doch was sich wirklich daraus entwickelt, bleibt verschwommen wie der ganze Rest des Films. Wer hier wen für was benutzt und welche echten Gefühle hochkochen, genaue Antworten bleiben verborgen.
Und selbst als sich der Nebel in der zweiten Hälfte ein Stück weit klärt, sind die Umrisse nicht so scharf, wie sie scheinen. Wer Park Chan-wook vor allem von seinen wilden Racheepen wie »Oldboy« oder »Lady Vengeance« kennt, wird bei »Die Frau im Nebel« wahrscheinlich verdutzt sein. Die Reißerszenen halten sich in Grenzen, beim Erzählen herrschen ruhige Töne vor. Ähnlich wie beim Vorgänger »Die Taschendiebin« ist der Regisseur eher am raffinierten Erzählen der Geschichte interessiert. Nur dass hier eine von Melancholie gezeichnete
Atmosphäre hinzukommt, vor der die Thrillerelemente zunehmend in den Hintergrund treten und der Melodramatik Platz machen.
So behält der Film vielleicht nicht seine Spannung für die komplette Laufzeit bei, doch Schmerz, Glück und Verlangen der Figuren geleiten einen so sicher durch die Handlung, dass man ohne großen Aufmerksamkeitsverlust bis zum sprachlos machenden Finale kommt. Dazwischen mischt sich immer wieder fremdartige Symbolik, von der sich vor allem die Großaufnahmen von Händen und Augen einprägen. Park Chanwook geht über einen Tribut an Noir-Versatzstücke deutlich hinaus. Er vermeidet die reine Schaulust am menschlichen Abgrund und setzt seine Charaktere als komplexe Persönlichkeiten in Szene. Das reichert er an mit einer Stimmung, die man nur als nebulös bezeichnen kann. Kurz gesagt: Bei der »Frau im Nebel« kann um einiges mehr aufgedeckt werden als nur ein Kriminalfall. ||
DIE FRAU IM NEBEL
Südkorea 2022 | Regie: Park Chan-wook | Buch: Park Chanwook, Jeong Seo-Gyeong | Mit: Tang Wei, Park Hae-il, Jung-hyun Lee | 138 Minuten | Spielfilm | Kinostart: 2. Februar | Website
Weitere Filmkritiken gibt es ab dem 4. Februar in der neuen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
The Zone of Interest: Der neue Film von Jonathan Glazer
»Mind The Brain!« - Eine VR-Installation in München
Sun Children: Der neue Film von Majid Majidi
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton