Die Ausstellung »Neues Licht aus Pompeji« widmet sich der Technik, Ästhetik und Atmosphäre des römischen Kunstlichts.
Neues Licht aus Pompeji
Licht aus der Vergangenheit
Mit der Erfindung der Glühbirne wurde die Nacht zum Tag: Von Ende des 19. Jahrhunderts an konnten Innenräume auch bei Dunkelheit besser genutzt werden, die Arbeitszeit ließ sich unbegrenzt verlängern und das Nachtleben in den Städten erblühte. Je mehr die Elektrifizierung voranschritt, umso mehr passte sich auch die Lichtsensibilität der Menschen der zunehmenden Helligkeit an: Wurden Leuchtkörper von höchstens 25 Watt anfangs noch als gleißend hell empfunden, trat im Lauf der Jahrzehnte ein physiologischer Gewöhnungseffekt ein. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute künstliches Licht in unseren Städten und Innenräumen wahrnehmen, lässt uns vergessen, wie es in den vielen Jahrhunderten zuvor war, als nur Feuer, Kerze, Kienspan, Fackel und Öllampe ein wenig Licht ins Dunkel brachten. Zwar ist uns der Hang zu Kaminfeuer und Kerzenlicht als archaisches Überbleibsel erhalten geblieben, aber als ausschließliche Beleuchtung? Die Möglichkeit, dank schattenloser LEDLampen Tageslicht zu simulieren, Leuchten nach Belieben zu dimmen oder zu fokussieren und jede gewünschte Lichtstimmung zu erzeugen, macht das Licht – eine besondere Materie – heute zu einer frei verfügbaren Jongliermasse, dessen Funktion und Atmosphäre uns wichtig sind, dessen eigentliche Qualität wir aber nicht mehr zu schätzen wissen.
Das war in römischer Zeit noch anders. Die Sonderausstellung »Neues Licht aus Pompeji« könnte unser Lichtbewusstsein wieder schärfen. So gibt es am Ende des Rundgangs einen Raum, in dem man drei verschiedene Lichtszenarien erproben kann. Wie zu erwarten punktet das Flammenlicht der Antike gegenüber dem Kunstlicht des 20. und 21. Jahrhunderts durch seine Lebendigkeit und seine mysteriöse Schattenwirkung, da es »Geist und Körper stimuliert und unsere Sinne erregt«, während die funktionale LED-Lichtdecke unserer Tage »Form und Volumen und die Bedeutung aller Dinge und Menschen minimiert«, wie es auf der Begleittafel heißt. Dafür waren die pompejianischen Leuchtkörper für unsere Sehgewohnheiten aber auch extrem dunkel. Für die Menschen der Römerzeit jedoch waren sie mehr als nur Lichtquelle, nämlich ikonografisch lesbare skulpturale Objekte. Die 180 Bronzeoriginale aus der durch den Vesuv im Jahr 79 n. Chr. verschütteten Region Pompeji, die in der Ausstellung zu sehen sind, lassen einen staunen über den Einfallsreichtum und das hohe künstlerische wie handwerkliche Können dieser antiken Lampendesigner. Von handlichen Öllämpchen über Fackelhalter, figürlich gestaltete Kandelaber bis hin zu hochstieligen Lampenständern – die Objekte zeigen einen ausgeprägten und raffinierten Gestaltungswillen. Anscheinend bündelte sich in Pompeji das Know-how in besonderem Maße, denn nirgends erwiesen sich die Funde an Beleuchtungskörpern als so zahlreich und bedeutsam wie am Vesuv.
Die faszinierende Ausstellung zur Technik, Ästhetik und Atmosphäre des römischen Kunstlichts ist Ergebnis eines interdisziplinären Forschungsprojekts der LMU. Für die erste Präsentation dieser Art wurden nicht nur bekannte Funde aus den Museen zusammengetragen, sondern auch unbekannte Objekte aus den Depots des Archäologischen Nationalmuseums in Neapel, die seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr oder noch nie ausgestellt waren und teilweise eigens restauriert wurden. Die Ausstellung – begleitet von einem aufwändig gestalteten Katalog – dokumentiert zahlreiche neue Erkenntnisse, die die umfassenden archäologischen Recherchen auch zur Lebensweise der Bewohner von Pompeji ergaben: welche Bedeutung dieser so kreative Umgang mit Lichtkunst für das alltägliche Leben, für die Gemeinschaft, für Feste, kultische Rituale, für das Liebesleben hatte, die wiederum in die Gestaltung der Lichtinstrumente einfloss. So gab es »Spaßlampen« in Form von Lebensmitteln und essbaren Tieren – Schnecken-, Vögel- und Fischlampen –, die die Speisen illuminierten oder als Gastgeschenk dienten. Exzessive Gelage wurden durch Lampen mit dionysischen Szenerien, Liebesspiele mit erotischen Motiven befeuert und religiöse Zusammenkünfte mit sakral anmutenden Leuchten begleitet. So könnte der bronzene Eichenbaum, der Hängelampen in seinen Ästen trägt, der Verehrung der Eiche als heiligem Baum entsprechend, ein sakrales Gerät gewesen sein.
Die züngelnde Flamme der Öllampen brachte nicht nur die Bronze zum Leuchten, sondern erweckte auch die jeweiligen Motive als bewegter Schattenwurf an den Wänden zum Leben. Zu den großartigsten Fundstü- cken zählen die Epheben, hohe Bronzestatuen junger Männer, die Öllampenhalter trugen, wodurch Oberkörper und Gesicht in einem faszinierenden Unterlicht erschienen.
In der Ausstellung beleben verschiedene räumliche Szenografien und digitale Beleuchtungssimulationen die sinnliche Wahrnehmung. So kann man in einem Virtual-RealitySzenario erleben, wie es sich in einem pompejianischen Gelage-Raum, dem Triklinium, anfühlte. Mit VR-Brille muss man mit einem Kienspan Fackeln und Lämpchen entzünden, um vom bequemen Liegebett aus die Lichtwirkung auf die virtuell simulierte Wandbemalungen der Casa di Giulio Polibio betrachten zu können.
Es sind aber vor allem die kleinen Geschichten, die die Verbindung zum pompejianischen Leben herstellen. Etwa die der beiden Flüchtenden, die es nur bis an die Stadtgrenze geschafft haben, ehe sie unter dem heißen Gestein des Vesuvs begraben wurden. Ihr kleines Öllämpchen hingegen, das sie mit sich führten, hat fast unversehrt den Weg nach München gefunden, wo es heute mit dazu beiträgt, nach 2000 Jahren die Vergangenheit neu auszuleuchten. ||
NEUES LICHT AUS POMPEJI
Staatliche Antikensammlungen München
Königsplatz 1 | bis 2. April 2023 | Di–So 10–17, Mi 10–20 Uhr | Führungen: 11./18. 12., 14 Uhr; 21.12., 18 Uhr
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Nevin Aladag: Die Ausstellung »Sound of Spaces« in der Villa Stuck
Nini & Carry Hess / Gertrude Fuld: Ausstellung im Theatermuseum
dive_in: Münchner Kultur digital
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton