Pandemie, Inflation und steigende Energiekosten sorgen bei den Kinos für eine Dauerkrise. Ein Lagebericht zur Situation in München.
Kinos im Ausnahmezustand
»… Jahr 2022 … die überleben wollen«, heißt Richard Fleischers wegweisende Ökodystopie von 1973. Entstanden kurz nach der Veröffentlichung des aufrüttelnden »Club of Rome«- Berichts »Die Grenzen des Wachstums«, hielt der Oscarpreisträger darin nicht nur der (Hollywood-)Welt den Spiegel vor: Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung, Klimawandel und Überbevölkerung, Kriege und Hungersnöte sowie die parallel zelebrierten Obszönitäten einer superreichen Oberschicht ließen bereits zu Beginn der 1970er Jahre aufhorchen.
Und so überkommt einen beim Blick auf die akut brennende Weltlage im realen Jahr 2022 das Schaudern, was en gros auch für die hiesige Kinobranche gilt. Nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie, die mit neuen Virus-Varianten gerade wieder an Fahrt aufnimmt, gleicht der deutsche Kinomarkt selbst einem einzigen Katastrophenszenario: Extrem gestiegene Energiekosten, höhere Einkaufspreise, magere Zuschauerbilanzen, ein höherer Mindestlohn, diverse Investitionsstaus und rapide veränderte Seh- und Ausgehgewohnheiten prägen den Status quo vieler Kinos nicht nur in München.
Die neuesten Zahlen der Filmförderungsanstalt (FFA) zeigen deutlich, dass die Geschäfte für die Kinobetriebe im ersten Halbjahr bei weitem noch nicht so laufen: In dem Zeitraum wurden lediglich 33,2 Millionen Tickets verkauft; das sind etwa 20 Millionen Tickets weniger als vor der Pandemie. In Bayern ist der Kinomarkt zwischen 2019 und 2021 um knapp zwei Drittel eingebrochen: von 20 Millionen gelösten Tickets auf nur noch knapp sieben Millionen, wodurch sich viele Familienbetriebe und Programmkinos nur via Corona-Hilfsgelder vom Bund oder vom Freistaat retten konnten. Der Branchenverband HDF Kino e.V. beklagt, dass die Kinos derzeit pro Ticket ein Minus von etwa 20 Prozent machen, was absolut alarmierend ist.
Für all diese beunruhigenden Entwicklungen hinsichtlich des Kinogeschäfts kann sicherlich nicht bloß die vage Angst vor möglichen Ansteckungen mit dem Coronavirus geltend gemacht werden. Auch der gleichzeitig wachsende Heimkino- und Streamingdienstmarkt erklärt nicht automatisch diese unterdurchschnittlichen Zahlen, an denen kleine und mittlere Verleiher aus dem Arthouse-Bereich im Augenblick besonders hart zu beißen haben.
Zugleich wird in diesem Herbst das Geld für viele knapper werden, weil (Kino-)Kultur eben auch kostet, so dass sich angesichts steigender Inflation momentan nicht jede(r) automatisch ein Kinoticket zwischen 10 und 15 Euro leisten kann. Kurzum: Die Zeiten für Kinokultur waren schon deutlich rosiger. Denn inzwischen entwickelt sich die betriebswirtschaftliche Ausnahmesituation für manche Münchner Lichtspielhäuser zum Dauermodus. Wie soll es also mit den Kinos weitergehen, damit dort nicht wörtlich das Licht ausgeht? Zeit für einen Lagebericht.
»Momentan sind wir aufgrund von ›Triangle of Sadness‹ recht gut besucht«, sagt Bastian Hauser von der ›Theatiner Filmkunst‹, »was aber natürlich in den nächsten Monaten schon wieder ganz anders sein kann. Trotzdem möchten wir keinesfalls die Preise erhöhen, weil wir fürs Kinomachen immer nach Frankreich blicken, wo die Leute generell viel öfters gehen und sich auch in Filme hineinsetzen, die bei uns eher untergehen. Zum Glück sind wir hier ein kleines Team mit 5 Festangestellten und 7 Mitarbeitern, so dass bei uns der Mindestlohn oder die gestiegenen Heizkosten bisher noch nicht so krass durchschlagen.«
Ganz andere Töne schlägt Louis Anschütz vom »Studio Isabella« an: »Die Corona-Pandemie hat alles verändert: 40 bis 50 Prozent meiner Zuschauer sind nicht mehr zurückgekommen. Der gestiegene Mindestlohn ist natürlich eine Katastrophe für die Kinobranche! Trotzdem dürfen wir die Preise für Tickets oder Gummibärchen im Moment auf gar keinen Fall erhöhen, sonst kommen noch viel weniger. Das Schlimmste ist aber, dass wir ca. 30 Prozent unseres Stammpublikums verloren haben. Das sind viele Senioren, die Angst haben, sich anzustecken. Das tut schon weh.«
Wolfgang Bihlmeir vom »Werkstattkino« kann demgegenüber über kaum etwas klagen. »Wir machen das ja alle mehr ehrenamtlich und haben bisher alles auffangen können. In der Praxis hat sich vieles wieder eingespielt und so kam unser Publikum gleich wieder zurück. Ich trage selbst eine Maske im Kino und habe überhaupt keine Angst, mich dort anzustecken. Unser Glück bleibt, dass wir im Vergleich zu anderen immer noch eine relativ niedrige Miete haben.«
»Forward ever – backward never«, heißt aktuell das Motto für die drei Kinos von Thomas Wilhelm. Während das »Neue Rex« als »klassisches Stadtteilkino mit großem Stammpublikum« und einer breiteren Programmauswahl »etabliert« sei und gut durch die Kinokrise komme, »machen wir uns gerade viel Gedanken um den Arthousebereich, der so, wie er jetzt geworden ist, nicht mehr läuft. Zum einen kommen die Senioren nicht mehr zurück ins Kino und zum anderen ist der Live-Opern-Markt völlig kaputt. Deshalb werden wir jetzt im »Neuen Rottmann« im November auch eine Pause von vier Wochen einlegen und 200.000 Euro investieren«, erzählt Mitarbeiter Thomas Riedle. Dieses Geld wird unter anderem für eine neue Bestuhlung und ein neues High-Tech-Dolby 7.1-System ausgegeben, »damit es dort wieder richtig kracht!«. Ein regelrechtes »Damoklesschwert« bleibe für ihn aber das »Cincinatti« mit 430 Sitzplätzen, »hohen Energiekosten und wenig Laufkundschaft. Das wird der Horror, wenn die nächste Jahresrechnung kommt.«
»Wir haben ein hochklassiges Herbstprogramm, in dem neben Östlund auch Familienfilme gut laufen«, ist Thomas Kuchenreuther vom »ABC« und den »Leopold Kinos« überzeugt. »Natürlich werden die Kinos weiterhin Überbrückungshilfen und Programmprämien benötigen, bis sich wieder etwas mehr Normalität einstellt. Aber als erstes gehört die Abgabe der Kinos an die FFA abgeschafft, weil uns das alle zusätzlich schwächt!«
Deutlich negativer äußert sich Anne Harder vom »Neuen Maxim«: »Die Auslastung liegt bei ca. 60 Prozent im Nicht-Corona-Vergleich. Damit können wir auf keinen Fall langfristig, wahrscheinlich nicht mal mittelfristig, überleben.« Im Herbst und Winter könne man sich unter den derzeitigen Bedingungen »keinen Speck« für die Sommermonate anfressen. »Steigende Personal- und Energiekosten sowie höhere Einkaufpreise machen es uns noch schwerer. Wenigstens kommt unser Stammpublikum weiterhin. Technisch sind wir durch moderne Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, smarte Heizungen und vielen LED-Lampen sehr gut aufgestellt.« Am wichtigsten sei es für sie, »Gelegenheitskinogänger« zurückzuholen. Für Kultureinrichtungen sei die Lage momentan »sehr, sehr schwierig«. »Ohne finanzielle Hilfen für einige Kinos« stehe »mit Sicherheit das Aus« bevor, ist Harder überzeugt.
Ein Glück, dass Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien kurz vor Redaktionsschluss einen »Kulturfonds Energie« angekündigt hat, der mit einer »substanziellen Summe« von 1 bis 1,8 Milliarden Euro greifen soll, weil »Museen, Theater, Kinos auch Räume sind, die Menschen Bildung, Kommunikation und soziale Wärme ermöglichen«. Hoffentlich bleiben ihre Worte kein Science-Fiction-Gespinst. ||
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