In Christopher Roths »Servus Papa, See You in Hell« liefert Clemens Schick als charismatischer Aktionskünstler und despotischer Kommunen-Guru Otto Mühl die Performance seines Lebens ab.
Servus Pappa, See You in Hell
Schatten im Paradies
Rund 20 Jahre nach »Baader«, dem beeindruckend eigenwilligen Biopic über Deutschlands berühmtesten und berüchtigtsten Terroristen, meldet sich Christopher Roth mit einer ähnlich spannenden Thematik auf der großen Leinwand zurück. In »Servus Papa, See You in Hell« beschäftigt sich der inzwischen 58-jährige Regisseur, der zuletzt vor allem als Cutter, Künstler und Fernsehproduzent in Erscheinung getreten war, mit einer ähnlich charismatischen Figur wie es Andreas Baader gewesen war: Otto Mühl, österreichischer Aktionskünstler und in den 1970er Jahren Gründer einer Kommune, in der Sex erlaubt, aber Zweierbeziehungen verboten waren. Der Film basiert auf den Erinnerungen von Jeanne Tremsal, die gemeinsam mit Roth das Drehbuch verfasst und auch eine der Rollen (sie spielt ihre eigene Mutter) übernommen hat. Die Handlung setzt irgendwann in den 1980er Jahren ein, als Otto den Zenit seiner Macht bereits überschritten hat und sein kleines Imperium allmählich zu bröckeln beginnt. Und mittendrin die 14-jährige Jeanne, auf der »Insel«, wie der autoritäre Herrscher sein Pseudo-Paradies nennt, aufgewachsen. Sie findet anfangs durchaus Gefallen an der Kommune, dem Dasein in freier Natur, in dem jeder von Otto dazu inspiriert wird, seine Fantasien in jeglicher Kunstform – vom Tanz über den Gesang bis hin zu Malerei und Literatur – bedingungslos auszuleben.
Doch als Jeanne sich in den zwei Jahre älteren Jean verliebt und damit gegen einen der wichtigsten Grundsätze der Gemeinschaft verstößt, will sie nur noch weg. Erst recht, als Otto immer wieder nachts an ihrem Bett erscheint und so auch bei ihr Ansprüche anmeldet, jede Frau als Erster besitzen zu dürfen. Am Ende wird die Kommune vor allem auf Betreiben der jugendlichen Mitglieder aufgelöst und ihr Leiter landet wegen Kindesmissbrauchs und Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz im Gefängnis.
Christopher Roth konzentriert sich in »Servus Papa, See You in Hell« auf das Leben in der Kommune, die täglichen Zusammenkünfte, die öffentlichen Bestrafungen wegen Regelverstoßes und die an Teufelsaustreibungen erinnernden Rituale, um die schwarzen Schäfchen wieder auf Linie zu bringen. Dabei liefert Clemens Schick als »König« Otto die vielleicht beste Performance seiner Karriere ab, wenn er wie eine Mischung aus Rumpelstilzchen und Derwisch nackt ums Lagerfeuer tanzt und in ekstatischer Verzückung und Verrenkung Sprechgesänge skandiert und so die umstehende Menge in seinen Bann zieht.
Allerdings vermeidet es Roth, das immense Potenzial seiner Vorlage voll auszuschöpfen. So finden elementare Fakten wie Sex und Nacktheit so gut wie gar nicht statt, ein Insel-Besuch von Skandalkunstkollege Joseph Beuys wird nur aus dem Off angerissen und der Einfluss der Politik mit dem Kurzbesuch eines grapschenden SPÖ-Politikers nur angedeutet. Zudem erschließt es sich dem Betrachter nicht, warum der Regisseur die Eingangssequenz seines Films wenige Minuten später, wenn auch aus anderen Blickwinkeln, noch einmal wiederholt (den Song vom Ficken inklusive). Das gleiche gilt für Falcos »Rock Me Amadeus«, das zweimal angespielt wird, damit wohl auch der Letzte versteht, dass wir uns inmitten der 1980er Jahre befinden. Indem er immer wieder unscharfe, verwackelte Bilder, die an alte Videoaufnahmen erinnern sollen, einstreut, hat es Roth zumindest visuell geschafft, die aufwühlende Epoche eines größenwahnsinnigen Despoten wieder aufleben zu lassen. ||
SERVUS PAPA, SEE YOU IN HELL
Deutschland 2022 | Regie: Christopher Roth
Mit: Jana McKinnon, Clemens Schick, Leo Altaras u.a. | 116 Minuten
Kinostart: 24. November
Website
Weitere Filmkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Kino im Februar 2022: King Richard, The Card Counter, Belfast ...
John Heartfield: Die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum
Josef Hader im Interview zu »Andrea lässt sich scheiden«
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton