Seit dem Frühjahr 2022 steht Cristian Măcelaru am Pult des Orchestre National de France. Nun gastiert das Gespann mit eigenwillig neuem Programm erstmals in München. Rita Argauer traf Măcelaru in Paris.
Cristian Măcelaru in München
Französisch für Neugierige
Seit 2020 ist Cristian Măcelaru Chefdirigent des Orchestre National de France (ONF). In Rumänien geboren, studierte der temperamentvolle Individualist in den USA zunächst Geige, die er dann auch in verschiedenen Orchestern spielte. Erst vor gut zehn Jahren begann er mit dem Dirigieren. Mit dem ONF geht er nun auf Tournee. Nach dem Auftakt in Köln am 26. November folgen München (27.11.), danach bis 8. Dezember Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Erlangen, Frankfurt und Wien.
Das Orchestre National de France wirbt damit, das kulturelle Erbe Frankreichs in die Welt zu tragen und mittels der Musik Brücken zu schlagen. Gerade jetzt, wo die Politik sich auf dünnem Eis bewegt, scheint dies ein sinnvoller und notwendiger Ansatz zu sein. Was aber ist Cristian Măcelarus persönliche, spezielle Verbindung zur französischen Musik? »Kaum jemand erinnert sich daran, dass beispielsweise Russland am Ende des 19. Jahrhunderts eng mit Frankreich verbunden war. Für Rumänien war Frankreich im 20. Jahrhundert, auch während des Kommunismus, der wichtigste kulturelle Verbündete. Viele rumänische Künstler – man denke nur an Schriftsteller wie Ionesco oder Bildhauer wie Brancusi – spielten in beiden Ländern eine wichtige Rolle. Ich bin in der Gewissheit aufgewachsen, dass die französische Kultur sehr nah an der rumänischen Sicht auf die Bedeutung der Kultur ist.« Măcelarus Annäherung an das französische Kulturgut ist ebenso diplomatisch wie eigenwillig. Er hat klare Vorstellungen davon, was die Unterschiede zwischen »Tradition« und »Aneignung« betrifft.
Als er mit dem ONF zu arbeiten begann, nahm er sich Ravels »La Valse« vor: »Ein Stück, das man nicht notwendigerweise groß proben muss, weil einfach jeder es kennt. Ich sah jedoch, dass dem Stück so viel übergestülpt worden war, jenseits des originalen Werks. Tradition ist wichtig, als Möglichkeit einer kollektiven Annahme, wie Musik klingen soll, aber das hat oft nicht mehr viel damit zu tun, was der Komponist wollte. Aber für mich ist das relevant, was Ravel notierte, und nicht die so genannte Tradition. Die ›echte‹ französische Musik ist die, die der Komponist schrieb, und nicht die, von der irgendein Dirigent behauptet, wie sie sein soll. Viele Dirigenten ändern etwas an der Vorlage, damit sie zur Interpretation passt. Das ist so, als würde ein Gemälde nicht ins Museum passen, und man würde kurzerhand etwas davon abschneiden. In der Malerei erscheint dies absurd, aber es ist genau das, was in der Musik passiert.«
Der Anfang seiner Zusammenarbeit mit dem ONF fiel mitten in die Pandemie. Wenige Auftritte zwischen langen Lockdowns gaben ihm die Möglichkeit, sich auf die vielen Details zu konzentrieren, an denen er mit dem Orchester arbeiten wollte. Zum Beispiel änderte er die Sitzordnung: »Die heutige Orchesteraufstellung des ONF ist nach meiner Kenntnis einzigartig in der Welt. Pauken auf der einen Seite, Kontrabass auf der anderen Seite, Cello und Bratsche auf einer Seite, auf der anderen die Geigen … Wir waren in der glücklichen Lage, viele verschiedene Kombinationen auszuprobieren, um einen maximal mehrdimensionalen Klang zu erreichen. Ich dachte: Wenn ich Musik aus einem großartigen Sound-System lausche, kann ich nicht sagen, dass der Bass nur von einer Seite kommt – er kommt von überall her! Also kreierten wir einen Schmelztiegel: Ich versuchte beides, akustisch dem Publikum gerecht zu werden, und gleichzeitig die Musiker ein wenig herauszufordern, damit sie sich auf andere Weise wahrnahmen.« Am wichtigsten ist Măcelaru das tiefe Vertrauen zwischen ihm und dem Orchester. »Um dieses Vertrauen zu gewinnen, spürte ich, dass es notwendig war, andere Perspektiven zu öffnen. Es veränderte die Art und Weise, wie die Musiker auf mich antworten, wie sie musizieren. Die Kommunikation zwischen uns ist so natürlich geworden, und das ist das Beste an diesem Job: die Vertrautheit und das Gefühl, als wäre man eine Familie. Wenn die Zusammenarbeit instinktiv funktioniert.«
Was in den Konzertprogrammen gespielt wird, entscheidet zur Hälfte das ONF – und die zweite Hälfte ist eine Carte Blanche fürden jeweiligen Gast. Der Gast kann auswählen, was er spielen will. »Es gibt Menschen in dieser Welt, die ich sehr gern machen lasse, was ihnen ihr Herz sagt«, wie der Pianist Daniil Trifonow. »Als wir ihn fragten, ob er mit uns auf Tournee gehen und was er spielen würde, sagte er: Skrjabin. Skrjabin erfand ein neues harmonisches System, das die Grenzen zwischen Konsonanz und Dissonanz auflöst. Er gilt deshalb auch als einer der Wegbereiter der Neuen Musik. Trifonows Reputation in einer Stadt wie München, wo er auch bei der Eröffnung der Isarphilharmonie gefeiert wurde, ist so hoch, dass das Publikum ihm hier einfach vertraut. Alle wissen: Das wird gut, einfach weil er es spielt! Und Skrjabin ist der französischen Kultur sehr nah. Seine musikalische Sprache passt perfekt mit unserer Mission zusammen: die ›französische‹ Musik in all ihren Facetten dem Publikum nahezubringen.« In München stehen Maurice Ravels »Ma Mère l’Oye», Alexander Skrjabins Konzert für Klavier und César Francks Symphonie in d-Moll auf dem Programm. ||
CRISTIAN MACELARU & ORCHESTRE NATIONAL DE FRANCE
Isarphilharmonie HP8
Hans-Preißinger-Str. 8 | 27. Nov. | 20 Uhr
Tickets: 089 54818181
Weitere Konzert-Vorberichte gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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