Mensch, Natur und Medien: Die Werkschau der wegweisenden Künstlerin Joan Jonas im Haus der Kunst aktiviert auf vielfältige Weise die Wahrnehmung.

Joan Jonas

Spiegel und Blicke

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Joan Jonas: »Wolf Lights« | 2004–2005 | Video (Detail) © Joan Jonas / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ausstellung zeitgenössischer Kunst schreiben, vom Moment ihrer Planung an, sich selbst in die Kunstgeschichte ein. Das gilt speziell auch für die aktuelle Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Joan Jonas im Haus der Kunst. Das bezeichnet sich als »ein öffentliches Museum ohne eigene Sammlung«. Es pflegt ein eigenes Archiv (mit »Archiv Galerie«), das die bewegte und belastete Geschichte seit der Gründung des »Hauses der deutschen Kunst« durch Adolf Hitler dokumentiert. Nach dem Krieg wurde hier die im Nationalsozialismus verfemte Kunst der Moderne in großen Ausstellungen gefeiert, es präsentierte auch internationale Gegenwartskunst und aufwendige Kassenschlager wie »Nofrete – Echnaton«. Seit 1992 bespielt eine Stiftungskonstruktion das Haus; unter den Direktoren Christoph Vitali, Chris Dercon und Okwui Enwezor, der mit seinem Programm westliche und institutionelle Perspektiven kritisch erweiterte, wurde es »ein weltweit führendes Zentrum für zeitgenössische Kunst«, so die heutige Selbsteinschätzung. Freilich war das Haus ohne eigenen Sammlungsbestand mit seinem aufwendigen Import- und Produktionsprogramm wechselnder Ausstellungen immer wieder von Finanzproblemen bedroht.

2018 wurde in München die zuvor in London gezeigte Retrospektive von Joan Jonas wegen Geldmangels abgesagt. Kuratiert hatten die Schau Andrea Lissoni, Kurator an der Tate Modern, und Julienne Lorz, damals Kuratorin am Haus der Kunst, und nun hat Lissoni – als künstlerischer Leiter des Hauses der Kunst seit 2020 – das Projekt in München nachgeholt. Auch der englischsprachige Katalog von 2018 lässt sich weiterverwenden.

Neu in der Münchner Ausstellung ist die Installation in der Mittelhalle, »Rivers to the Abyssal Plain« (2021), in der Jonas – mit einer Serie von Aquarellzeichnungen, kombiniert mit einem Video – ihre Forschungen zu submarinen Strömungen an den Mündungen großer Flüsse und den damit zurechtkommenden Lebewesen fortsetzt. Und die im November erstmals in Europa gezeigte Performance »Out Takes. What The Storm Washed In« (2022) beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur, einer Fragestellung, die Jonas seit Jahrzehnten untersucht. Wie der Titel anzeigt, greift die Künstlerin dabei auf früheres Videomaterial zurück; derartige Rückbezüge und Querverbindungen prägen die Entwicklung ihres Œuvres. Denn die Videokunst-Pionierin der 1970er Jahre ist richtungweisend geblieben in der Art, wie sie Medien und Formate, mythologische Narrative und soziale Entwicklungen immer wieder neu befragt. Performances komponiert sie zu Videofilmen, entwickelt sie weiter zu Installationen aus Skulptur, Masken, Requisiten, Zeichnungen, Bewegtbild und Aktion. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsmodi, die bei diesen vielfältigen Überlagerungen entstehen, und das Erproben von Rhythmen und Perspektivierungen sind das Ziel ihrer künstlerischen Forschung und das Angebot an die Besucher:innen.

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Joan Jonas: »Wind« (1968), hinten links Performance-Fotografien, rechts ein Guckkasten »My New Theater« Installationsansicht Haus der Kunst, 2022 © Joan Jonas / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Maximilian Geuter

Schon in der Videoperformance »Wind« (1968) spielt als Naturkraft der mächtige Wind eine Rolle und die mit Spiegeln besetzten Kostüme erzeugen gebrochene Blicke, wie sie dann in der Performance »Mirror Piece« (1969) erweitert und vervielfacht werden. Das Publikum platziert Jonas auch mal auf einem Hausdach und sie spielt mit diversen Klang-Rhythmen und Bewegungsvariationen, wie im Film »Songdelay« (1973). Seit der Ausstellung »Stage Sets« (1976), mit der ihre Aktionskunst in Ausstellungsräume einrückte, arrangiert sie Installationen als quasi-theatrale Situation. Oder sie verwandelt den Bildschirm in ein Mini-Guckkastentheater, teils bestückt mit assoziativen Objekten, um ohne Live-Akteur PerformanceElemente zu präsentieren.

Stets überlagern sich bei der 1936 geborenen New Yorkerin Bildebenen: Im Video »Wolf Lights« (2004) außen, über dem Zugang zum Haus, eine Tänzerin mit Wolfsmaske inmitten rot und golden leuchtender Reklametafel-Details. Oder Schattenfiguren interagieren mit Filmbildern. Die Installation »Reanimation« (2010–2013) versammelt in einem offenen Kubus vier Bildschirm-Wände mit vier unterschiedlich langen Video-Loops, ein Gestell mit Kristallen, Zeichnungen, einenMonitor sowie Holzbänke zum Betrachten, wobei sich die Aufmerksamkeit an immer wechselnden Konstellationen im Raum ausrichten kann. Eine rätselhafte, berührende Geschichte erzählt »Double Lunar Rabbits« (2010) mit dem Opfermythos einer Hasenfigur; die in Japan entstandenen, zu zwei VideoLoops geschnittenen Filmaufnahmen mit einer MaskenTänzerin sind aber nie vollständig wahrnehmbar, weil sie auf gebogenen Projektionsflächen, eine konkav, eine konvex, erscheinen, zwischen denen die Betrachter:innen sich bewegen oder – im Blickfeld eingeschränkt – Position beziehen. ||

JOAN JONAS
Haus der Kunst | Prinzregentenstr. 1 | bis 26. Februar
Mi–Mo 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr | Performance: »Out Takes. What the Storm Washed In« (europäische Erstaufführung), 13. Nov., 16. u. 18 Uhr | Künstler*innengespräch: 14. Nov., 19 Uhr Filme: 17. Nov., 19 Uhr im Filmmuseum | Tickets (und weitere Veranstaltungen) | Der englischsprachige Katalog kostet 29,90 Euro

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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