Mit der reizvollen Werkschau über Rosemary Mayer setzt das Lenbachhaus seine Ausstellungsreihe mit weniger bekannten Künstlerinnen fort.
Rosemary Mayer
Unmögliche Skulpturen
Es scheint, die Zeit der Frauen hat begonnen. Wo man hinschaut, werden junge Künstlerinnen vorgestellt oder ältere (neu) »entdeckt«. Während sich viele Museen sichtlich Mühe geben, die Ära der »alten weißen Männer« zu Ende gehen zu lassen, kann das Lenbachhaus von sich behaupten, schon immer den Blick auf Frauen gerichtet zu haben. Tatsächlich wurde dort bereits Ende der 40er Jahre eine Ausstellung mit 50 Münchner Künstlerinnen präsentiert. Außerdem gehörten zur Künstlergruppe des Blauen Reiter bekanntermaßen viele Künstlerinnen, unter anderem Gabriele Münter, deren Werk dank der Stiftung in der Sammlung besondere Bedeutung zukommt. Aus dieser Tradition heraus ist auch die Ausstellungsreihe entstanden, mit der Kuratorin Stephanie Weber seit ein paar Jahren weniger bekannte Künstlerinnen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellt, u. a. Lea Lublin, Senga Nengudi oder Sheela Gowda.
Und nun Rosemary Mayer. Die New Yorker Künstlerin (1943–2014) überrascht mit eigenwilligen sinnlichen Stoffskulpturen, etlichen interessanten Entwurfs- und Projektzeichnungen, ästhetisch reizvollen farbigen Pastellen sowie aufwendig gestalteten künstlerischen Reisetagebüchern. Als klassische Philologin, Künstlerin, Autorin, Übersetzerin und überzeugte Feministin war Rosemary Mayer eng mit der New Yorker Literatur- und Kunstszene der 60er und 70er Jahre verknüpft. Ihr Werk steht nicht nur im Spannungsfeld dieser Einflussbereiche, sondern sie suchte wie viele Künstler*innen ihrer Zeit, die Grenzen von Skulptur und Malerei zu hinterfragen, klassische bildhauerische Fragen neu zu denken und andere Wege zu gehen.
Es ging damit los, dass sie die bemalte Leinwand aus dem Keilrahmen löste und in Falten gelegt an die Wand heftete. Dann entdeckte sie die fast schwerelose Materialität zarter Stoffe, die sie kunstvoll drapierte. Sie band ihre Stoffskulpturen auf gespannte Holzbögen, sodass sie sich plastisch von der Wand ablösen. Sie wollte, dass der Luftzug die Stoffe in Bewegung bringt und die Schwerkraft dadurch scheinbar ausgehebelt wird.
Viele ihrer Objekte benannte sie nach historischen Frauenfiguren, ohne sie jedoch als Abbild verstanden wissen zu wollen. Die Installation »Hroswitha«, die wahlweise wie eine Aneinanderreihung schwarz-weiß-roter Fahnen oder wie ein dicht drapierter Rock wirkt, trägt den Namen der mittelalterlichen deutschen Dichterin Hrotsvit von Gandersheim, die als eine der Identifikationsfiguren der Frauenbewegung gilt und deren tausendstes Todesjahr im Jahre der Entstehung der Skulptur, 1973, gefeiert wurde. Auch »Hypsipyle« bezeichnet eine mythologische Frauenfigur mit feministischem Bezug. Die Arbeit, die über eine Raumecke gespannt wird, ist das letzte Werk aus der Reihe der Draperieskulpturen und wurde vom Lenbachhaus angekauft.
Immer wieder geht Rosemary Mayer an die Grenzen des Machbaren: ausloten was möglich ist – oder nur auf dem Papier funktioniert –, bis hin zu dem Punkt, wo es so eben noch geht. Die Zeichnungen ihrer »impossible sculptures« von 1971 zeigen imaginäre Textilkonstruktionen inklusive der Position der zwei Nägel, die die komplexen Verknüpfungen tragen sollen. In der bildhaften Theorie wunderschön – in der Praxis nicht umsetzbar.
Gerade so eben umsetzbar ist die Skulptur »The Locrian Mode«. Nach den Worten der Künstlerin »ein Objekt, das von seiner Konstruktion unterwandert wird«: Die beiden Holzflügel sind eigentlich flach. Mittels starker Saiten werden sie so in Form gezurrt, dass die Skulptur dank der prekären Statik buchstäblich in der Schwebe gehalten wird. Der Titel verweist auf eine bestimmte Tonleiter, formal greift die Konstruktion die Form historischer Musikinstrumente auf, wie man sie in italienischen Gemälden etwa bei Laute spielenden Putti vorfindet.
Das Besondere an der Kunst von Rosemary Mayer ist, dass sie sich in einem interessanten Spannungsfeld von Minimal Art, Renaissance und Barock bewegt und dass sie dem strengen Minimalismus damit eine erzählerische, romantische Note entgegensetzt. Dies wird bei der Farbpalette ihrer selbst gefärbten Stoffe deutlich, die sie so übereinanderlegte, dass sich die Farben visuell mischen und sich dem Farbspektrum der Renaissance annähern. Vor allem wird es sichtbar in den schwingenden und verschlungenen Formen ihrer Stoffskulpturen und Pastellzeichnungen.
Den anschaulichen Beweis ihrer Inspirationsquellen liefern die »Passages«, ein umfangreiches Buch bestehend aus Texten und collageartig zusammengestellten Fotografien von Quellen quer durch die Kunstgeschichte, vor allem der Renaissance, des Barock und Rokoko – das eigentliche Vermächtnis der Rosemary Mayer. Beim Blättern durch die faksimilierte Ausgabe stößt man nicht nur auf die klassische Kunst Italiens, sondern auch auf Bilder der Theatinerkirche, der Pagodenburg im Nymphenburger Schlosspark, auf einen Text über die Brüder Asam sowie etliche andere München- und Bayernbezüge. Damit wird einem die Erkenntnis vor Augen geführt, die Rosemary Mayers Haltung spiegelt: Nichts ist einzigartig in der Kunst, alles steht untereinander in Beziehung. ||
ROSEMARY MAYER–WAYS OF ATTACHING
Lenbachhaus | Luisenstr. 33 | bis 18. Sept.
Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Zur Ausstellung erscheinen im August die erste umfassende Monografie zum Werk der Künstlerin »Rosemary Mayer–Ways of Attaching« (Swiss Institute/König, 352 Seiten, 29,80 Euro) sowie »The Letters of Rosemary & Bernadette Mayer, 1976–1980« (Swiss Institute, 373 Seiten, 32 Euro
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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