Zum Tod des großen Klaus Lemke: Eine Erinnerung aus erster Hand.

Klaus Lemke: Fast ein Nachruf

Klaus Lemke

Nein, die werden nicht verkauft! | © Matthias Pfeiffer

Es gibt Gestalten, bei denen kann man es sich schlicht und einfach nicht vorstellen, dass sie irgendwann weg sind. Klaus Lemke war so eine. Mit 81 Jahren ist er nun wirklich gegangen, dieser große Haudegen des deutschen Films. Was soll der Dreck? Und was fängt man als Schreiberling nun damit an? Man könnte natürlich einen klassischen Nachruf in die Tasten hauen, alle großen Werke wie »Rocker«, »48 Stunden bis Acapulco« und »Paul« runterrattern, darauf eingehen, wie Lemke es schaffte, ohne Filmförderung fast jährlich einen neuen Streifen rauszuhauen und und und … man kann aber auch eine Anekdote hervorkramen, die diesen harten Hund noch mal ein gutes Stück anschaulicher macht.

Wir schreiben das Jahr 2017, als Corona lediglich ein Bier war und ein junger Mann gerade anfing, so etwas Ähnliches wie eine Kulturjournalisten-Karriere zu starten. Das Filmfest stand kurz bevor und dieser Klaus Lemke, der dem jungen Mann natürlich ein Begriff war, sollte dort seine neueste Räuberpistole »Making Judith« vorstellen. Da kam die Abendzeitung auf die Idee, unseren Helden doch ein Interview mit dem Kult-Regisseur führen zu lassen. Die Handy-Nummer wurde also weitergegeben und nach zweimaligem Klingeln hob er auch schon ab.

 

klaus lemke

»Guten Tag, Herr Lemke. Hier ist M.P. von der Abendzeitung. Wir würden Sie gerne zu Ihrem neuen Film „Making Judith“ interviewen.«

»Bombe!«

Dann war man auch schnell per du, Ort und Zeit standen auch geschwind fest und so konnte ein Fragenkatalog entwickelt werden, wie man es eben im Studium gelernt hat. Was der junge Mann hier noch nicht wusste: Mit Klaus Lemke führt man keine Interviews. Die Recherche ergab zwar, dass Banalitäten á la »Wie war der Dreh?« außen vor bleiben mussten, doch auf das, was kommen sollte, hatte ihn niemand vorbereitet.

Tag des Gesprächs. Regenwetter. Das Handy klingelt. Klaus ist dran.

»Hi Klaus, was gibt’s?«
»Es regnet.«
»Ja.«
»Ich hätte mich irgendwo rausgesetzt, aber jetzt müssen wir das Interview bei mir führen.«
»Klar, wenn es für dich kein Problem ist.«
»Es IST ein Problem.«

Da wurde diesem jungen Mann plötzlich klar, dass dies kein gewöhnlicher Vormittag werden würde.

»Wenn du Milch oder Zucker in deinen Kaffee willst, musst du das irgendwo klauen, ich hab nichts da.«
»Ja, Klaus.«

klaus lemke

Und so betrat der Neuling wohl als erster Journalist (Angabe ohne Gewähr) die heilige Einzimmerwohnung in der Maxvorstadt. Das Türschloss war kaputt, aber irgendwie passte das. So stand auf einmal der Dinosaurier persönlich vor ihm, auch in der Wohnung Hut tragend.

»Du trinkst den Kaffee einfach so wie ich.«
»Ja, Klaus.«

So saßen sie dann in diesem kleinen Zimmer, einer, dem man nichts vormachen konnte und einer, der nicht wirklich wusste, was er machen sollte. Meister Lemke ging die Fragen durch, besonders die, wie viel kriminelle Energie ein Regisseur braucht, gefiel ihm. Der Rest … na ja, da passten seine Antworten nicht wirklich dazu. Die hatte er nämlich schon in einer nicht mehr zu entziffernden Schrift auf einigen Blättern notiert. In welchem Ratgeber für angehende Journalisten wird so was geschildert?

»Weißt du, mit einem Interview kann man nicht einfach so anfangen. Das muss man komponieren.«
»Ja, Klaus.«

Und so komponierten die beiden. Oder besser gesagt, Klaus Lemke komponierte. Dieser Mann wusste, was er sagen und was die Leute hören wollten. Und wer ein Lemke-Interview liest, der soll auch bitte eins bekommen. Der junge Journalist hingegen saß mit seinem pechschwarzen Kaffee da und geriet leicht panisch ins Zweifeln. War das alles noch journalistisch vertretbar? Sollte nicht er selbst die Zügel in der Hand halten? Macht sich der Journalist nicht mit keiner Sache gemein, selbst wenn es die beste der Welt ist? Nun, mit einem Klaus Lemke musste man sich gemeinmachen, sonst konnte man es gleich vergessen.

»Scheiße, ich kann meine Schrift nicht mehr lesen.«

So verstrich die Zeit. Es ging kurz um den neuen Film, um »Toni Erdmann«, die besagte kriminelle Energie, die »feudalistisch-staatliche Filmförderung« … das volle Programm eben. Alles haargenau durchkomponiert, ohne Platz für blöde Zwischenfragen oder ähnlichen Firlefanz, aber auf dem Papier las sich das trotzdem flüssig und wunderbar. Am Ende saß da ein hochzufriedener Lemke und sein »Gesprächspartner«, dem im Grunde schon alles egal war. Wie sollte er denn so ein Interview abgeben und dann auch noch behaupten, er hätte es geführt? Wird schon, den Klaus kannten die doch besser als er. Zumindest hatte er das auf dem Zettel, was wichtig war: Sätze dieses Mannes. Nichts anderes war wichtig. Nichts anderes wollten die Münchner lesen. Er selbst war nur der Laufbursche, der die Botschaften unters Volk bringen sollte. Und langsam aber sicher verstand er das auch und beruhigte sich ein wenig. An diesem Tag hatte er etwas Wichtiges gelernt: Nicht nur gute Fragen sind wichtig, sondern auch Spontanität, die Gabe, sich auf jede noch so abstruse Situation schnell einstellen zu können und nicht das aus den Augen zu verlieren, was wichtig ist. In diesem Fall eben die Antworten von Klaus Lemke, egal ob es davor überhaupt schon Fragen gab.

Bis heute kam der Schreiber nie wieder in eine solche Situation. Höchstwahrscheinlich wird diese auch ein Unikum bleiben. Denn – verdammt noch mal! – dieser Regisseur ist nicht mehr. Und so einen wird es auch nie mehr geben. So traurig das ist, man sollte nicht heulen, sondern die Botschaft dieses Mannes mehr denn je verinnerlichen und am Leben erhalten: Mach dein Ding. Sagen viele, ist klar. Aber dieser Mensch hat es eben auch gemacht, wie man es in jedem seiner Filme sehen kann.

War noch was? Ach ja, die Blätter. Die wurden dem jungen Mann nämlich als Geschenk überreicht, als Urkunde für die überstandene Feuerprobe.

»Wenn ich mal verrecke, verkaufst du die und gehst von dem Geld einen saufen!«

Nein, Klaus. Die Blätter bleiben bei mir. Danke dafür! Und für den Kaffee.

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