Das inklusive Theaterfestival Grenzgänger feiert seine 10. Ausgabe, und THINK BIG! freut sich auf viel junges Publikum. Beide Festivals haben viel Tanz im Programm, zum Zuschauen und zum Mitmachen.
THINK BIG! & Grenzgänger
Vermittlung durch Erfahrung
Wie bekommt man Publikum für die Kunst? Eine akute, und nach den Coronabeschränkungen besonders brennende Frage. Es gibt eine Menge Education-Programme. Es gibt Vorträge, Einführungen, die das, was dann später auf der Bühne stattfinden wird, erklären. Und es gibt Think Big!. Groß gedacht wird hier tatsächlich. Denn das Tanzfestival für junges Publikum ist wohl das schönste Kulturvermittlungsformat der Stadt. Und eines, das prächtig funktioniert, ohne jemals in einen drögen edukativen Erklärmodus zu verfallen. Denn die Kunst, die hier gezeigt wird, muss sich nicht erklären. Sie funktioniert. Ein großer Unterschied! Das liegt vielleicht auch daran, dass die Kuratorinnen Simone Schulte-Aladağ von Fokus Tanz und Andrea Gronemeyer von der Schauburg schon seit einem Jahrzehnt dort einfach qualitativ sehr hochwertige Stücke zeigen. Aber gleichzeitig Stücke, die sinnlich erfassbar sind, die dem jungen (und auch oft erwachsenen) Publikum eine ästhetische Erfahrung als solche bescheren – eine, die verfängt.
»Wir sind sehr froh, dass wir jetzt doch so ein schönes Programm und einige Workshops für diverse Zielgruppen präsentieren können«, sagt Simone Schulte-Aladağ. Am prominentesten in diesem Programm mit zehn Produktionen in 22 Vorstellungen ist wohl der Münchner Choreograf Moritz Ostruschnjak. Dessen Stück »Autoplay« von 2019 ist ein künstlerisches Mash-up aus zeitgenössischer Choreografie, reicht vom Videogame »Fortnite« über Shampoowerbung zum Selfie-Style auf Instagram. Die Posen sind leicht erfassbar – ihre Kombination wird zum reichhaltigen Kommentar.
Spannend ist aber auch, dass erstmals ein Stück für Kleinkinder bis drei Jahre gezeigt wird: die deutsche Erstaufführung »We dance we play we touch« der Second Hand Dance Company aus UK. Interessant ist auch die Uraufführung der Künstlerinnen Simone Lindner, Barbara Galli, Lara Paschke und Katharina Voigt. Unter dem Namen »Playing places« zeigen sie eine kollektive Tanzperformance mit vielen Münchner Tanzschaffenden auf dem Max-Joseph-Platz. Ganz nah an ihrer Welt wird das junge Publikum von der Par Terre Dance Company mit Anne Nguyen abgeholt: Nguyen kommt aus dem Hip-Hop, versteht diesen für sich als Bühnentanz und beschäftigt sich im Stück »Underdogs« mit den rebellierenden Außenseiter*innen unserer Gesellschaft. Tabea Martin stellt in »Geh nicht in den Wald, im Wald ist der Wald« Fragen nach Ängsten und Vorurteilen dem Fremden gegenüber. Und die belgische Compagnie Zonzo wird erstmals in München auftreten – mit zeitgenössischem Musiktheater für Kinder ab sechs Jahren.
Viel Tanz bietet in diesem Jahr auch das inklusive Grenzgänger-Festival am TamsTheater. Im zehnten Jahr gibt es vom 1. bis zum 10. Juli zwölf Produktionen aus sieben Ländern zu sehen. Darunter Diana Niepces »Dueto« – intim, zerbrechlich, sinnlich –, das gemeinsam mit »Gravity (and other attractions)« der Kölner Gruppe Un-Label das Festival eröffnen wird. Die britische StopGap Dance Company zeigt ein Open-Air-Stück, das sich mit Kindheitserinnerungen aus den Achtzigerjahren, Musik der Moulettes und dem Wandel der Wahrnehmung von Identität, Diversität und Gesellschaft auseinandersetzt. Das Ensemble Con aus Wuppertal beschäftigt sich in einem großen Gruppenstück hingegen mit zwischenmenschlicher Kommunikation.
Die (gesellschafts-)politische Ausrichtung der meisten Produktionen beider Festivals generiert sich dabei aus den thematischen Grundsätzen der Festivals, nicht aus der aktuellen Mode. Und damit greift auch hier: Vermittlung findet nicht durch Erklärung, sondern durch Erfahrung statt. Das funktioniert sowohl ästhetisch als auch politisch – und ist in beiden Fällen so viel reichhaltiger. ||
THEATERFESTIVAL GRENZGÄNGER
Verschiedene Orte | 1.–10. Juli | gesamtes Programm
THINK BIG!
Verschiedene Orte | 4.–13. Juli | gesamtes Programm
Weiteres zum Tanz in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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