Das Lenbachhaus zeigt im Kunstbau eine raumgreifende Sound-Installation des Avantgardemusik-Duos Mouse on Mars.

Mouse on Mars im Lenbachhaus

Beben und Zittern im Raum

mouse on mars

Mouse on Mars. Spatial Jitter | © Lenbachhaus, Foto: Lukas Schramm

Heutzutage kann man aus einem einzigen Ton ein ganzes Album machen, ließen die in Berlin lebenden Protagonisten der experimentellen elektronischen Musik Jan St. Werner aus Köln und Andi Toma (ehemals Jean Park) aus Düsseldorf wissen, als sie 2012 ihr Album »Patastrophics« präsentierten.

Nun hat das Lenbachhaus die beiden eingeladen, den Kunstbau ein paar Monate mit einer eigens dafür komponierten, zwei Stunden dauernden Klanginstallation mit dem Titel »Spatial Jitter« (Räumliches Zittern) zu bespielen. Untermalt wird das schrille Schnarren, wummernde Dröhnen, leise Tropfen, Säuseln und brüllende Donnern von einem zweitrangigen Lichtkonzept. Das Licht benötigt man auch dazu, dass man sich im mehr als hundert Meter langen, 15 Meter breiten und leicht gekurvten Kunstbauraum einigermaßen zurechtfindet.

Die Musik ist aufs Erste anstrengend und gewöhnungsbedürftig. Klar, das darf man von diesem Duo der avantgardistischen elektronischen Klangkunst erwarten, das von Musikexperten nicht einfach einzuordnen ist. IDM (Intelligent Dance Music) oder Ambient lauten die an sich schon unscharfen Schubladen, in die man die beiden gerne steckt. Aber zugleich verweist man auf die Einflüsse von Techno, Glitch, Breakbeat bis hin zu Post- und Krautrock. Das Lenbachhaus sagt dazu: Unabhängig von Denkschulen, Genrekonventionen und den Zwängen des Musik-Establishments zeichnen sie ihre sehr spezifische Flugbahn durch das Niemandsland zwischen Pop, Kunst, Club und Avantgarde. Den Künstlern dürften die Schubladen und Einordnungen egal sein. Sie schufen mit ihrer anarchischen Klangmischung, die zwischen Chaos und präzise komponierten Strukturen oszilliert, eines der eigenwilligsten Projekte für zeitgenössische elektronische Musik. Und erläutern, in ihrem außergewöhnlichen Kunstbauprojekt würde der Raum zum wichtigsten Akteur und zum riesigen Resonanzkörper, zum Klanginstrument.

Mouse on Mars haben einen aus einem Scheinwerfer selbst entwickelten Hornlautsprecher installiert, der sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten dreht und aufbäumt. Dazu kommen weitere von Michael Akstaller geschaffene Lautsprecherobjekte. An der fünf Meter hohen Decke hängen von Moritz Simon Geist entwickelte Perkussionsroboter. Und alles wird von einer komplexen, selbst entwickelten Software gesteuert.

Besonders freuen sich die Musiker, für die sich ein Traum erfüllte, dass sie nach vielen Jahrzehnten erstmals einen riesigen Raum bespielen dürfen. Bislang traten sie bevorzugt auf Bühnen auf, standen vor ihrem Publikum, das sozusagen bewegungslos (aber nicht uninteressiert) zuhörte. Jetzt sollen sich die Besucher im Sound, der auch auf sie reagiert, bewegen, durch den Raum laufen, sich einmischen. Die künstlerische Beschreibung dessen, was da passiert, klingt fast so futuristisch wie die Musik: »Ein Sound wird wie eine Flipperkugel in den Kunstbau katapultiert, bricht sich an dessen Säulen, verkantet sich, erzeugt Splitter, wird wieder aufgefangen und verglüht.« Könnte auch als Poesie durchgehen. Vereinfacht gesagt: Wo die mal harmonischen, mal disharmonischen Geräusche herkommen, lässt sich kaum bestimmen. Denn die Töne brechen sich an Wänden, Stützen (und Besuchern), und neben allen Lautsprechern mischen auch noch die Deckenroboter mit.

Den Künstlern geht es darum, das Publikum zu aktivem Hören zu bringen. Die Grenzen der Aufmerksamkeit bestimmen die Grenzen des akustisch Möglichen. Gezielte Perspektivwechsel sollen die Erkenntnis herausarbeiten, dass man sich nicht eine gültige Komposition passiv anhört – wie etwa im Konzerthaus oder in der Oper –, sondern dass jeder Hörer seine eigene »Spatial-Kompostruktion« erzeugt. Ist das schon partizipative Musikkunst?

Auf jeden Fall ist es für Mouse on Mars, die seit 25 Jahren ihre Praxis permanent mit neuen Fragestellungen weiterentwickeln, Teil ihrer akustischen Forschung. Darin untersuchen sie einerseits die Bewegung von Klängen in Raum und Zeit als auch psychoakustische Wahrnehmung und Erfahrung von Klängen. Dabei lauten ihre Fragen: Wie definiert man Hören und wie verarbeiten wir Menschen akustische Informationen? Oder: Wie aufmerksam können wir den Prozess des Hörens überhaupt verfolgen?

Inspirieren ließen sich die Künstler von Iannis Xenakis, Karlheinz Stockhausen oder La Monte Young. Kuratorin Eva Huttenlauch erwähnt auch Arnold Schönberg oder den Futuristen Luigi Russolo, der in seinem 1913 veröffentlichten futuristischen Manifest »L’arte dei rumori« als Musik der Zukunft die Geräuschkunst ankündigte. Er schrieb entsprechende Musikstücke und gilt heute als ein Wegbereiter der synthetischen Musik.

Warum aber veranstaltet das Lenbachhaus so etwas? Matthias Mühling, der Direktor des Hauses, will Gattungsgrenzen sprengen und die Schubladenwelt der bürgerlichen Kulturvorstellungen aufbrechen. Nicht mehr nur Konzerte in Konzerthäusern, Opern in Opernhäusern, Kunst in Kunsthäusern etc. Er spricht sich für Räume aus, in denen Künstler ihrer Fantasie nachgehen und dem Publikum vorstellen dürfen. So gesehen passt Mouse on Mars gut ins Konzept dieses Hauses, das ja die Kunst des Blauen Reiter beheimatet. Denn »Spatial Jitter« bestehe aus denselben sechs Elementen, die auch Künstler wie Kandinsky oder Franz Marc in ihren künstlerischen Analysen und theoretischen Schriften beschäftigten. Dabei handelt es sich um Ton, Licht, Farbe, Raum, Zeit und Bewegung. Das seien nicht nur die Basiselemente, die unsere Welt und das Universum zusammenhalten, sondern auch die der Kunst. ||

MOUSE ON MARS: SPATIAL JITTER
Kunstbau München der Städtischen Galerie im Lenbachhaus | U-Bahnhof Königsplatz, Zwischengeschoss | bis 18. Sept. | Di bis So, 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr | Performance: 24. Juni / 29. Juli, 19–21 Uhr | Konzert: 9. Sept., 21 Uhr, im Muffatwerk | Schallplatte mit eingeheftetem Booklet, Texte deutsch und englisch, zum Preis von 29,90 Euro

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