An »Dunkel lockende Welt« von Händl Klaus an den Kammerspielen werden sich sicher noch einige erinnern. Für das Festival »Ja, Mai« hat Staatsopernintendant Serge Dorny sich mit Volkstheater, Residenztheater und Kammerspielen zusammengetan, um die »Schwetzinger Trilogie« von Georg Friedrich Haas zu Librettis von Händl Klaus auf die Bühne zu bringen.
Ja, Mai
Von letzten Dingen
»Jeder Stoff braucht sein Gefäß, und das Musiktheater ist ganz sicher das Gefäß, um über die Grenze zu gehen, um in Todesnähe zu sein.« – Der das sagt und der es wissen muss, weil er mit den verschiedensten künstlerischen Gefäßen gearbeitet hat, ist der österreichische Dramatiker, Filmemacher, Lyriker und Librettist Händl Klaus. In seinen Werken liegen die machtvollen Ströme des Unaussprechlichen dicht unter der Oberfläche eines manchmal leichtfertig scheinenden und doch immer sorgsam kombinierten Parlandos.
Geplauder, das sich wie kleine Wellen kräuselt, die auf Bewegung in der Tiefe schließen lassen, ohne deren genaue Ursache zu verraten, während die Musik das Medium ist, das diese Wahrnehmung erst möglich macht. Natürlich braucht es dazu eine Musik, die diese besonderen Möglichkeiten ausschöpft, so wie die mikrotonalen Klangspektren des Grazer Komponisten Georg Friedrich Haas. Zu den stärksten Musiktheaterwerken des letzten Jahrzehnts gehören die drei Opern »Bluthaus«, »Thomas« und »Koma«, die aus der Zusammenarbeit von Händl und Haas hervorgegangen sind. Allesamt entstanden als Auftragsproduktionen für die Schwetzinger SWR Festspiele auf Initiative von deren damaligem künstlerischen Leiter Georges Delnon, kreisen sie, jedes für sich stehend, um die Themen Schuld, Liebe, Familie und Tod.
Für die erste Ausgabe seines neuen, der Begegnung von frühem mit zeitgenössischem Musiktheater gewidmeten Festivals »Ja, Mai« wollte Staatsopern-Intendant Serge Dorny eigentlich die gesamte »Schwetzinger Trilogie« in drei hochkarätig besetzten Neuinszenierungen und in Koproduktion mit dem Residenztheater, den Kammerspielen und dem Volkstheater präsentieren. Nun wurde die Premiere von »Koma« in der Regie von Romeo Castelucci und unter musikalischer Leitung des russischen Stardirigenten Teodor Currentzis mit seinem Orchester music-Aeterna auf das Jahr 2024 verschoben, noch bevor dessen finanzielle Abhängigkeit von der Putin-Administration in den Fokus geriet. Die offizielle Begründung: dass eine ausreichende Probenzeit für die Einstudierung der komplizierten Partitur, die über weite Strecken in völliger Dunkelheit auswendig gespielt werden muss, unter den bestehenden Einreisebeschränkungen für russische Musiker nicht gewährleistet werden konnte.
So bleibt es für diesmal bei den beiden Produktionen »Bluthaus« und »Thomas« mit einem umfassendem Begleitprogramm aus Konzerten, Filmen und Lesungen. Für die Inszenierung von »Bluthaus« im Cuvilliéstheater arbeitet der Opernregisseur Claus Guth auch mit Schauspielern des Residenztheaters zusammen, die Erfüllung einer alten Sehnsucht, wie er erzählt: »Für mich ist das ein Fest, mit diesen grandiosen Schauspielern zu arbeiten. Ich bin ja ein skurriler Fall. Es gibt viele Intendanten, die Schauspielregisseure fragen, mal eine Oper zu machen. Bei mir war es eher umgekehrt, aber es hat bisher terminlich nie geklappt. Jetzt ist es für mich eine Riesenfreude, mit Schauspieler*innen arbeiten zu dürfen, und vielleicht eine Vorstufe, dass ich dann auch mal Schauspiel mache. Der umgekehrte Weg, also.«
Im Zentrum des Librettos steht Nadja, die ihr Elternhaus verkaufen möchte. Die Sprechrollen sind die verschiedenen Kaufinteressenten, während Nadja, der Makler namens Freund sowie die Stimmen der toten Eltern, die aus der traumatischen Vergangenheit herüberdringen, für Singstimmen komponiert sind.
»Das Urbild, das ich vor Augen hatte, war das Sichtbarmachen von Blut mittels UV-Strahlung in der Dunkelheit. Das zog die Handlung nach sich«, erinnert sich Händl Klaus auf die Frage nach einem Auslöser für den »Bluthaus«-Stoff, auch um zu betonen, dass es ihm nie um so etwas wie eine Aufarbeitung der Kampusch- oder Fritzl-Fälle gegangen ist, die zur Zeit der Uraufführung durch die Presse gingen. »Das hätte ich nie im Leben gemacht!« Viel eher ist für ihn das böse Haus mit seinen Winkeln, Schächten und doppelten Wänden ein Motiv, das auch das Werk des bildenden Künstlers Gregor Schneider bestimmt, »Schutzraum und Gefängnis zugleich«, in das die Zuschauer mit eintreten. In allen drei Opern gibt es jeweils eine Figur, deren Innenleben und deren Erleben man teilt. Bei Nadja, der Protagonistin von »Bluthaus«, ist dies für Händl Klaus der Blick in einen geborstenen Spiegel: »Auch die Musik nimmt die Bewegung eines Malstroms auf, der dann zum Schluss zum Erliegen kommt. Denn das Schlimmste am Missbrauch ist ja, dass das Urvertrauen in die Welt zerstört ist, dass der, den man liebt, der Täter ist und damit alle weitere Liebe verunmöglicht.«
Für Guth zählt die Arbeit trotz seiner Erfahrung mit Uraufführungen mit zum Schwierigsten, was er bisher gemacht hat: »Jeder kommt da an seine Grenzen, was leistbar ist. Es ist nicht so, wie man es oft auch in zeitgenössischen Kompositionen erlebt, dass da ein Text auf irgendeine Art doch illustriert wird. Hier hat Händl Klaus über große Phasen bewusst harmlose Textplauderei gestaltet, und darunter liegen in Wellenlinien Spannungsverläufe, die den inneren Zustand von Nadja beschreiben. Das ist irrsinnig faszinierend gemacht. Natürlich gibt es immer wieder Treffpunkte, wo das Gesungene und das Orchester zusammenkommen, aber es entfernt sich auch wieder. Vom Bauchgefühl wird man in die eine Richtung geleitet und vom Kopf in die andere. Dadurch kommt ein irrer Spagat zustande. Man setzt sich hin und schnallt sich an, und dann geht da ein gewaltiger Psychotrip los.«
Dazu kommt die Freiheit, gerade weil es sich nicht um die Uraufführung, sondern um eine Nachinszenierung handelt, das Werk auf eine abstraktere Weise aus dem Geist der Musik auszuloten. Auch der Bühnenraum von Etienne Pluss ist nicht etwa ein nachgebautes Haus, sondern erzeugt Bewegung aus Licht und wechselndem Material. Was zählt, ist nicht die Abbildung von Realität, sondern innere Erschütterungen, die Zuspitzung des Erlebens durch die Augen einer Figur. »Ein Flashback«, so Guth, »in dem sich alles überkreuzt, was sich da im Seelenleben und im Unterbewusstsein angestaut hat.«
Eingerahmt und erweitert wird die aktuelle Komposition, so die Idee von Serge Dorny, jeweils von früher Opernmusik, in diesem Jahr sind es Werke von Claudio Monteverdi nach Wahl der jeweiligen Regie. Guth entschied sich für je einen Auszug aus »Il ballo delle ingrate« und dem »Lamento della ninfa«, Anne-Sophie Mahlers Inszenierung von »Thomas« im Utopia wird durch das »Lamento d’Arianna« ergänzt. Das zweite Werk der Schwetzinger Trilogie, in dem es ganz schlicht und umso intensiver um das Sterben und den Abschied von einem geliebten Menschen in einem Krankenhaus geht, ist für Händl Klaus eine besonders zentrale Arbeit, »ein Werk der Liebe und mir auch deswegen mein wichtigstes«, bestätigt er und fügt hinzu: »Ich bin so froh, dass die Oper uns das ermöglicht, dass wir in einem Raum sitzen und mitatmen können, während die da oben singen. Unbewusst singen wir ja mit und teilen dieses Erleben auf berührende Art. Diese Kraft, dieses Unmittelbare hat nur die Musik.« Wer sich dem aussetzen möchte, findet bei »Ja, Mai« eine besondere Gelegenheit dazu. ||
BLUTHAUS
Cuvilliéstheater | 21., 25. Mai | 20 Uhr
26., 28., 29. Mai | 20.30 Uhr
Tickets: 089 21851940
THOMAS
Utopia (ehem. Reitalle) | 23., 25., 27. Mai
20 Uhr | 29. Mai | 14 Uhr
Tickets: 089 21851920
Weiteres zum »Ja, Mai«-Festival und dem (Musik-) Theater in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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