Die umfassende Retrospektive der japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya im Haus der Kunst macht Nebelskulpturen erlebbar.
Fujiko Nakaya im Haus der Kunst
Flüchtige Momente
Das Überraschendste an der Ausstellung mit Nebelkunst der japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya ist der Raumeindruck, den man im Haus der Kunst so noch nie vermittelt bekommen hat: Die großen Pforten nach Osten zum Eisbach hin sind geöffnet, sodass das Gebäude erstmals von der Gartenseite aus betreten werden kann. Vorbei an einer Drei-Kanal-Videoinstallation mit Sutra-Rezitationen von buddhistischen Zen-Mönchen gelangt man in die große Mittelhalle, die in sanftes grünes Licht getaucht ist. Geleitet von den meditativen Klängen des Gongs aus der Videoprojektion umschreitet man auf Stegen ein großes Wasserbecken, von dessen Stirnseite aus sich ein genialer Blick eröffnet: einmal längs durch die unverstellte Halle, deren bleiverglaste Decke sich auf nie gesehene Weise im Wasser spiegelt, bis hinaus ins Grün des Englischen Gartens. Kurz kann man staunend verweilen, bis mit lautem Zischen Wasserdampf aus den großen Düsen in der Raummitte tritt, die Besucher zunehmend in dichte Schwaden hüllt und die Durchsicht vernebelt. Durch den Sog der geöffneten Türen zieht der Nebel ganz allmählich wieder ins Freie, um sich spätestens über dem Eisbach endgültig zu verflüchtigen. Mehrmals die Stunde wiederholt sich das Schauspiel, sodass man immer wieder neu eintauchen und die flüchtigen Momente aus allen möglichen Positionen heraus erleben kann.
Nicht nur in Japan ist Fujiko Nakaya für ihre Nebelskulpturen berühmt. Weltweit hat die 88-Jährige mehr als 90 große temporäre wie fest installierte Nebelinstallationen für Ausstellungen, Performances, Tanzinszenierungen und Skulpturenparks im Innen- wie Außenraum realisiert, von denen einige in Form von Videodokumentationen auch in München präsent sind. Umso erstaunlicher, dass diese Präsentation in München ihre erste umfassende Retrospektive außerhalb Japans ist.
1933 in Sapporo geboren und aufgewachsen hat Fujiko Nakaya in den USA und später auch in Paris und Madrid Kunst studiert. In ihren frühen Malereien, von denen einige in der Ausstellung gezeigt werden, hat sie sich mit Naturphänomenen auseinandergesetzt, beeinflusst von den Studien ihres Vaters UkichironNakaya, der ein bekannter Physiker war und den ersten künstlichen Schneekristall hergestellt hat. Doch bald schon erkannte die junge Künstlerin, dass die Malerei ihrem naturwissenschaftlichen Forscherdrang Grenzen setzte. 1966 schloss sie sich der Gruppe E.A.T., Experiments in Art and Technology, um Robert Rauschenberg und John Cage an, die die Zusammenarbeit mit Ingenieuren für gemeinsame Projekte suchte. Wie der Vater Schnee, so wollte sie Nebel herstellen und erarbeitete zusammen mit Wissenschaftlern eine geeignete Technik, die sie sogar patentieren ließ.
Ihr Engagement ging weit über das individuelle künstlerische Schaffen hinaus. Ihr Interesse an innovativen Technologien brachte sie nicht nur zur Herstellung von Wolken, sondern als eine der Pionier*innen der Videokunst unternahm sie eine ganze Reihe medialer Experimente, die sie auch für ihr soziales und politisches Engagement einsetzte. 1971 war sie Mitbegründerin des Künstler*innenKollektivs Video Hiroba, eröffnete 1980 Japans erste Videogalerie und organisierte 1987 ein internationales Videofestival in Tokyo. Auch hierzu sind einige frühe Arbeiten in der Ausstellung zu sehen.
Fujiko Nakaya, die die raumbezogenen Nebelskulpturen der Ausstellung vor Ort in München entworfen hat, ist ein Kind der 60er und 70er Jahre. Als Visionärin, die mit ihrer Kunst von Beginn an ein ökologisches Bewusstsein schärfen wollte, befeuerte sie in der Nachfolge von Marcel Duchamp, in der Vermischung von ostasiatischer und westlicher Tradition sowie in der Verbindung von Wissenschaft, Technologie und Kunst die Veränderung des herkömmlichen Skulpturbegriffs: Sie erklärte das Flüchtige von Nebel und Wolken ebenso zur Bildhauerei wie das fließende Medienbild.
Heute ist diese Entwicklung weiter fortgeschritten, man ist verwöhnt von den raffinierten Natursimulationen eines Olafur Eliasson oder auch von den zahlreichen künstlich erzeugten Wolkenskulpturen wie denen von Lyoudmila Milanova und Steffi Lindner. Und man kennt die unzähligen, über die Jahre perfektionierten Videoinstallationen mit gefilmtem Wasser, das über Monitore zu fließen scheint, von Fabrizio Plessi. In der Ausstellung ist eine frühe Variante dieser Idee von Fujiko Nakaya von 1978 zu entdecken, die zeitgleich wie Plessi die Analogie von fließendem Wasser und fließendem Fernsehbild entdeckte und auf überraschend ähnliche Weise künstlerisch umsetzte.
So ist die Ausstellung vor allem aus (kunst-)historischer Sicht interessant. Die Alleinstellung und Bedeutung der Künstlerin aus ihrer Zeit und Herkunft heraus gesehen sowie ihr unmittelbarer Einfluss, den sie auf nachfolgende Generationen ausübte – Künstler wie Olafur Eliasson, das japanische Performancekollektiv Dumb Type (Ausstellung im Haus der Kunst ab 5. Mai) oder vor allem Carsten Nicolai (Ausstellung ab 3. Juni) wären ohne sie nicht denkbar –, all das anhand der frühen Arbeiten, der ausführlichen Dokumentationen und vor allem der großartigen Entwurfszeichnungen zu sehen und zu verstehen, ist den Besuch wert.
Angesichts der Nebelinstallationen beschleicht einen jedoch ein gewisses Unbehagen. Es fällt schwer, bei den vom Dachfirst über dem Hauseingang aufsteigenden Dampfschwaden, mit denen die Künstlerin in einer ersten großen Installation die Besucher*innen auf die Ausstellung einstimmt, nicht an die tagtäglichen Fernsehbilder aus den Kriegsgebieten zu denken. Diese Analogie ist natürlich unerwünscht, lässt sich vielleicht auch wegignorieren. Beklemmende Gefühle überkommen einen aber, wenn in der schwimmbadartigen Halle, in der sich erwartungsvoll die Besucher*innen versammeln, durch die sichtbaren Düsen plötzlich zischender Dampf austritt und die Anwesenden langsam umfängt … Zwangsläufig fragt man sich, ob das Haus der Kunst, das die Erinnerung an seine belastete historische Vergangenheit lebendig hält, dafür der wirklich geeignete Ort ist.
Doch unbelastet von derlei Assoziationen begeistern sich vor allem die Kinder und springen und tanzen durch den künstlichen Nebel, wie ein eigens zur Ausstellung produziertes Video zeigt. Auch viele erwachsene Besucher*innen erfreuen sich an dem Erlebnis, das nach der Vorstellung der Künstlerin die Sinne für den Klimawandel schärfen soll. Schlussendlich ist es aber der besondere Raumeindruck, der sich in die Erinnerung einbrennen wird. Alle anderen Schattenbilder lösen sich hoffentlich im Nebel auf. ||
FUJIKO NAKAYA. NEBEL LEBEN
Haus der Kunst | Prinzregentenstr. 1
bis 31. Juli | Mo, Mi, Fr bis So 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr | Symposium »Technobodies«: 29.–31. Juli | Informationen und Führungen
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