Die Rathausgalerie in München zeigt Skulpturen von Kay Winkler, der danach fragt, ob man das Siegen besiegen kann.
Kay Winkler in der Rathausgalerie Kunsthalle
Das Siegerprinzip
Gewinnen müssen, immer der Erste sein, ständig vorne bleiben und die Konkurrenz auf Abstand und in Schach halten. Das ist, grob gesagt, das Muster, nach dem wir heute – nicht nur im Job, sondern häufig sogar im Privatleben – gerne funktionieren. Mal machen wir das freiwillig, ohne dieses Prinzip groß zu hinterfragen, mal gezwungenermaßen, weil es der Betrieb fordert. Manch einer treibt es sogar auf die Spitze: Etwa wenn man auch in der Freizeit immer höher hinaus will.
Diese Sorte Siegerprinzip dekonstruiert der Münchner Kay Winkler derzeit in der Münchner Rathausgalerie mit seiner Ausstellung »Ein Sieg über das Siegen – ein Paradoxon«. Das klingt zwar ziemlich rätselhaft. Aber die Schau selbst kommt erstmal geradezu ganz schön entspannt daher. Mit benutzten und teils beschädigten Baustellenbrettern, die der Künstler an den entsprechenden Orten einsammelte, baute er bis zu fünf Meter hohe Treppenanlagen. Der Besucher darf sich dran versuchen – und die Spitze erklimmen. Freilich ohne Absturzsicherung und nur auf eigene Gefahr.
Parkett und Fliesenbelag des Hallenbodens deckte Winkler mit einem aus alten Schalbrettern gebauten Podest so ab, dass das den Brunnen umgebende Wasserbecken optisch fast verschwindet. Die Brunnenanlage, die einst als Eyecatcher in der ehemaligen Kassenhalle fungierte, wirkt ja in den Kunstausstellungen häufig wie ein störender Fremdkörper. Winkler hat dieses Hindernis gut eingebaut in die Anlage seiner Siegertreppe.
Für die Zuschauer, die das Siegen hinten anstellen, hat er gegenüber eine kompakte Treppenanlage in Form einer Bank zusammengenagelt. Darauf kann man sich niederlassen und den Helden beim Gipfelsturm zuschauen. Auffällig sind auch die mit dem Rohen und Groben der Holzskulpturen kontrastierenden Blattgold-Applikationen auf den abgehalfterten Brettern. Winkler hat sie ganz oben auf der Treppe konzentriert angebracht.Allerdings nicht dekorativ wie von Goldschmieden, sondern genauso derb und fragmentarisch wie die Plastiken. Das Gold ist Symbol für die sportlichen Sieger. Früher erhielten sie einen Lorbeerkranz, heute eine Medaille aus Edelmetall.
Natürlich will Winkler mehr als die schmucke Säulenhalle mit goldverzierten Bretterbuden vollzuräumen, obschon dieser wohl überlegte Kontrast fasziniert. Die ganze, in nur zehn Tagen vor der Eröffnung aufgebaute Installation weckt zahlreiche Assoziationen. Nicht nur zum ständigen Wettbewerb, den allseits wartenden Konkurrenten und dem Siegerprinzip. Die Verlockung des Goldes in fast unerreichbaren fünf MeternHöhe verweist – dank der ungesicherten Wege dorthin – auch auf die Gefahren, denen man ausgesetzt ist. Das Gold ist lediglich aufgepappt, darunter finden sich brüchige, vielleicht sogar morsche Dielen. Auch das ein Sinnbild.
Man könnte noch lange so weiterspinnen, aber das kann der Besucher in der Schau vielleicht selber noch besser. Oder er liest den tiefsinnigen, wandfüllend angebrachten Essay, den die Philosophin Marina Martinez Mateo eigens für die Ausstellung geschrieben hat. Es ist keine einfache Kost, was sie uns unter dem Titel »Jenseits des Siegens?« bietet. Aber die Mühe lohnt: Denn dann wirkt die assoziationseiche Schau fast wie eine Illustration des Textes. Die beiden Elemente ergänzen sich trefflich. Martinez Mateo stellt erst einmal fest, dass es zwei Sorten Sieg sein müssen, wenn ein »Sieg über das Siegen« formuliert wird. Sie untersucht das gesellschaftlich geforderte Sie genmüsssen, das die Gestaltung unseres Lebens strukturiert. Winkler unterläuft das Siegerthema mit seiner bizarren Treppe. Da darf jeder hochsteigen. Er muss nur aufpassen, dass er nicht abstürzt.
Sport, Wettkampf, Wettbewerb oder die Ermittlung der Rangliste führt die Philosophin an. Beim Siegen lässt sich freilich auch der Krieg nicht ausblenden. Denn die Regel: »auf Leben und Tod siegen müssen« erhält da eine ganz elementare, existentielle Bedeutung. Und sie bringt die Ökonomie samt dem Franzosen Michel Foucault ins Spiel. Der bezeichnete unsere Marktlogik, die das Durchsetzen und Siegen verlangt, mit dem Begriff »neoliberal«. Um dieser alles bestimmenden militärisch-ökonomischen Struktur entgegenzutreten, zeichnet Martinez Mateo drei »Gegensiege« auf. Im christlichen Sinne wäre das Erlösung, dann kommt Liebe und schließlich Scheitern. Alles Sackgassen, meint sie. Aber jeder dieser Wege enthält Elemente, mit denen am Sieg über das Siegen ein Stück weiter gebaut werden kann. Hin zu jenem utopischen Ort, in dem das Individuum nicht mehr Gewinner sein muss. ||
KAY WINKLER: »EIN SIEG ÜBER DAS SIEGEN – EIN PARADOXON«
Rathausgalerie Kunsthalle | Marienplatz 8 (Innenhof) | bis 29. Mai | Di–Sa 13–19 Uhr, So 11–19 Uhr | Eintritt frei | Finissage mit dem Künstler: 29.5., 11 Uhr
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