Andreas Dresen hat einen Film über die Geschichte des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz gedreht. Statt wütender Politik-Anklage geht der Regisseur einen ungewöhnlichen Weg der Aufarbeitung. Im Zentrum seiner Erzählung steht dabei die Mutter Kurnaz’. Wir sprachen mit Andreas Dresen über ihre Rolle und seinen neuen Film.
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
»Sie hat fünf Jahre lang gekämpft«
Wo waren Sie am 11. September 2001? Was haben diese ikonischen Bilder in Ihnen als Filmemacher ausgelöst?
Am 11. September 2001 war ich in meiner Potsdamer Wohnung, hatte das Radio an und hörte um 15 Uhr Nachrichten. Dann kam diese irre Meldung, dass ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen ist. Ich habe gleich den Fernseher eingeschaltet und war von diesem Moment an live dabei. Das war ja für viele von uns ein absolut surrealer Moment, weil man das Gefühl hatte, in einem dieser amerikanischen Katastrophenfilme zu sitzen, obwohl einem zeitgleich dämmerte, dass das alles wirklich passiert und die Welt danach sicherlich eine andere sein würde. Und das ist sie dann mit all den verheerenden Folgen ja leider auch geworden. Ich habe den Eindruck, dass seitdem nichts wirklich einfacher, sondern viel komplizierter geworden ist.
Wann haben Sie das erste Mal bewusst vom umstrittenen US-Militärgefängnis Guantánamo gehört? Es existiert bis heute mit derzeit 39 Insassen.
Das muss so ziemlich genau vor zwanzig Jahren gewesen sein, als es gegründet wurde und ich das erste Mal von diesem Ort des Schreckens hörte. Schnell kamen die ersten Bilder, von denen wir eines auch in unserem Film verwendet haben. Diese seltsam orange-verpackten Menschen mit Kopfhörern, denen die Augen verbunden wurden und die auf dem Boden knien mussten, während um sie herum die GIs liefen, die sie rund um die Uhr bewachten. Das hat mich sofort geschockt und emotional aufgewühlt. Obwohl man damals von den ganzen Ausmaßen nur eine vage Ahnung hatte.
Die Folgen dieses politischen wie moralischen Versagens der USA mitsamt ihren westlichen Partnern reichen vom Irakkrieg über den Abu-Ghraib-Folterskandal bis hin zum desaströsen Abzug der internationalen Militärstreitkräfte aus Afghanistan.
Ja, die Folgen reichen bis in die Gegenwart hinein; all das ist immer noch sehr präsent, auch wenn der Anfang bereits zwei Dekaden zurückliegt. Leider wurde vieles bis heute nicht ordentlich aufgearbeitet.
Sie haben sich in der Figurenkonstellation Ihres Films gerade nicht auf Murat Kurnaz als zentralen Protagonisten konzentriert, sondern auf dessen titelgebende Mutter Rabiye. Warum?
Der Anfang meiner Bemühungen für diesen Film war natürlich Murat Kurnaz und seine unglaubliche Geschichte, die ich aus der Guantánamo-Perspektive angehen wollte. Dabei zeigte sich allerdings sehr schnell, wie schwierig das filmisch darstellbar ist. Alles schien zu kafkaesk und auch zu hoffnungslos…
… und etablierte Genrekonventionen aus dem amerikanischen Justiz- oder Revenge-Film würden hier sicherlich nicht greifen.
Das ist absolut richtig. Schließlich gab es in dieser furchtbaren Geschichte nie eine Chance auf Ausbruch oder wenigstens ein Gerichtsurteil. Nicht einmal Anwaltsbesuche oder irgendeine Art von Kommunikation unter den Häftlingen hätten das treibende Element sein können. Stattdessen Folter, Willkür und Düsternis. Welches Kinopublikum könnte das auf Dauer ertragen? Während ich mich mit diesen Fragen beschäftigte, lernte ich Murats Mama Rabiye bei einem Abendessen in Bremen kennen. Das Erste, woran ich mich erinnere, war ihr herzliches Lachen! Sie saß an unserem Tisch und hat die ganze Runde prächtig unterhalten. Ich habe mich sofort in diese Frau verliebt. Was ist das doch für eine tolle Person, dachte ich auf der Rückfahrt nach Berlin. Sie hat fünf Jahre gekämpft, und am Ende konnte ihr Sohn tatsächlich nach Deutschland zurückkehren. Vielleicht wäre das ja eine viel bessere Perspektive für die Erzählung? Nachvollziehbarer und auch hoffnungsvoller. Eine Mutter kämpft um ihren verlorenen Sohn, das versteht man doch überall auf der Welt.
Im Zuge dessen trafen Sie auch mehrmals Murat Kurnaz, der heute wieder verheiratet ist und drei Kinder hat. Welchem Menschen sind Sie da begegnet?
Ich hatte natürlich sein Buch gelesen, das mich sehr mitgenommen hat. Ich weiß noch, mit welchem Respekt ich ihm das erste Mal gegenüberstand, weil er ein echter »Kerl« ist: Gefühlt so breit wie hoch, hatte er wirklich riesige Muskelpakete. Ich selbst bin ja eher schmal. Murat ist ein toller Mensch, weil er so sanft und gütig ist. Ich habe ihn mal gefragt, ob er die Amerikaner jetzt hasse für das, was sie ihm angetan haben. Er hat das sofort verneint. Es gab für ihn nie nur »die Amerikaner«. Selbst in der Wachmannschaft von Guantánamo waren nicht alle schlecht zu ihm. Er ist erstaunlicherweise frei von Bitterkeit, was vielleicht auch mit seinem Glauben zu tun hat. Er hat nie eine Therapie gemacht. Bei allem, was er ertragen musste, hat mich das sehr gewundert. Letztlich muss er ein in sich sehr stabiler Mensch sein, sonst hätte er diese schwere Zeit mit all ihren Schrecken gar nicht überlebt. Er hat mir auch furchtbare Dinge erzählt, die nicht in seinem Buch stehen, überraschenderweise manchmal sogar mit Humor. Das macht ihn seiner Mutter sehr ähnlich.
Zugleich steht eine offizielle Entschuldigung oder Entschädigung seitens der Bundesregierung bis heute aus. Der damals zuständige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, der gerade zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt wurde, hatte 2002 keinerlei Interesse an einer Auslieferung seitens der USA bekundet.
Ich finde es skandalös, dass sich damals auf deutscher Seite kein Politiker bewegt hat. Jeder Mensch macht Fehler, natürlich, aber nach nunmehr fast 20 Jahren wäre es an der Zeit, diese endlich einzugestehen. Murat Kurnaz und seine Familie haben eine Entschuldigung und Entschädigung verdient.
Welcher Gerechtigkeitssinn treibt Sie an? Seit fast 10 Jahrennsitzen Sie als Laienrichter im Brandenburger Verfassungsgericht und treten in einem Cameo-Auftritt selbst in Robe in Erscheinung.
Das Verhalten unserer Politiker im Fall Murat Kurnaz war unsäglich. Sie haben ihm nicht nur die Hilfe verweigert, sondern auch aktiv dafür gesorgt, dass er in Guantánamo bleiben musste. Es gibt viele Dokumente, die dieses Fehlverhalten belegen. Was für eine Schande! Wenigstens jetzt könnte man ihn um Entschuldigung bitten, auch wenn er sich dafür natürlich auch nichts kaufen kann, weil man ihm fünf Jahre seines Lebens geraubt hat. Aber es wäre zumindest ein Zeichen moralischen Anstands, was ich gerade auch von einem Bundespräsidenten unbedingt erwarte. ||
RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH
Deutschland 2022 | Regie: Andreas Dresen
Mit: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Cornell Adams u.a.
100 Minuten | Kinostart: 28. April
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