An Ernst Kreneks Jazzoper »Jonny spielt auf« kann man vieles herantragen. Das Gärtnerplatztheater sucht den Kompromiss.
»Jonny spielt auf« am Gärtnerplatztheater
Der blinde Fleck
Im Nationaltheater war der Welterfolg von 1927 damals kulturpolitisch unerwünscht. Also spielte das Gärtnerplatztheater im Jahr darauf die umstrittene »Jazzoper«. Doch schon in der Premiere warfen braune Schergen Stinkbomben, am zweiten Abend ließen sie weiße Mäuse laufen. Folgerichtig empfing eine Plakatprojektion von 1928 das heutige Premierenpublikum: »Die Schande von München« war auf dem Eisernen Vorhang zu lesen. Das Bühnenteam um Regisseur Peter Lund sah sich aber vor allem mit der Problemstellung des »Blackfacing« konfrontiert: Wie heute mit der viele weiße Klischees verkörpernden Hauptfigur umgehen? Denn der als künstlerisches Sensatiönchen gefeierte »farbige« Jonny spielt Jazzgeige, zieht Frauen an (und aus), er lügt, stiehlt und gaunert sich so durch die Unterhaltungswelt. Dem eitlen Salongeiger Daniello klaut er eine wertvolle Violine. Das Zimmermädchen Yvonne nutzt er aus. Die Konzertsängerin Anita umgarnt er. Der an sich und seinem Künstlertum leidende, dennoch Anita liebende Komponist Max springt erst im letzten Moment auf ihren Zug Richtung Amsterdam auf, während Jonny final allen klar macht: »Es kommt die neue Welt übers Meer … und erbt das alte Europa durch den Tanz.«
Dafür hat der vom jungen Duke Ellington und anderen beeindruckte Krenek eine durchs gehetzt-sprunghafte Tempo der »Goldenen Zwanziger« geprägte, rhythmisch immer wieder reizvolle »Zeit-Oper« geschrieben. Jazz klingt wenig durch und an. Zwar sind die Gefühle groß, doch die Musik lässt sie nicht aufblühen, sondern bricht ab und jagt weiter, Kanten, Brüche und Wechsel allenthalben. Das dirigierte Michael Brandstätter zupackend und voller Elan. Der agile Jonny von Ludwig Mittelhammer, die wie die Nackttänzerin Anita Berber sich im hautengen roten Kleid spreizende Maria Celeng (mehrfach höhenscharf, dafür von Daria Kornysheva ganz à la Otto-Dix-Gemälde kostümiert), der an Rodolfo Valentino erinnernde Salongeiger Daniello von Mathias Hausmann, der freudianisch zerrissene Komponist von Alexandros Tsilogiannis und das gleichsam im Triadisches-Ballett-Kostüm auftretende Zimmermädchen von Judith Spießer sowie alle Nebenfiguren, grell bis hektisch vorgeführt, durchweg gut singen.
Dazu löste sich der an Lion Feuchtwanger erinnernde »Wartesaal« von Jürgen Franz Kirners Bühne technisch sehr gekonnt in kreisende Trennwände, den seelischen Halt gefährdende Schrägen, hereinfahrende Treppenhäuser oder öde Behördengänge auf. Stilistisch wurden immer wieder Neue Sachlichkeit, Bauhaus und Expressionismus-Nachklang beschworen. Ein durchweg hochklassiger Musiktheaterabend also, der andererseits in seiner Sachlichkeit den damaligen Skandalkaum nachvollziehbar machte und der auch Kreneks Musik als zu wenig »singulär skandalös« charakterisierte. Warum dann Jonny sich anfangs eine schwarze Gesichtsmaske schminkt, von der Heimkehr nach Alabama singt, im Libretto formulierte rassistische Klischees ausspricht und sich dennoch am Ende in einen weißen Sänger mit Blondhaar zurückverwandelt, ist dramaturgisch nicht nachvollziehbar und eher künstlerisch kleinmütig. Doch in der Münchner Aufführungsgeschichte hat das Gärtnerplatztheater trotzdem einen lange bestehenden »blinden Fleck« bunt, turbulent und schon auch mal kess getilgt. ||
JONNY SPIELT AUF
Gärtnerplatztheater | 22., 26., 29. Mai
18 und 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851960
Weitere Texte zum musikalischen Geschehen in München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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