Das Lenbachhaus zeigt mit »Dip in the Past« farbintensive und materialsensible Gegenwartskunst aus der Sammlung der KiCo-Stiftung und eigenen Beständen.

»Dip in the Past« im Lenbachhaus

Malerei-Malerei

dip in the past

Loie Hollowell: »Split orbs in pink, blue and push« | 2021 | Öl, Acryl und Hartschaum auf Leinen auf Holzplatte, 121,9 x 91,4 x 9,5 cm | Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Schenkung Avi Rosen, © Loie Hollowell

»Dip in the Past« – »in die Vergangenheit eintauchen« – lautet der Titel der neuen Ausstellung im Münchner Lenbachhaus. Und er ist doppeldeutig. Gräbt nun das Museum in seinen Depotbeständen, in der Vergangenheit seiner Erwerbungen? Irgendwie auch, denn die gezeigten Arbeiten stammen allesamt aus der Sammlung des Hauses oder der dort beheimateten KiCo-Stiftung, die das Lenbachhaus seit Mitte der 90er Jahre zuverlässig unterstützt.

Aber das ist nicht alles. Es sind die neun präsentierten Künstler*innen, die sich in ihren Werken auf unterschiedlichste Weise auf Traditionen der Nachkriegsmoderne beziehen – und mit diesem Abstecher in die Vergangenheit sich mit der Historie der Malerei und ihren verschiedenen Erweiterungsformen beschäftigen. Sie gehören unterschiedlichen Generationen an und besitzen unterschiedliche kulturelle Prägungen, was sich teils auch in den Arbeiten widerspiegelt.

Interessant ist etwa das Thema Gewebe, wobei die Malerei ja schon mit ihrem konventionellen Grundelement der Leinwand als Farbträger das Textile sozusagen inkorporiert hat. Matti Braun (geb. 1968 in Berlin), der mütterlicherseits finnische Wurzeln hat und in Köln lebt, und die 1972 in Comox/Kanada geborene Wahlberlinerin Shannon Bool haben den traditionellen Malgrund gegen Seide ausgetauscht. Das ist aber schon die ganze Gemeinsamkeit. Während Brauns zarte, absolut abstrakte Bilder fast einfarbig sind und einen geradezu magisch schimmernden Charakter aufweisen, kehrt Bool – als Einzige der Ausgewählten – nicht selten zur Figuration zurück. Klar erkennbar ist etwa Eva, die gerade den verbotenen Apfel pflückt, was bekanntermaßen zur Vertreibung aus dem Paradies führte. Titel der Komposition von 2010: »Woman in Garden«.

Ebenfalls Textiles beinhalten die farbenprächtigen, geradezu bunten Abstraktionen des ghanaischen Malers Atta Kwami (1956 bis 2021), dem ein Jahr vor seinem Tod der Maria-Lassnig-Preis 2021 zugesprochen wurde. Kwami spielt mit den Farb- und Formimprovisationen, die für ghanaische Architektur und Stoffmuster, insbesondere für Kente, charakteristisch sind. International bekannt wurde er mit seinen Kiosk-Skulpturen und Torbögen, die als erweiterte dreidimensionale Gemälde konzipiert sind.

dip in the past

Atta Kwami: »Mass Rallentando« | 2008 | Acryl auf Leinwand,
150 x 105 cm | Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, © the estate of the artist

Prominent vertreten ist der 1968 in Bukarest geborene und seit 1998 in Berlin lebende Daniel Knorr, der auf der Kasseler Documenta 14 aus dem Zwehrenturm 163 Tage lang zehn Stunden pro Tag weißen Rauch aufsteigen ließ. Im Lenbachhaus ist nun eine halb verrostete Leiter von ihm zu sehen. Titel: »Dip in the Past, Solo« – also wie der Titel der Ausstellung. Inspirieren ließ sich der Konzeptkünstler, der einst an der Münchner Akademie bei Olaf Metzel studierte – von was wohl ?, – einer halb verrosteten Leiter. Sie war lange Zeit ins Erdreich eingegraben, wobei der eingegrabene Teil völlig korrodiert war. Knorr stellte diesen Zustand nun künstlich her, was freilich viel ästhetischer aussieht als beim Original. Die Rostpatina verleiht dem einst soliden, standfesten Objekt nun eine instabile, schadhafte, zersetzte Anmutung. Deutlich sichtbar wird hier ein wesentliches künstlerisches Anliegen von Knorr: Geschichte sichtbar zu machen sowie die Prozesse, durch
die unsere Geschichtsschreibung gesellschaftlich konstruiert wird.

In der Arbeit »Depression Elevations« sind pigmentierte Polyurethan-Abgüsse zu sehen, die der Künstler an einem römischen Mosaik in Athen und in der Axel-Springer-Straße in Berlin abgenommen hat. Er sucht nach historisch bedeutsamen Orten und konserviert sie ausschnitthaft in Kunstharz. Auch hier spiegelt die Oberflächenstruktur Witterung und materielle Abnutzung wider. Um den originalen Untergrund nicht zu beschädigen, verwendet er beim Abguss Alginat: das gleiche Material, das der Zahnarzt beim Gebissabdruck hernimmt.

dip in the past

Shannon Bool: »Girl and Window« | 2011 | Öl, Batik auf Seide über Acrylglas, 40 x 30 cm Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Sammlung KiCo, © Shannon Bool und Kadel Willborn, Düsseldor

Gift ins Spiel kommt in der ebenfalls ausgestellten, aus drei etwa zwei Meter hohen Acrylglaszylindern bestehenden Arbeit »Capillaire« von 2015. In homöopathischer Verdünnung enthalten die Röhren Anthrax, Arsen und Belladonna, das aus der Schwarzen Tollkirsche gewonnen wird. Die ausgewählten Giftstoffe, die eng mit der menschlichen Kulturgeschichte verknüpft sind und teilweise früher als Heilmittel Verwendung fanden, verleihen den Rundlingen auch ihre Farbigkeit. Knorr betrachtet in »Capillaire« die komplexe Systematik von Toxinen – ihre Zusammensetzung, ihre Handhabung und ihren Effekt auf den menschlichen Körper – und stellt sie in einen größeren biopolitischen Zusammenhang.

Ganz abstrakt und richtig dick trägt der 1933 in Halberstadt geborene Rolf Rose die Farbe auf die Leinwand auf. Er verzichtet auf den Pinsel, benutzt Rakeln und Spachtel, um die geleeartige Farbmasse direkt auf der Leinwand zu mischen. Mit einem Zahnspachtel durchkämmt er den Brei und erzielt so stofflich erfahrbare Oberflächen mit Rillen. Das Gemälde wird zum flachen Relief. Die 1983 im kalifornischen Woodland geborene, in New York lebende Loie Hollowell erzeugt eine reliefartige Bildoberfläche mit Hilfe von Schaummasse. Motivisch verbindet sie in ihren abstrakten, farbintensiven Gemälden die geometrische Ästhetik der Psychedelic Art der 1960er Jahre mit einer zeitgenössischen, spirituell geprägten Bildsprache, die sie etwa aus dem hinduistischen Tantra entleiht. Die Formen und Proportionen der Kompositionen leitet sie übrigens von ihrem Körper ab.Schön an der kleinen feinen Ausstellung ist, dass man sich an ihr auch ohne theoretischen Tiefgang erfreuen kann. Einfach so genießen. ||

DIP IN THE PAST. GEGENWARTSKUNST AUS DEM LENBACHHAUS UND DER KICO STIFTUNG
Städtische Galerie im Lenbachhaus
Luisenstr. 33 | bis 15. Mai | Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Freitags 15–17 Uhr Kunstgespräche (gratis)

Weitere Ausstellungsrezensionen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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