Der Frühling kommt, doch für gelungenes Heimkino ist keine Jahreszeit falsch. Dieses Mal mit dem kontroversen Kultfilm »Der Nachtportier« und dem Frühwerk einer der bedeutendsten deutschen Regisseurinnen.
Der Nachtportier
Faschismus und Erotik – bei der Verbindung dieser beiden Wörter stellen sich alle Körperhaare auf. Da darf doch im Grunde kein Zusammenhang bestehen. Trotzdem finden sich immer wieder Kunstwerke, die den Schrecken und die Lust auf hohem Niveau zusammenbringen. Eines davon erhält nun endlich eine würdige deutsche Heimkinover- öffentlichung: Liliana Cavanis »Der Nachtportier«.
Die Geschichte spielt im Jahr 1957, als die Wogen des Dritten Reiches geglättet scheinen, die Wunden aber in Wirklichkeit noch bluten. Der ehemalige SS-Mann Max (Dirk Bogarde) hat sich inzwischen in eine bürgerliche Existenz als Nachtportier eines Wiener Nobelhotels retten können. Das Leben als »Kirchenmaus«, abseits von Schuld und Sonnenlicht, scheint ihn zu entlasten, für den Rest soll eine Art Gruppentherapie mit seinen ehemaligen Kameraden sorgen. Dann erscheint jedoch Lucia (Charlotte Rampling) im Foyer, und der schöne Schein erlischt. Die junge Frau war damals in dem KZ interniert, in dem Max »Arzt spielte«. Zwischen beiden entstand eine sadomasochistisch geprägte Liaison. Oder war es Missbrauch? Cavani legt die Karten nicht offen auf den Tisch. Ist die Vorstellung nicht auch viel schockierender, wenn es sich bei Täter und Opfer wirklich um ein Liebespaar handelt? Als Lucia und Max ihre Beziehung wieder aufnehmen, wird schnell klar, dass sie nur im Untergang enden kann. Die alten Kameraden sehen es schließlich nicht gern, wenn sich eine Zeugin in ihrer Nähe bewegt.
Als »Der Nachtportier« 1974 erschien, war der Skandal in Liliana Cavanis Heimatland groß. Der Film wurde in Italien kurzerhand beschlagnahmt. Offensichtlich lag das weniger an der Nazithematik, sondern mehr an der weiblichen Perspektive auf Sexualität. Speziell eine Sexszene, die das Paar in der Reiterstellung zeigt, war für das Sittlichkeitsgefühl jener Tage wohl zu viel. Erst nach einem Streik der Filmindustrie, angeführt von niemand geringerem als Luchino Visconti, wurde »Der Nachtportier« wieder freigegeben und erfreut sich seither einer treuen Anhängerschaft.
Und auch wenn der Film von einer verstörend-erotisierenden Atmosphäre lebt, er ist keiner der zahlreichen Exploitation-Streifen, die im Anschluss die Bahnhofskinos füllten. Weder ergeht er sich in Schaulust, noch ist er lediglich eine Metapher auf die Schrecken der Naziherrschaft. »Der Nachtportier« ist ein vielschichtiges Psychogramm voller Szenen, die Lust und Zärtlichkeit, aber auch Todesnähe und Zerfall atmen. Die ganze Tragweite erkennt man erst nach mehrmaligem Ansehen, weshalb sich die Anschaffung mehr als lohnt. Leider sind die edlen Mediabooks aus dem Hause Wicked Vision in der Zwischenzeit vergriffen, doch das sollte die Freude nicht schmälern. Speziell das Blu-Ray wartet mit großartigem Bonusmaterial auf, darunter ein aufschlussreiches Videoessay des Berliner Filmprofessors Marcus Stiglegger. Auch wenn der Aufenthalt bei »Der Nachtportier« kein einfacher ist, Einchecken sollte man hier auf jeden Fall. ||
MATTHIAS PFEIFFER
DER NACHTPORTIER
Italien, Frankreich 1974 | Regie: Liliana Cavani
Mit: Charlotte Rampling, Dirk Bogarde, Philippe Leroy u.a. | 114 Minuten | Erhältlich auf DVD, Blu-ray und im 4K-Stream
Margarethe von Trotta – Die frühen Filme
»Es könnte schon gehen, aber sei doch mal ehrlich, wenn du tust, was du willst, dann lebst du gefährlich. Freiheit, das heißt doch für die, die dich lenken: Frei bist du nur, wenn du tust, was sie denken«, schmettert ein blutjung-verführerischer Konstantin Wecker am Klavier in Margarethe von Trottas selten gezeigtem Frauen-Diskurs-Drama »Schwestern oder Die Balance des Glücks« (1979). Zusammen mit »Heller Wahn« (1983) und »Das zweite Erwachen der Christa Klages« (1978) wurden im Zuge des 80. Geburtstags der wahlweise in München und Paris lebenden Autorenfilmerin zahlreiche ihrer feministisch grundierten Hauptwerke erstmals als Blu-Rays veröffentlicht. Neben ihren Welterfolgen »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« (zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Volker Schlöndorff), »Rosa Luxemburg« (1986) und »Die bleierne Zeit« (1981), für den sie als erste Frau nach Leni Riefenstahl den Goldenen Löwen in Venedig errang, lohnt sich in dieser digital vorzüglich restaurierten Miniwerkausgabe vor allem der Blick auf die titelgebenden »Frühen Filme«. Also mitten hinein in die graubraune BRD der späten 1970er-Jahre, in der es ausschließlich Chefsekretärinnen wie die grandiose Jutta Lampe in »Schwestern oder Die Balance des Glücks« gab, die einerseits vor ihrem sexistischen Chef Münzinger (Heinz Bennent) kuschen und andererseits gegenüber den minder bezahlten Schreibkräften aus dem Großraumbüro wenig damenhaft auftreten.
Und gleichzeitig zurück in eine immer noch weitgehend patriarchale Gesellschaftsstruktur, in der es auch ihre Schöpferin keineswegs leicht hatte: »Werner Herzog hatte mir gleich nach meinem Erfolg in Venedig gesagt, dass sie mich nun in Deutschland dafür hassen werden.« Denn Frauen waren damals selbst nach den Pionierleistungen durch Ula Stöckl, Helma Sanders-Brahms oder Jutta Brückner auf deutschen Regiestühlen vor allem eines: unerhört. Trottas emanzipatorisch-aufrührerische Filmarbeiten wurden im Ausland (»Die Italiener lieben mich bis heute«) deutlich umfangreicher wahrgenommen als daheim. Darin sind gerade ihre starken Protagonistinnen gleichsam so rigoros wie sensibel, wodurch Barbara Sukowa, Angela Winkler oder Jutta Lampe (1937-2020) zur ersten Garde aufstiegen und selbst international für Furore sorgten. Gerade in jenen empfindsamen Seelen- wie politischhistorischen Gesellschaftspanoramen, die als Schlüsselwerke von Trottas fungieren, sind sie als faszinierende Heroinnen filmgeschichtlich unerreicht – und zugleich von einem jüngeren Publikum erstmals zu entdecken. Oder um es mit einem Filmtitel Marco Ferreris aus demselben Jahr wie »Die bleierne Zeit« auszudrücken: »Die Zukunft heißt Frau«. ||
MARGARETHE VON TROTTA – DIE FRÜHEN FILME (DIGITAL RESTAURIERT)
Deutschland 1975–1986, 631 Minuten | 6 Filme auf 6 Blu-rays / DVDs | zahlreiche Extras im Bonusmaterial | Arthaus, 2022
Weitere Filmkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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