Einerseits Raumnot, andererseits Leerstand: Gut, dass es Künstler gibt, die für jeden Quadratmeter dankbar sind.

Raum für Künstler in München

Geförderte Hausbesetzung

Wenig Raum und wenn, dann teuer. Es ist lange bekannt, dass München ein Platzproblem hat, dem nicht so leicht beizukommen ist. Ein magisches Wort hört man in den letzten Jahren jedoch überall flüstern: Zwischennutzung! Ein Konzept zur temporären Nutzung von Gebäuden, die aus diversen Gründen leer stehen, am häufigsten, weil sie sich kurz vor einer Renovierung oder einem Abriss befinden. Besonders die bunt pulsierende, innovativ stetig brodelnde Szene an kreativen Startups und Freelancer*innen, Künstler*innen und Autor*innen, Designer*innen und ideenreichen Köpfen der Kreativwirtschaft haben diese Leerstände für sich entdeckt.

Kaum mehr wird Zwischennutzung mit Hausbesetzung assoziiert. Dafür sorgen auch diverse Förderprogramme. Auf Bundesebene gibt es seit April 2021 den Sonderfonds »Innenstädte beleben« der Städtebauförderung, ganze 100 Millionen Euro werden zur Verfügung gestellt. Im Mittelpunkt der Förderung stehen Fragen wie: Wo entwickeln sich die Innenstädte hin? Und: Wie können Innenstädte so attraktiv gestaltet werden, dass Menschen gerne dort hingehen? Es ist naheliegend, dass die Kreativwirtschaft in München nicht nur für sich einen Vorteil in der Nutzung günstiger Räume sieht, sondern auch aktiv Antworten auf diese Fragen sucht und innovative Lösungen parat hat. Eine WinWin-Situation, sollte man meinen. Oder? Jein, das Gras ist nicht unbedingt so grün, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Nachfrage nach bezahlbaren und geförderten Räumen von künstlerischer und kreativer Seite ist enorm. Für jede Nutzung gibt es Bewerbungsprozesse, die oft viel verlangen: Visionen, Ziele, Vorhaben und professionelles Arbeiten. Für aufsteigende Kreative, die durch ihr Schaffen noch nicht ihren Lebensunterhalt verdienen, sind solche Anforderungen häufig schwer zu erfüllen. Trotz Förderungen können sie oft die Mieten nicht stemmen. Dabei sind sie es, die solche Orte am meisten benötigen.

Häuser in die Hand nehmen: Beispiel Ecke 2

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In der Ecke2 ist Platz für Kunst und Künstler, …

Einen anderen Weg ohne städtische Förderung, jedoch trotzdem mit großem Vernetzungspotential, geht eine Frau in Moosach. Ulla Wohlgeschaffen hat einem alten Haus in Moosach wieder neues Leben eingehaucht. Bis vor fünf Jahren gehörte es Frau Niedermeier, ihre Kinder haben es nach ihrem Tod an einen Bauträger verkauft. Zunächst stand es lediglich leer, durch mangelnde Pflege wurde es zunehmend zu einem Ort, der wilde Feiern anzog. Früher gab es einen schönen Garten, nun wurde Müll über den Zaun geworfen. Bis eine Nachbarin Ulla Wohlgeschaffen ansprach, ob der Ort nicht ideal für ihre Initiative »Malspiel mobil« wäre. Angeta von der Idee kontaktierte sie den Bauträger und dieser willigte ein, auch wenn er etwas in der Art zuvor noch nie gemacht hatte. Und so war die »Ecke 2« geboren, beheimatet in der Eckehartstraße 2. Zusammen mit der tatkräftigen Unterstützung von Trixie Weber und Jürgen Thomys richteten sie die untere Etage ein, bestehend aus zwei Räumen, einem Badezimmer und einer geräumigen Küche. In einem der Räume befindet sich der Malort, an dem das Malspiel stattfindet. Dessen Idee ist es, dass Klein und Groß, Jung und Alt in einem lebendigen Tun ein Malerlebnis erfahren. Nicht ergebnisorientiert, sondern ganz frei. Das Konzept geht zurück auf den heute 97 Jahre alten Arno Stern, einen deutschfranzösischen Pädagogen und Forscher, der in der Nachkriegszeit bei seiner Arbeit mit Heimkindern entdeckte, dass in einem wirklich (wertungs-)freien Raum eine Kreativität freigesetzt wird, die Bilder entstehen lässt, die nicht dem Werkgedanken, sondern vielmehr einer Art bildnerischen Ursprache entspringen. Was da auf den an die Wand gepinnten Papieren entsteht, ist nicht ausschlaggebend, sie dürfen auch nicht mit nach Hause genommen werden. Wichtig ist einzig das Malen unter bestimmten Bedingungen. Wer es selbst einmal erleben möchte, sollte den Malort unbedingt besuchen, wer man ist, ist dort egal, alle sind gleichermaßen willkommen.

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… ebenso wie im idyllischen Garten
© Ralf Dombrowski (2)

Das gilt auch für die restliche Ecke 2, denn sie bietet nicht nur das Malspiel. Es wurde auch ein Ort der Begegnung geschaffen. Zunächst in der Nachbarschaft sehr gut angenommen, kommen mittlerweile auch Menschen von weiter her. Der zweite Raum wird nach einer zufällig entstandenen Idee mittlerweile als Ausstellungsraum genutzt. Nachdem eine Schülerin der Berufsschule, an der Ulla Wohlgeschaffen unterrichtet, ihre Zeichnungen im Cyberpunk-Stil ausstellte, waren Künstler und Künstlerinnen aller Art zu Gast. Renommiert oder nicht, das spielt keine Rolle, jeder ist mit Ideen willkommen. Entstanden sind Projekte wie Schreibmaschinen-Poesie von Luisa Pointner, Kunst zum Mitnehmen von Katinka Dermietzel oder großformatige Bilder von Ralf Dombrowski, die in den Bäumen des Gartens hängen. Bald wird es die Ausstellung »Ein retrofuturistischen Traum – die Zukunft von gestern heute erdacht« von Wanja Belaga zu sehen geben. Wer die Termine und Happenings nicht verpassen will, kann auf dem Instagram-Kanal der Ecke 2 vorbeischauen. Abgesehen von den Ausstellungen wurden bereits eine Kleidertauschparty veranstaltet, ein Sommerfest und ein Weihnachtsmarkt im coronabedingten Taschenformat, das »Lichtgestöber XXS« mit hand- und hausgemachten Spezialitäten, Kunst und Handwerk. Das Haus und sein Garten sind ein Ort für besondere Menschen mit Ideen und viel mehr als eine Zwischennutzung – Ulla Wohlgeschaffen hat das Haus neu belebt, zusammen mit allen Menschen, die die Ecke 2 bisher besucht haben. Hier werden Freundschaften geknüpft, nicht nur Netzwerke.

Auch einen Podcast gibt es mittlerweile, »Der Plauderbaum«, zu finden auf Spotify. Unter dem wunderschönen Apfelbaum spricht Ulla Wohlgeschaffen mit Menschen über besondere Lebensgeschichten und Projekte. Der Wermutstropfen: Eine Zwischennutzung muss irgendwann zu Ende gehen. Ein Jahr nur konnte das kreative Projekt brodeln, mit etwas Glück darf es noch etwas länger bleiben. Das Malspiel wird jedoch weiterleben, dazu ist es schließlich mobil. Für Ralf Dombrowski, Fotograf, Autor und Jazz-Experte, der seine Bilder im November 2021 in der Ecke2 präsentierte, steht fest, dass die Kunst sich ohnehin auch in den digitalen Raum bewegen wird, als eine Art digitale Zwischennutzung. Finden wir die Ecke 2 vielleicht bald im Metaverse wieder? »Eine Zwischennutzung an sich ist allerdings auch schon eine Entgrenzung von Raum. Dass Kunst und Kreativität sich schon länger nicht mehr auf Museen beschränkt, ist keine neue Erkenntnis. In neuen Umgebungen wird anders gesehen und wahrgenommen, es öffnen sich Türen und Nischen, in die schnell neue kreative Köpfe springen. So gesehen bieten Zwischennutzungen großes Potential für Neues aller Art«, sagt Dombrowski. »Besonders, aber nicht nur für junge Künstler*innen und Kreative.« Dombrowski selbst ist mit seinem Atelier in einem weiteren Münchner Angelpunkt der Kreativwirtschaft zu Hause: Im Werk 3 des Werksviertel-Mitte. Dort, wo Pfanni einst Kartoffeln zu Knödeln verarbeitete, auf einer Ebene mit der Whitebox, die mittlerweile als kleinerer Ort für Veranstaltungen und Events aller Art bekannt ist. Die dortigen Ateliers werden bezuschusst vermietet, doch auch dann liegt der Preis für 45 Quadratmeter noch bei über 400 Euro. Für Newcomer egal welcher Kreativbranche kaum erschwinglich, dafür aber im Zentrum kreativen Geschehens.

Das Ruffinihaus: Räume in bester Lage

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Das Ruffinihaus strahlt in neuer Pracht, besonders aber, wenn es dunkel wird | © Marcus Schlaf

Auf der anderen Seite der Isar befindet sich ein weiteres Zwischennutzungsprojekt noch mittiger im Geschehen: Das Ruffinihaus. Das außen wunderschön verzierte Gebäude in der Sendlinger Straße 1 ist schon vom Marienplatz aus zu sehen. Direkt am Rindermarkt gelegen bevölkern 26 kultur- und kreativschaffende Unternehmen mit insgesamt rund 55 Akteuren das »Creative Hub«. Gleich im ersten Stockwerk in neu renovierten Bürosund Arbeitsräumen kommen die verschiedensten künstlerischen Professionen zusammen, um neben- und miteinander zu arbeiten. Innovative Datenverarbeitung stößt auf lokalen Journalismus, Interior Design, PR und Raumkonzepte. Architekturideen werden neben Plattenlabel, Webdesign, KI-Anwendung und Podcast-Produktionen verwirklicht. Auch Illustration, Film, Mode und alles, was mit Schriftstellerei zu tun hat, ist zu finden.

Nach einer ersten Zwischennutzung 2016/17 haben Anne Gericke, Susanne Mitterer und ihr ganzes Team den Stadtrat so begeistert, dass ihr Creative Hub nach der Renovierung im Dezember 2020 die erste Etage des Ruffinihauses beziehen durfte. Das Projekt wird mit umgesetzt vom Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Landeshauptstadt München, ist also eine städtisch begleitete und geleitete Initiative. Das Kompetenzteam hat einen Ort geschaffen, der kreative Energie bündelt. Durch die referatsübergreifende Expertise des Kommunalreferats, des Referats für Arbeit und Wirtschaft und des Kulturreferats ist das Ruffinihaus ein einzigartiges Projekt. Besonders macht es der interdisziplinäre Ansatz ebenso wie das persönliche Engagement jedes Akteurs und jeder Akteurin, die dort für zwei Jahre an ihren Projekten arbeiten. »Die Vernetzung und Zusammenarbeit ist ein wichtiger Fokus. Zu oft gibt es in der Kreativbranche Einzelkämpfer*innen, die nur für sich allein arbeiten, doch zusammen schafft man mehr!«, sagt Anne Gericke. »Und das im Herzen von München!« Der Creative Hub soll zwar auf einer professionellen, die Raumressourcen nutzenden Ebene funktionieren, jedoch auch den Freiraum bieten, freie kreative Prozesse auszuprobieren und daran zu wachsen. Die wirtschaftliche, unternehmerische Seite wird hier im Vergleich zur Ecke 2 sehr deutlich.

»Keineswegs ist das aber negativ zu betrachten, Kunst wird hier nicht als Konsumgut feilgeboten. Vielmehr besteht der Ansatz darin künstlerische Ressourcen für die Wirtschaft nutzbar zu machen, um beispielsweise die Innenstadt zu beleben, und umgekehrt, dass die Künstler*innen die Ressourcen der Wirtschaft nutzen können, um zu wachsen«, so Gericke. Auch hier klingt wieder die Win-Win-Situation an, die sie zweifellos auch ist. Eine endgültige Lösung bieten Zwischennutzungen oftmals jedoch nicht. Das kreative Energielevel ist auf Dauer kaum zu halten und die Nachfrage nach solchen Flächen ist zu groß, um sie fest an einzelne Akteur*innen zu vermieten. Der Traum für das Ruffinihaus wäre natürlich, dass es bleibt. Als Signal mitten in der Innenstadt, das Kreative anzieht und Kreativität ausstrahlt. Als Modell einer dauerhaften Zwischennutzung mit wechselnden Unternehmen, die Ideen entwickeln, die nicht durchdekliniert sind, frei und innovativ. Noch bleibt dies aber ein Wunschtraum.

Wie Pilze aus dem Boden

Wenn man tiefer in die Welt der Münchner Zwischennutzungen eintaucht, wundert man sich, dass nicht schon längst jeder, der sucht, auch untergekommen ist. Das MUCBOOK-Team um Marco Eisenack macht mit dem CLUBHOUSE-Konzept inzwischen 3000 Quadratmeter für Coworking, Einzelbüros, Ateliers und Events zugänglich, mit Standorten in ganz München. Wie kreative Zwischennutzung sonst auch noch aussehen kann, machen in München und Umgebung zurzeit auch noch viele andere Projekte vor. Der Sugar Mountain, eine alten Betonziegelfabrik, ist nun Eventlocation mit Skatepark und Basketballcourt. Initiiert durch Michi Kern, der gerade ein weiteres Projekt am Starberger See plant: Die ehemalige, seit langem leerstehende, herrschaftliche Gewerkschaftsvilla »Villa Z« soll ab Sommer 2022 mit Fokus auf benachteiligte Kinder ein Familienhotel werden, das zugleich als Abenteuerspielplatz und kreativer Seminarraum dient. In Neuhausen sollen in einer stillgelegten Medizin-Fabrik 30 neue Ateliers zu günstigen Preisen entstehen. Und in der Dachauer Straße im Gebäude des ehemaligen Gesundheitsamtes gibt es das »Kunstlabor 2« zu bestaunen, die aktuell größte kulturelle Zwischennutzung Münchens mit 10.000 Quadratmetern Fläche für Ausstellungen, Workshops und Events, Ateliers und Gastronomie. Träger des Konzepts ist das private MUCA (Museum of Urban and Contemporary Art), initiiert von Christan Utz. Ob der Gasteig in Haidhausen bis zum Beginn des lange erwarteten Umbaus (für den ja noch ein Investor gefunden werden soll) vielleicht ebenfalls zur kulturellen Zwischennutzung zur Verfügung stehen wird, weiß im Moment noch niemand so genau. Es tut sich also einiges in München, auf dem Weg zur Bewältigung des Platzproblems in einer Stadt ohne Raum. Ob daraus auch dauerhafte Lösungsansätze entstehen? Bis dahin lohnt sich ein Ausflug nach Moosach zu Ulla Wohlgeschaffen oder zum Ruffinihaus, um dort den »Munich Creative Heartbeat« zu erleben, eine Lichtinstallation, die die versammelte kreative Kollaboration zum Leuchten bringt. ||

Weiteres zum Kulturgeschehen in München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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