Am 10. Januar ging mit Herbert Achternbusch ein unvergleichlicher, vielseitiger und doch auch schwieriger Künstler Bayerns von uns. Georg Seeßlen blickt für uns noch einmal zurück auf diese Ausnahmegestalt. Hier der komplette Nachruf aus der neuen Ausgabe.

Ein Platz für Herbert Achternbusch!

herbert achternbusch

Herbert Achternbusch, Faschingsdienstag 1992 im Stadtcafé am Münchner St.-Jakobs-Platz | © Volker Derlath

Nun, da er tot ist und die ehrbaren Nachrufe geschrieben sind, in denen vor allem Worte wie »Anarchist« und »Bayern« und Namen wie James Joyce, Karl Valentin und Charlie Chaplin vorkamen, wird es Zeit, für Herbert Achternbusch einen Platz zu suchen in der Literaturgeschichte, in der Filmgeschichte und in der Kunstgeschichte. Einen Platz, kein Denkmal. Und da fangen die Probleme schon an. Denn Herbert Achternbusch war keiner, der das eine mit dem anderen verbunden hätte, kein B zwischen A und C, wie es eben Geschichten gerne haben. Viel Nachfolge hat er nicht generiert, und auch mit den Vorläufern ist das so eine Sache. Es ist halt etwas Solitäres und damit auch ein bisschen was Einsames um ihn.

Ein schwieriger Mensch, das war er schon, der Herbert Achternbusch, sowohl als Person wie als Künstler. Auch für den wohlmeinenden, ja den begeisterten Kritiker war er nicht einfach. Er konnte in einem Atemzug Zuwendung verlangen und vor den Kopf stoßen. Und genauso funktionieren seine Texte: Wenn man sich erst einmal auf sie eingelassen hat, dann entwickeln sie einen unwiderstehlichen Sog, immer weiter hinein in die Windungen und Wendungen eines Zustands zwischen Bewusstsein und Traum (daher die Verwandtschaft mit James Joyce, den Achternbusch konsequent »Juice« genannt hat), und dann kriegt man irgendwo eine Watschn, erntet ein Hohngelächter oder alles endet in einem dieser vertrackt daoistischen Sätze (der Daoismus ist eine traditionelle chinesische Philosophie, die das Unergründliche des Lebens in den Mittelpunkt aller Betrachtungen stellt, Anm.d. Red.), für die seine Texte, seine Filme und seine Interviews berühmt wurden. Etwa die über Bayern: »In diesem Land sind 60 Prozent Anarchisten, und die wählen alle CSU« oder »Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange hier, bis man es ihr ansieht«.

Einer dieser daoistischen Sätze fand seinen Weg auch in den allgemeinen und allgemein depperten Gebrauch: »Du hast keine Chance, aber nutze sie.« Er war also ein Wut- und Schmerzbayer, der Herbert Achternbusch, und die sind allemal den Melancholie- und Wildwestbayern, den Schmunzelund Ironiebayern und natürlich den Gaudi- und Korruptionsbayern vorzuziehen. Und wie alle Wut- und Schmerzbayern, der Graf, die Christ, die Fleisser, der Thomayer usw., kam er von seitwärts, von unten, und er machte sich das Bayerische nicht zur Heimat, sondern zur Waffe der Fremdheit. »Servus Bayern«, das heißt Gruß und Abschied, nicht wegkommen von da, wo man niemals angekommen ist.

Das Tückische an Herbert Achternbuschs Texten, Bildern und Filmen: Es gibt keine Metaphern. Alles ist ganz direkt und körperlich da, und es ist flüssig wie das Bier auf dem heiligen Berg von Andechs, in dem zu fortschreitender Stunde auch fette Fliegen den Tod finden, was die Kamera in einem Achternbusch-Film weder metaphorisch isoliert noch geflissentlich übersieht. Achternbuschs Filme sind extrem künstlich und extrem realistisch zugleich. Sie fragen danach, was passiert, zum Beispiel, wenn ein geschriebener Text auf eine brutale Wirklichkeit trifft. Oder wenn die Kunstfigur Achternbusch, die zugleich ein Mensch namens Achternbusch und außerdem noch ein Autor Achternbusch ist, auf das ganz und gar wirkliche Leben trifft.

Mit wie wenigen, aber traumhaft sicheren Mitteln sich doch der Mensch in den Autor und der Autor in die Kunstfigur verwandeln konnte: Uniformjacke und Mütze, und fertig ist der falsche Polizist, der sich in »Bierkampf« der Hölle des Oktoberfests aussetzt, eine Wolldecke und eine Feder, und schon ist er der »Komantsche«, der in die nicht wirklich ewigen Jagdgründe zwischen Dasein und Verschwinden taucht, eine Badehose und eine gewisse Kameraentfernung, und man fängt schon beim Hinsehen an zu frieren in »Die Atlantikschwimmer«, ein Samtgewand, und da ist er, »Der junge Mönch«, der eine Religion für sich selber stiftet, mit einem Schokoladenosterhasen im Zentrum, und natürlich dem Ersten Gebot: »Gott darf nicht gebissen werden.« Und dann natürlich »Das Gespenst«, ein Lendenschurz und auffallende Körpermarkierung, ein Jesus, der herumläuft und die konsternierten Leute um ein Schnapsglas voll Scheiße bittet. Der Skandal um die nicht ausbezahlte Rate der Filmförderung vom Zimmermann-Ministerium ist übrigens eine Zäsur auch in der deutschen Filmgeschichte: Achternbusch hat den Rechtsstreit danach zwar gewonnen, aber dann hatte sich das deutsche Kino auch schon wieder so weit in die Mitte bewegt, dass Achternbusch nicht mehr wirklich Teil davon sein konnte. Das Schicksal teilte er mit einem anderen Mitbegründer der Neuen Deutschen Films, Alexander Kluge. Beide drehten Filme, als hätten sie selber gerade das Kino erfunden; bei Kluge meint man, einem Film beim Denken zusehen zu können, bei Achternbusch sieht man einem Film beim Empfinden zu.

Man weiß also nicht, ob Herbert Achternbusch an der deutschen Kultur gescheitert ist oder doch die deutsche Kultur an Herbert Achternbusch. Und das macht die Suche nach einem Platz für ihn noch einmal schwieriger. Weil: Bloß weil der Achternbusch sich auch immer wieder selber im Weg gestanden ist, heißt das ja nicht, dass er eine Insel wäre. Um ihn zu verstehen, muss man sich auf eine radikale Gegenwärtigkeit und eine radikale Ich-Haftigkeit der Kunst einlassen, nicht im Sinne von Narzissmus oder Egomanie, sondern in der Frage danach, was Ich eigentlich ist. Und wie es Wort, Bild, Bewegung wird. Ich ist keine Metapher, sondern ein unvergleichbarer Zustand, den die Kunst immer wieder mal zu begreifen versucht, auf Prousts Suche nach der verlorenen Zeit oder Becketts Nacht mit »Murphy« oder John Fords Selbstwiderspruch in »The Searchers«. Da wäre der Platz von Herbert Achternbusch in der Kunstgeschichte, vielleicht, unter den Ich-Forschern und Ich-Verzweiflern. Aber wem sage ich das? ||

Das Staatstheater Augsburg veranstaltet am 7. Februar einen Erinnerungsabend unter dem Titel »In Bayern möchte ich nicht einmal gestorben sein«. Weitere Informationen finden Sie hier.

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