Der Münchner Journalist und Autor Alexander Gorkow erzählt von seiner Kindheit und Jugend in den 70er-Jahren und von ihrem Soundtrack – Pink Floyd.
Alexander Gorkow: »Die Kinder hören Pink Floyd«
»Man kann einem Monster nicht kündigen«
Am 14. September 2018 erscheint im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« ein Streitgespräch zwischen dem Autor Alexander Gorkow und dem Pink-Floyd-Sänger Roger Waters. Ausgangspunkt: Waters, der gerade auf Welttournee ist, sympathisiert mit der Organisation BDS, die den Boykott Israels fordert. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter wirft ihm antisemitische Ressentiments vor, Waters schießt bei seinem Konzert in der Olympiahalle zurück, vergleicht Reiters Distanzierung mit der Bücherverbrennung der Nazis. Gorkow traf sich anschließend zweimal mit Waters: einmal spontan in München, einmal in Amsterdam. Die Angelegenheit ist für Gorkow auch eine persönliche, nach diesen Gesprächen schreibt er einen Roman: »Die Kinder hören Pink Floyd«.
Dieser Roman nun ist keine politische Abrechnung mit der Band, er ist sehr persönlich, eine Erinnerung an ein Aufwachsen mit ihrer Musik. Ein Abschiednehmen auch. Da ist die Schwester, die dem kleinen Bruder erklärt, dass Pink Floyd »die bestehenden Verhältnisse« ablehne und warum das gut sei: »Dass immer noch Nazis rumlaufen, wie das alte Schwein neulich im Hofgarten, dass die Reichen überall fett hocken auf Kosten der Armen, das scheiß Establishment.« Gorkow nimmt einen mit auf eine Reise ins Westdeutschland der 70er-Jahre, in seine Familie. Die Deutschland- und Weltpolitik rauscht vorüber, das Schimpfen des Vaters über Rainer Barzel gehört ebenso zum Sound dieser Kindheit wie Heino oder eben Pink Floyd.
Gorkow erzählt die Geschichte einer Politisierung, aber auch ganz schlicht die Eckpunkte eines Aufwachsens mit Stottern, einer schwer kranken Schwester – und eben der Musik von Pink Floyd. Die Kinder versuchen, im Himmel die Pyramide zu sehen, die das Cover von »Dark Side of the Moon« ziert. »Das Kind Nummer 1, das schon eine Weile tot sein sollte, lernt die Lieder von Pink Floyd«, heißt es einmal. »Neben dem Kind Nummer 1 sitzt der Junge.« Dieser Junge, der tatsächlich vom Vater immer mit »Junge« angesprochen wird, erzählt nun in der Retrospektive, wie der Schnellkochtopf mit Quittengelee explodierte; wie der Vater im Garten jede Menge Gift aus seinem »Astronauten-Tank« versprühte, damit die Blattlaus »diesen Garten gar nicht erst in Erwägung« zieht. Aber: »Das Gift gilt Schädlingen, nicht uns.«
Vor allem aber ist dieses Buch eine Erinnerung an die Schwester, das »Kind Nummer 1«, die so prägend für »den Jungen« war und ihm die Welt und die eigene Krankheit erklärte: »Ich bin nicht behindert. Ich habe ein Herz, das anders konstruiert ist.« Gorkow gelingt es, das Komische und das Tragische zu verbinden, das ja auch im Leben ganz dicht beieinander liegt. Seine Beschreibungen sind authentisch, in ihrer Sachlichkeit witzig und dann wieder sehr traurig. Neben der eigenen Familie fasst er eine Zeit mit ihrem ganz speziellen Geist. Ein Leben, das gegliedert ist durch die Musik, durch LPs und Konzerte einer Band. Die Sehnsucht der Kindheit soll sich im Erwachsenenalter erfüllen, ganz anders als gedacht, unerwartet nach so vielen Jahren und Einschnitten. Die Vergangenheit, sie holt einen eben immer wieder ein: »Man kann einem Monster nicht kündigen. Es entscheidet immer das Monster, wie es weitergeht.« ||
ALEXANDER GORKOW: DIE KINDER HÖREN PINK FLOYD
Kiepenheuer & Witsch, 2021 | 192 Seiten | 20 Euro
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