Der isländische Fotograf Ragnar Axelsson widmet sich dem Leben im ewigen Eis – und dem Schwinden der Gletscher und Eisberge.
Ragnar Axelsson im Kunstfoyer
Helden der Arktis
Man kennt die apokalyptischen Bilder, unheilvollen Informationen und Nachrichten. In Island hat der Okjökull als erster seinen Status als Gletscher verloren, weil er nur mehr aus Toteis besteht und sich nicht mehr bewegt. Die Gletscher dort schrumpfen so rapide, dass ihre Eismasse in 80 Jahren komplett verschwunden sein könnte. Bilder vom zentralen Grönlandeis zeigen im Sommer inzwischen riesige Wasserläufe, Flüsse, Seen, wie man es nie für möglich gehalten hätte. In Sibiren – am Rande des Nodmeers – misst man im Sommer Temperaturen von fast 40 Grad. Die Tundra taut auf.
Mit Eyecatchern für plakative Schlagzeilen gibt sich der berühmte isländische Fotograf Ragnar Axelsson (geb. 1958) jedoch nicht zufrieden. Das ist nicht das Metier dieses einheimischen Eismenschen, der seit über 40 Jahren in den entlegensten Regionen der Arktis fotografiert, etwa in Island, Sibirien, Grönland, Kanada, Nordskandinavien, auf den Färöer-Inseln. In reduzierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen widmet er sich vielmehr der Beziehung zwischen Lebewesen und Umgebung in einer sich stark verändernden Landschaft. Axelsson dokumentiert Lebensräume am Rand der bewohnbaren Welt und reist zu Inuit-Jägern nach Nordkanada und Grönland, zu Bauern und Fischern auf Island oder zur indigenen Bevölkerung in Nordskandinavien und Sibirien. Seine Informationen stammen aus erster Hand, von den Menschen vor Ort. Der Fotograf besucht sie immer wieder, verbringt Zeit mit ihnen – und hat so ihr Vertrauen gewonnen. Er teilt bei seinen Besuchen dann auch den oftmals beschwerlichen Alltag mit ihnen. Das wiederum erlaubt es ihm, Momentaufnahmen ihres Lebens festzuhalten und ihre Erzählungen aufzuschreiben.
So entstehen diese betörend-packenden Fotografien, die geradeso erscheinen, als ob sie aus einem Familienalbum entnommen wären. Die Menschen zeichnet eine unerwartete Offenheit aus. Und Axelsson wird mit seinen Reportagen und Publikationen zum Botschafter ihrer Existenz und der sich rapide verändernden Lebensbedingungen. Dazu gehört natürlich auch das Leben mit verschiedenen Tieren. Denn ohne die Hunde etwa könnte die grönländische Bevölkerung nicht überleben. Man könnte kaum auf Robbenjagd gehen. Die Fortbewegung wäre sehr beschwerlich. Und die elektrischen Schlitten, mit denen es auch schon einige Eismänner versucht haben, halten die extremen Witterungsbedingungen nur kurze Zeit aus. Der Hund ist der Technik meilenweit überlegen. So hat Axelsson 2020 ein Buch herausgegeben, das den Titel »Arctic Heroes« trägt und den Schlittenhunden Grönlands gewidmet ist. In der Ausstellung widmet sich ein umfassendes, packendes Kapitel diesem Hundethema – und man hat keinerlei Probleme, diese Tiere als Helden zu erkennen. Im Gegenteil, wenn sie wie Pferde vor Lastschlitten gespannt ohne Widerstand die Güter und Menschen überallhin ziehen. Selbst im tobenden arktischen Sturm lassen sich diese Kreaturen nicht davon abbringen, die Jäger und ihre Fracht wohlbehalten nach Hause zu bringen. Klar wird auch, dass es die Hunde waren, die der Menschheit erstmals ermöglichten, beide Pole der Erde zu erreichen.
Axelsson widmet sich freilich nicht nur seinen inzwischen sieben Fotobänden und fotografischen Aufträgen für Zeitschriften aus aller Welt. Er unterstützt auch Klimaprojekte. So hat ihn neben einigen anderen der Magnum-Fotograf Paolo Pelegrin gebeten, ihm sein Know-how zur Verfügung zu stellen. Axelsson, ein erfahrener Pilot, ist auch mit Ólafur Elíasson über die Gletscher in Island geflogen, als jener an seinemkünstlerischen Gletscherprojekt arbeitete. Zudem hat er die Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Michael Mann begleitet, als diese die schmelzenden Gletscher sehen wollten. Axelsson ist gut befreundet mit dem Vulkanologen Haraldur Sigurðsson. Mit ihm ist er an ferne Orte in Indonesien oder Grönland gereist, wo sie unter anderem die blauen Seen auf dem schmelzenden Grönlandgletscher untersucht haben.
Natürlich sind bei diesen Reisen auch faszinierende Landschaftsbilder entstanden. Natürlich hat ihn Island gereizt. Wenn im Frühjahr der Schnee schmilzt, breitet sich ein einzigartiges Licht über der Landschaft aus. In schmelzenden Eisblöcken erkennt Axelsson rätselhafte Gesichter und Kreaturen. Wenn Gletscher verschwinden, mäandern Wasserläufe durchschwarze Sandflächen. Endlose Muster entfalten sich so. Axelsson hat das unter dem Kapitelbegriff »Schwarze Landschaft« gesammelt – und meint, dass hier einige der betörendsten Kunstwerke natürlicher Machart zu finden sind.
Aber freilich faszinieren Axelsson Menschen und deren Überlebenskampf in diesen unwirtlichen Gegenden mindestens genauso. In Sibirien, in der Tundra, ringen Rentierhirten, die mit ihren Herden alle paar Tage von Ort zu Ort ziehen, um ihre Existenz. An einem Ort, an dem der Temperaturunterschied von Sommer zu Winter durchaus 100 Grad betragen kann. Das muss man aushalten. ||
RAGNAR AXELSSON. WHERE THE WORLD IS MELTING.
Kunstfoyer, Versicherungskammer Kulturstiftung
Maximilianstr. 53 | bis 18. April | täglich 9.30–18.45 Uhr
Eintritt frei, Zutritt nur mit online-Reservierung | Der Katalog
(224 Seiten, 149 Abb.) kostet 50 Euro
Weitere Texte zu Ausstellungen in München finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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