Am 26. November ging der große Roger Fritz von uns. Ein Nachruf von Simon Hauck.
Roger Fritz
Mondäner Münchner
»Viel zu viele Tote. Ich liebe das Leben«, postete Roger Fritz 2018 auf Facebook nach dem Tod eines Freundes. Nun ist der 1936 in Mannheim geborene und in Amberg aufgewachsene Münchner Tausendsassa, der sieben Jahrzehnte lang als Fotograf, Regisseur, Schauspieler, Produzent und Gastronom sein Glück in die Hand nahm, selbst im Himmel gelandet. Dort, wo er sie alle wiedertreffen wird: Herbert List, Luchino Visconti, Romy Schneider, Rainer Werner Fassbinder, Andy Warhol, Joseph Beuys, Hans Werner Henze, Helge Anders, Gunter Sachs, Herbert von Karajan … Denn der selbst ernannte »beste Amateur auf all diesen Gebieten« kannte sie wirklich alle, ausnahmslos. Egal, ob aus den Schwabinger Künstlerbiotopen der 1960er Jahre, dem libertär-mediterranen Esprit-Kosmos von Saint-Tropez und Cannes sowie den winterlich-extravaganten Festen seines Freundes Gunter Sachs im noblem Palace Hotel in St. Moritz. Ebenso verkehrten er und seine langjährige Lebensgefährtin Margot Friedrich in der heute legendären Münchner Schickeria der 1980er-Jahre zwischen Tantris, Käfer Wiesn-Schänke und dem Bayerischen Hof als Stammgäste, wenn sie nicht gerade bei den Salzburger Festspielen vorfuhren oder als Teil des internationalen Jetsets zwischen Ibiza, Acapulco oder Sardinien unterwegs waren.
Karriereanfang in Schwabing
Die erste Fotokamera hatte der junge Fritz, Sohn eines Hoteliers, von seinem Onkel geschenkt bekommen, sodass seine weiteren »Kurzzeitkarrieren« als Bäcker, Kellner, Hilfsarbeiter und Baustoff-Großhandelskaufmann im spießigen Nachkriegsdeutschland der Adenauer-Ära frühzeitig endeten. Denn da hatte ihn bereits der renommierte Fotograf Herbert List (1903–1975) an der Autobahnauffahrt Nürnberg in Richtung München als Tramper aufgegabelt, wo er bald ein Zimmer in der Ainmillerstraße 37 bezog. Als Mentor brachte der ihm alsbald in mehreren Schnellkursen das Fotoentwickeln bei und vernetzte ihn rasch mit ansässigen Fotografen wie Stefan Moses und Reinhart Wolf und zahlreichen Werbetextern, Filmschaffenden und Kreativen aus der damals blühenden Schwabinger Boheme am Hohenzollenplatz. Mit nicht einmal 20 Jahren erhielt der talentierte Herbert-List-Assistent bereits 1954 und 1956 erste Preise aus den Händen des Bundespräsidenten Theodor Heuss (»Mach weiter so, Junge«) auf der prestigeträchtigen photokina-Messe in Köln, wodurch er vom Großverleger Alfred Neven DuMont höchstpersönlich zum »Kölner Stadt-Anzeiger« gelotst wurde. Ein nächster Karrieresprung gelang dem bis ins hohe Alter extrem gut aussehenden Roger Fritz 1959, als er zusammen mit dem visionären Layouter Willy Fleckhaus und der gemeinsamen Muse Christa Peters zur Gründungsmannschaft des ungeheuer innovativen »Twen«-Magazins gehörte. Lange vor 1968 wurden darin neben Schallplattenkritiken und Mode- oder Lifestylethemen gerade auch gesellschaftspolitisch heiße Eisen wie vorehelicher Sex, Selbstbefriedigung oder Homosexualität redaktionell angegangen und mit mehrseitigen Fotoreportagen illustriert.
Von der Münchner Gruppe zu Visconti
Quasi nebenbei hatte ihn Else Bongers neben Günter Lamprecht, Anita Kupsch, Horst Janson und Grit Boettcher für die neu gegründete Ufa-Nachwuchsschule in Berlin angeheuert, was Roger Fritz im Rückblick gewohnt selbstironisch kommentierte: »Einige waren in der Schauspielschule, weil sie wirklich schauspielen wollten. Andere wie Götz George, weil die Mutter es wollte … Wieder andere, weil sie bereits eine große, erfolgreiche Filmrolle hatten … Dann gab es noch die Freundinnen berühmter Regisseure. Ich war da, weil ich gut aussah.« Weitere Sternstunden in Roger Fritz’ sagenhafter Universalkarriere bildeten seine Film-, Theater- und Opern-Assistenzen bei Regietitan Luchino Visconti (»Der Leopard«/»Boccaccio 70«) und Giancarlo Menotti, dem er zehn Jahre lang im Rahmen des »Festival dei Due Mondi« mit fabelhaften Manieren zur Seite stand. Nach weiteren Minidarstellerrollen und zwei ambitionierten Kurzfilmen (»Verstummte Stimmen«/»Zimmer im Grünen«) debütierte er schließlich 1967 als Regisseur (»Mädchen, Mädchen«) und Hauptdarsteller wie Produzent von »Jet Generation« (Regie: Eckhart Schmidt) im Umfeld der Münchner Gruppe.
Ähnlich wie Roland Klick oder Klaus Lemke, mit dem er bis zum Ende befreundet war, blieb Roger Fritz darin stets ein charmanter Sonderling (»Mädchen mit Gewalt«, Bundesfilmpreis 1970 für Klaus Löwitsch), der vor allem sein eigenes Ding durchzog und mit seiner Hauptdarstellerin und baldigen Ehefrau Helga Anders (1948–1986) selbst mit Werbeplakaten über die Leopoldstraße zog, weil es die zeitgemäße Filmkritik nicht immer gut mit ihm meinte und eine Wiederentdeckung seines filmischen Œuvres erst in den letzten Jahren durch das Heimkinolabel Subkultur Entertainment in der Edition Deutsche Vita auf vorzügliche Weise gelang.
Mit Freddy Mercury auf Partytour im Glockenbachviertel
»Da spielt er – vielleicht besser als Terence Stamp – den geheimnisvollen Mann der Sixties, grausam und zärtlich, von Männern und Frauen zugleich geliebt, ein Jetset-Phantom« (Hans Schifferle). Mit seiner naturgegebenen Eleganz und Virilität, seinem Filou-Blick und seinen ausgesprochen schönen Haaren hätte Roger Fritz zu dieser Zeit selbst die Titelcover von »Stern«, »Bunte«, »Quick«, der französischen »Vogue« oder der »Münchner Illustrierten« schmücken können, für die er allesamt, und damals noch hoch dotiert, viele Jahre lang fotografierte. In geistiger Verwandtschaft zu den mondänen Lebemännern Curd Jürgens, Horst Buchholz oder Gunter Sachs hatte er den Deutschen gezeigt, wie das mit dem »Savoir-vivre«, sprich mit hübschen Damen, festlichen Banketten und kulturellen Hochgenüssen, konkret geht. Dabei diente ihm vor allem sein geliebtes München als ewiger Kreativort wie als Gesellschaftsbühne, die er bis zuletzt bespielte. Hier konnte er sich den Respekt des ewig grantigen Wunderkinds Rainer Werner Fassbinder, der ihn mehrfach als Schauspieler und Setfotografen engagierte, ebenso verdienen wie die Einladungen zu Freddie Mercurys Partytouren im Glockenbachviertel an der Seite von Barbara Valentin und Elisabeth Volkmann. Bis er am Ende selbst ins gastronomische Feierabendbusiness einstieg und die Münchner Kultlokale Pappasito’s, Mamasita und Visconti mehrere Jahre betrieb, wo selbstverständlich auf den Tischen getanzt und das Leben gefeiert wurde.
Unvergessliche Momentaufnahmen
Die fotografischen Früchte dieses einmaligen Lebens hat der Münchner Verleger Lothar Schirmer gemeinsam mit Roger Fritz, der am 22. September 2021 noch seinen 85. Geburtstag feiern konnte, jetzt in einem wahren Prachtband zusammengefasst. Bis zuletzt hatten die beiden eng zusammengearbeitet, ehe das Münchner Multitalent nach überstandener Corona-Erkrankung am 26. November 2021 schließlich an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. Im Zusammenspiel aus erstklassigen Porträts und persönlichen Erinnerungen blitzt hier noch einmal Roger Fritz’ Ausnahmetalent auf: Immer auf Augenhöhe mit den Schönen (Ursula Andress), Mächtigen (Helmut Schmidt) und Reichen (Hermann Bahlsen) gelangen ihm unvergessliche Momentaufnahmen.
Eigentlich hatte auch der Autor dieser Zeilen vor Kurzem eine Einladung in den Herzogpark bekommen: »Sie kommen aus Amberg? Das wird interessant. Gerne werde ich Ihnen meine fotografischen Schätze zeigen. Ihre Fragen gefallen mir. Sie treffen den richtigen Ton. Ich freue mich schon auf unser Interview«, hieß es noch wenige Tage vor seinem Tod am Telefon. Seit mehreren Wochen standen wir bereits in engem Kontakt. Und so sende ich Ihnen, lieber Roger Fritz, nun an dieser Stelle posthum meine allerliebsten Grüße. Wir holen das irgendwann noch nach, versprochen. Dann wahrscheinlich ohne Fotos, aber vielleicht mit Ihrem Lieblingsgetränk: zwei Wodka Orange, bitte. Auf Ihre (Lebens-)Kunst, salute! ||
ROGER FRITZ: BOULEVARD DER EITELKEITEN. FOTOGRAFIEN UND GESCHICHTEN
235 Porträtfotografien und 80 persönliche Erinnerungen | Mit einem Geleitwort von Hubert Burda | Schirmer/Mosel Verlag
320 Seiten | 34 Euro | erhältlich ab Februar
Weitere Film-Artikel finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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