In den »Klangräumen« von Nevin Aladag stehen faszinierende Objekte, die leider viel zu wenig tönen.
Nevin Aladag. »Sound of Spaces«
Wunderbare, schreckliche stumme Möbel
»Sound of Spaces«, den Titel der Ausstellung, in der Nevin Aladag fast alle Räume der Villa Stuck bespielt, darf man wörtlich nehmen: »Klang der (Zwischen-) Räume.« Der Rundgang beginnt in den sogenannten »Historischen Räumen« Franz von Stucks, in seinen magisch düster-glühenden Salons und Wohnräumen. An den Wänden antikisierende Skulpturen, eine Beethoven-Büste, mythische Wesen mit Instrumenten. Damit korrespondieren jetzt kleine Möbel von heute, die auf den zweiten Blick freilich Musik-Instrumente sind. Sie sind mit Saiten bespannt oder mit Glöckchen bestückt, ein Barhocker hat eine mit Leder bespannte Sitzfläche wie bei einer Trommel, eine gekippte TV-Truhe ist mit Saiten wie für ein eckiges Cello ausgestattet.
Der erste Impuls ist: Da möchte ich mit einem Bogen hinstreichen, die Glöckchen berühren, an den Metallröhrchen entlangfahren, um diesen seltsamen Gebilden ihr Ureigenstes zu entlocken! Aber immer wieder, auch später oben im Neuen Atelier: wunderbare, aber schrecklich stumme Möbel, totes Holz. Zwar gibt es immer mal wieder abends die Möglichkeit für ein paar Minuten mit anderen zu erleben, wie diese magischen Musik-Möbel zum Leben erweckt werden, aber tagsüber sind sie stumm. Denn sie stammen aus Klang-Aktionen unter dem Namen »Music Rooms« in Athen (2017), Brüssel (2015) oder Istanbul (2014). Ein schön gestaltetes kleines Heft, das man zur Eintrittskarte bekommt, führt den Besucher anhand von Ziffern und Abbildungen (da ist dann auch der »Music Man« und seine »Body Instruments« briefmarkengroß gedruckt) durch die verschiedenen Räume, Stockwerke und Installationen. Im Katalog sieht man die futuristischen Objekte wie eine leuchtende Messingkugel, in der Mundstücke verschiedener (Holz-)Blasinstrumente stecken – und wie jemand hineinbläst! Oder eine schwarze Skulptur, in die allerlei Trommeln hervorstechend eingelassen sind und lustvoll »bespielt« werden! Dies sind Fotos einer Musikperformance in der Kunsthalle Mannheim 2020. Einen lustiger junger Mann stakst im Freien an verschiedenen Ort durch die Gegend: Er trägt schwarze kurze Hosen samt T-Shirt. Unter den behaarten Beinen hängen am Unterschenkel Glöckchen (»Foot Bells«). Der Sombrero auf dem Kopf ist eigentlich eine Trommel (»Rainmaker Hat«/«Drum Hat«), an seinen schmalen Hüften spreizen sich Akkordeon-ähnliche Rockhälften (»Accordion Wings«). In der Ausstellung muss man sich mit Einzelteilen an der Wand zufrieden geben und nur mit viel Fantasie wird daraus ein »Music Man«.
Immer wieder ist man hin- und her gerissen zwischen Faszination und Frustration, gäbe es da nicht einige Videos, die Bild und Ton, Objekt und Klang in eins setzen. Unter dem Titel »City Language« sieht man an einem kleinen Bildschirm rhythmisch klatschende Hände meist von Männern (das sieht man an den behaarten Knöcheln). Schnell und raffiniert geschnitten ist das, aber obwohl sich das Ganze alle Minute in Endlosschleife wiederholt, kann man eine Viertelstunde zusehen und man glaubt mit jedem Loop, jeder Wiederholung immer wieder Neues zu entdecken, zu sehen wie zu hören, obwohl es das immer gleiche Dutzend Hände ist, das da klatscht wie in einem magischen Mantra.
Der weitläufige Eingangsraum des Obergeschosses der Historischen Räume wird dominiert von der Videoinstallation »Voice Over«, aber ganz am Ende, wenn man die Wendeltreppe ins leere düstere Erdgeschoss des »Neuen Ateliers« herabgestiegen ist, wartet der Höhepunkt der ganzen Ausstellung. Da kann man auf drei Videowänden gleichzeitig nebeneinander sehen und vor allem hören, wie Handtrommeln durch die Gegend eiern, schon mal über Felsen klackern, Fußgängerbrücken hinabstürzen oder zwischen Autos beinahe zerquetscht werden. Und schließlich, ganz aus der Nähe und aus der Froschperspektive gefilmt, klangvoll ihre Bewegung zu Ende bringen. Man sieht und hört, wie Luft aus bunten Luftballons am Mundstück von Trompete oder Flöte entweicht und das Instrument zum Klingen bringt, wie Kastagnetten am Kopf eines heftig bewegten Schaukelpferds in der Fußgängerzone rasseln oder Akkordeons, die an Spielgeräte gebunden sind, Laut geben. »Traces« (2015) heißt diese Video-Installation.
Noch raffinierter und lustiger ist »Session« (2013). Da werden Trommeln durch Wasser oder Wüste bewegt, es regnet und rieselt klangvoll auf sie herab oder vom Wind bewegte Zweige schlagen daran. Manchmal fahren sie, auf der Kühlerhaube eines Autos befestigt, durch eine mediterrane (Groß-)Stadt und der Fahrtwind macht mit ihnen Musik. Und dann gibt es da die Ergebnisse der Aktion »Stiletto« zu sehen: 2017 steppten auf einer ein Quadratmeter großen Kupferplatte Frauen im öffentlichen Raum mit Pfennig-Absätzen zu Musik, die nur sie hören konnten. An der Wand hängen die Ergebnisse mit jetzt erhabenen kleinen Ausbuchtungen im Blech. Unter dem Titel »Stage – Rehearsal« sieht man Fotos von bunten Theater-Vorhängen aus Kunsthaar, wie sie raumfüllend 2012 in Istanbul ausgestellt waren. Und in Nevin Aladags in den Jahren 2017 bis 2021 entstandenen Teppich-Collagen (»Social Fabric«) kann man sich verlieren. Deren miteinander kombinierte Einzelteile erzählen je eigene Geschichten, die sich beim Betrachten miteinander verweben. Wer will, kann Elemente von Streich-Instrumenten entdecken, sich Griffbretter vorstellen, runde oder ovale Löcher im Corpus, aber auch Andeutungen der Schnecken am Hals identifizieren. Oder er lässt sich einfach vom Spiel der Farben und Formen verzaubern. ||
NEVIN ALADAG – SOUND OF SPACES
Museum Villa Stuck | Prinzregentenstr. 60 | bis 20. Februar | Di-So, 11-18 Uhr | Katalog: Hatje Cantz, 288 S., 200 Abb., 35 Euro
Weitere Ausstellungen finden Sie in der akutellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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