Bereits im Februar berichteten wir über das Förderprogramm »dive_in«. Jetzt schauen wir, was aus den Vorhaben vom Museum Brandhorst, dem Staatstheater Augsburg, der Schauburg und dem Lenbachhaus geworden ist.

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Digitale Winter-Abenteuer

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Die digitale Bühne des Lenbachhauses | © Lenbachaus / Collaboratory

Und wieder werden Kulturveranstaltungen abgesagt, manche Häuser stellen den Spielbetrieb vorläufig ein, bei anderen Vorstellungen oder Konzerten dürfen nur 25 Prozent der verfügbaren Plätze belegt werden. Die Pandemie hat die bayerischen Kulturinstitutionen im zweiten Winter fest im Griff. Gut, dass viele Institutionen inzwischen vorbereitet sind und digitale oder hybride Alternativen anbieten können. Die Kulturstiftung des Bundes hat mit »dive_in. Programm für digitale Interaktionen« eine Förderstruktur geschaffen und 2021 bundesweit insgesamt 68 Institutionen dabei unterstützt, digitale Dialogund Austauschformate zu entwickeln. Von Ende September bis Anfang November wurden diese Projekte bei digitalen Ideenwerkstätten, den sogenannten HoloLabs in virtuellen 2-D-Räumen präsentiert und in Vorträgen und Workshops erörtert.

Die gute Nachricht vorweg: alle Projekte sind auf Nachhaltigkeit angelegt und sollen über die Projektlaufzeit hinaus auch im neuen Jahr fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Auch wenn die konkrete Finanzierung teilweise noch nicht abschließend geklärt ist. Die knappe Projektlaufzeit von einem Kalenderjahr war für alle »dive_in«-Vorhaben herausfordernd. Immer wieder traten unkalkulierbare Verzögerungen auf, das Zusammenspiel mit den neuen Partner:innen musste erst eingeübt und unterschiedliche Arbeitsprozesse miteinander abgestimmt und harmonisiert werden. Auch neue Fragestellungen, vor allem zu digitalem Copyright, zu Open Source Software, zu Lizenzen oder Haftungsfragen, mussten erst geklärt werden. Im Transformationsprozess hin zur digitalen Sharing Culture scheinen die Museen sich leichter zu tun als die Theater. Durch die Digitalisierung der Sammlungen oder beispielsweise durch Projekte wie Coding da Vinci hat sich ein »digitales Mindset« dort womöglich schon umfassender etabliert. Im Austausch mit den diversen Theaterprojekten scheint bei aller Experimentierbereitschaft doch auch immer wieder ein Beharren auf künstlerischer Einzigartigkeit und eine Tendenz zu Konkurrenzdenken, Abschottung und Gatekeeping durch.

Lenbachhaus

Im Lenbachhaus wurde mit »Collaboratory« ein partizipativer digitaler Open Space geschaffen, eine digitale Bühne, zu der Kollektive und Gruppen in einem Open Call eingeladen wurden, sich diesen digitalen Ort anzueignen und mit eigenen Inhalten zu füllen. Als roter Faden dient die Fokussierung auf Themen wie Gemeinschaft und Kollaboration, die sich auch in der Sammlung des Lenbachhauses wie in den aktuellen Ausstellungen widerspiegeln. Darüber hinaus aber ist dieser Open Space ein modularer öffentlicher Raum, seit Ende August jederzeit zugänglich für die Besucher:innen, um erkundet, benutzt und verändert zu werden, um die hinterlegten künstlerischen Positionen kennenzulernen oder auch um sich im Chat auszutauschen. Lediglich ein Username und eine Farbe müssen ausgewählt werden, dann erscheint der Avatar als farbige Kugel, die sich per Maus oder Pfeiltasten durch den Raum bewegen lässt.

Museum Brandhorst

Die an Andy Warhol angelehnte »Factory« im Museum Brandhorst ist ein hybrides Kreativlabor bestehend aus einer Onlineplattform, diversen Angeboten zur Kunstvermittlung und einem realen Makerspace, der 2022 eröffnen soll. Auch hier ist eine Anbindung an die Sammlung des Museums die Grundlage; die konkreten Inhalte werden partizipativ mit den Nutzer:innen entwickelt. Ende Oktober gab es einen mehrtägigen Hackathon mit »Jugend hackt« als Kooperationspartner. Dabei entstanden Prototypen zu einem Virtuellen Code Museum, ein 2-D-Computer-Game über Fluchterfahrungen, eine kreative Kamera-App und ein digitaler Raumscanner.

Staatstheater Augsburg

»Elektrotheater« heißt die neue virtuelle Livebühne des Staatstheaters Augsburg. Vorgestellt wurde der Prototyp während des 1. Forum für Theater und digitale Transformation am 6. November in Augsburg durch das künstlerisch-technische Designteam Christian Schlaeffer und Daniel Stock. In ihrem Vortrag über das Elektrotheater wird ein seltsam altbackenes Theaterverständnis deutlich, in dem die Zuschauer-Avatare fast als störend beschrieben werden und jedenfalls eingehegt werden müssen. Sie sollen im virtuellen Raum möglichst wenig auffallen und kaum interagieren. Als Herausforderung werden vom Designteam die technischen Möglichkeiten und Grenzen der genutzten Pico-VR-Headsets beschrieben, auf denen das Distributionskonzept der Augsburger VR-Produktionen beruht. Glücklicherweise hat Tina Lorenz, die Leiterin der Digitalen Sparte, vier sehr unterschiedliche künstlerische Teams gebeten, für diese technische Plattform kurze performative Skizzen zu entwerfen. Alle Gruppen zeichnen sich durch ihr Interesse an partizipativen und interaktiven Theaterformaten aus bzw. bringen Erfahrungen aus dem Game-Theater mit. Unter dem Arbeitstitel »Unicorn Rising – Coding out of Plattenbau« untersucht etwa das Kollektiv OutOfTheBox (Susanne Schuster, Ricardo Gehn) die Möglichkeiten von Avataren für soziale Interaktionen in virtuellen Realitäten. Dazu wollen sie mit hybriden Formaten experimentieren und physische mit virtuellen Räumen verknüpfen. Die Cyber-Räuber, die in der Vergangenheit bereits VR im Kontext von Oper und Ballett erprobt haben, wenden sich im Elektrotheater der Gattung Lied zu. In »Genesis« treten eine Sängerin und ein Pianist live im virtuellen Setting auf. Weitere Skizzen werden vom Grazer PerformanceKollektiv Das Planetenparty Prinzip sowie von Winnie Christiansen und Hannes Kapsch aus dem Umfeld der Komplexbrigade entwickelt. Vorgestellt werden die szenischen Skizzen für den virtuellen Raum am 18. Dezember in der neuen Spielstätte des Augsburger Theaters im Alten Rock Café.

Schauburg

Rechtzeitig vor den Feiertagen, am 20. Dezember, wird die Augmented-Reality-App der Schauburg für Android im Google Play Store veröffentlicht. Im Apple Store wird sie Anfang 2022 erscheinen. Regisseur Bruno Franceschini hat mit »Excaliburg« für Kinder ab neun Jahren eine Mischung aus Game und Theaterspaziergang für den öffentlichen Raum geschaffen. Das Spiel führt in die Borstei in Moosach. Eine spätere Spielversion soll in Neuperlach gespielt werden können. Im Game Adventure muss eine Figur aus einem Theaterstück der Schauburg gesucht werden. Dazu wird mit AR-Charakteren wie der geheimnisvollen »Roten Dame« interagiert, müssen Rätsel gelöst und Objekte gefunden werden. Bereits für April 2022 ist ein zweites AR-Game geplant. Als Onlinetheater-Detektiv-Game hat Regisseurin Katharina Mayrhofer den »Tatort Schauburg« für Gruppen von zehn Kindern und Liveschauspieler konzipiert. Die Schüler:innen müssen gemeinsam einen Kriminalfall im digitalen Theaterraum lösen. Doch das Theater ist geschlossen. Eine Schauspielerin oder ein Schauspieler ist als Assistent:in mit einem Tablet vor Ort und befolgt die Anweisungen des Detektivteams, das aus dem Klassenzimmer heraus agiert. Leichter sind die Zeiten seit dem letzten Winter nicht geworden. Doch an diesen »dive_in«- Projekten sieht man, dass sie spannend bleiben und die Kultur keinesfalls im Stillstand verharren muss. ||

Weiteres zur Münchner Kulturlandschaft gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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