Die Bayerische Akademie der Schönen Künste zeigt unter dem Titel »Bildprozesse« Fotoarbeiten des Regisseurs Philip Gröning.
Philip Gröning: »Bildprozesse«
Vorboten kommender Begegnung
Jetzt macht er auch noch Fotos: Philip Gröning (geb.1959 in Düsseldorf) ist eigentlich ein begnadeter und erfolgreicher Regisseur. Für seinen Film »Die große Stille« erhielt er 2005 den Bayerischen Filmpreis, den Europäischen Filmpreis als bester Dokumentarfilm, eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis 2006, und einiges mehr. Mit der Groteske »Die Terroristen« machte er schon 1992 Schlagzeilen. Und mit dem bizarren Streifen »Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot« von 2018 – Gröning schrieb das Drehbuch, war Regisseur und produzierte den Film auch – zog er sozusagen alle Register von idyllischen Drehhorten auf der Schwäbischen Alb bis hin zu Inzest und Mord – Hauptakteure: ein durchgeknalltes Geschwisterpaar.
Eine schöne Auswahl seiner seit 2011 entstandenen Fotoarbeiten, die man heute eher unter »Postphotography« apostrophieren würde, ist nun in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste unter dem Titel »Bildprozesse« zu sehen. Postphotography deshalb, weil Gröning mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, also Algorithmen, Bilder schafft, die freilich nur noch wenig mit herkömmlichen Fotos zu tun haben. Ausgangspunkt dieser Arbeiten waren Beobachtungen in Rom während Grönings Aufenthalt in der Villa Massimo 2016. Er bemerkte irritiert, dass Touristen wie ferngesteuert durch die Stadt gingen, vom Wunsch getrieben, möglichst schnell die nächste Sehenswürdigkeit zu erreichen. Oder um die Stelle des Selfies zu erreichen, das ein Freund geschickt hatte, um das Bild nachzufotografieren.
Gröning fragte sich also, wie die Welt durch den Server von Instagram aussehen würde. Ganz speziell: etwa der Petersdom. Aus den im Internet auffindbaren Erinnerungsbildern der Kirche sollte die künstliche Intelligenz den Raum rekonstruieren, errechnen, visualisieren. Das war die Aufgabe für die Rechner, wobei die Überforderung einprogrammiert war. Denn auf den zigtausenden Internet-Bildfunden sind kaum Räume zu erkennen, sondern bevorzugt Menschen. Man macht halt Selfies. Das führt dazu, dass die Menschen nicht – wie die fiese Aufgabe vorsah – komplett herausgerechnet werden können. So bleiben diese als Punkte, als amöbenhafte Massen, als fratzenhafte Gebilde im Bild – während von den Bauten nicht so viel zu sehen ist. Auf die gleiche Weise entstanden die faszinierenden Bilder von den Oktoberfestzelten.
Begonnen hat alles mit Grönings Idee, Abbildungen von Zeit und Licht zu schaffen – diesen Prozess allerdings an Grenzen zu führen. Gröning bezeichnet einen Teil der Ausstellungsarbeiten als »Lichtzeichnungen«, in denen es darum geht, das Licht – das immer das Einzige ist, was wir sehen – als Mittel der Sichtbarmachung zu nutzen. Im völligen Dunkel benutzt er einen Laserstift wie eine Art Zeichenstift, der manchmal konturierend, manchmal schraffierend die Gegenstände hervortreten lässt, etwa den knallroten Moses in San Pietro in Vincoli oder Pflanzen in dem neunteiligen »Dreifaches senkrechtes Blumentriptychon«. Das alles freilich auf sehr abstrakter Weise, denn der Großteil der Form verbleibt im Dunkel.
Für Gröning, der 2018/19 eine Gastprofessur an der Münchner Kunstakademie innehatte, besitzt die Welt der KI eine hohe Faszination. Zu seinen aus den Oktoberfestbildern in die reale Welt zurückgeholte Skulpturen, die ebenfalls zu sehen sind, sagt er: »Es sind uns absolut fremd erscheinende Objekte: Boten aus der statistischen Welt der KI, rückübersetzt in unsere Welt physischer Existenz. Sie zeigen die Kluft zwischen diesen beiden Welten. Ich glaube, dass Missverständnisse, Übersetzungsfehler zwischen kulturellen Bereichen zu den großen positiven Treibern der Entwicklung in Kunst und Kultur gehören. Der nächste große Bereich fremder Kultur, der uns als Menschen gegenübersteht, ist die Welt der KI«, erklärt Gröning. »Die gezeigten Objekte – Resultat eines mehrfachen Übersetzungsprozesses: physische Welt / Social Media / statistische KI Welt / physische Welt – sind erste Boten dieser kommenden Begegnung.«
Aber warum macht er nicht einfach als Regisseur weiter, wie vorgezeichnet? Weil Streaming-Plattformen den Nutzern nichts vorschreiben – und das Kino dem Besucher drei Stunden lang den Bilderstrom diktiere: Das sei doch, so Gröning, »eine ziemlich arrogante Haltung«.
Bildprozesse – Arbeiten von Philip Gröning
Bayerische Akademie der Schönen Künste | Max-Joseph-Platz 3 |
bis 23. Februar | Mo–Fr 11–16 Uhr | Eintritt frei | 2g-plus-Regel, FFP2-Maske
Die zusätzliche Besprechung von Matthias Pfeiffer und weitere Artikel über Ausstellungen in München gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Oskar Schindler: Die Ausstellung im Sudetendeutschen Museum
Jean-Marc Bustamante: Ausstellung in der Walter Storms Galerie
Der romantische Blick: Die Ausstellung im Museum Fürstenfeldbruck
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton