Pınar Karabulut verpoppt Sivan Ben Yishais Vergewaltigungspanorama »Like lovers Do«.
Like Lovers Do
Empowerment statt Opfererzählung
Eine Frau wird von einem Mann vergewaltigt. Und anschließend bestraft: Wer sie ansieht, wird zu Stein erstarren. Der antike Mythos der Medusa, die von Poseidon missbraucht und von Athene verurteilt wurde, ist vielleicht die Ur-Erzählung des »Victim Blaming«, der Verurteilung der (weiblichen) Opfer von (männlicher) Gewalt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie es in den Titel des neuen Stücks der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai schafft, das die Regisseurin Pınar Karabulut nun an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt hat: »Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)«. Denn diese Textfläche ohne Rollenzuschreibungen beschäftigt sich mit allen Aspekten sexualisierter Gewalt. Explizit wird hier alles gesagt, nichts beschönigt oder verharmlost, weshalb das Theater die Ankündigung mit einer Triggerwarnung versieht. »Der Text enthält viele Schilderungen von sexualisierten Gewalthandlungen, die belastend und retraumatisierend wirken können«, heißt es auf der Homepage und im Programmheft.
»Dieses Lied ist dem gewidmet, der mich in einem Flur voller Schlangen fickte, bis meine Augen weiß und zu Knochen wurden.« So beginnt der Text, der über weite Strecken eine Widmung bleibt: an den, »der mein Haar streichelte, während ich seinen Schwanz lutschte, und auf mich herabsah, von oben, wie ein Vater«. An »den, der sagte, ich sei nymphoman«, und den, »der mein Gesicht auf die Matratze presste«. Die Männer hier sind im besten Fall Exhibitionisten, im schlechtesten Vergewaltiger. Sie demütigen, filmen, quälen. Und lassen sich anschließend ihren »Lieblings-Yogitee« servieren. Sie kommen nicht gut weg. Aber: Auch Menschen mit Penis können zum Opfer werden, daran lässt die Autorin keinen Zweifel.
Karabulut nun verzichtet in ihrer Inszenierung auf jeden Realismus. Teresa Vergho hat das Ensemble in grelle Kostüme gesteckt, die irgendwo zwischen Siebzigerjahre-Star-TrekReminiszenz und grellem Futurismus rangieren. Michela Flück hat eine Bühne gebaut, die famos zu den Kostümen passt: eine von aufblasbaren phallusartigen Säulen umrahmte Arena mit einem runden Wasserbecken in der Mitte, rundherum senffarbene Vorhänge. Den Säulen, die auf umgedrehten Medusa-Köpfen fußen, wird irgendwann die Luft ausgehen. Sie werden abschlaffen wie die männliche Dominanz. Denn Karabulut geht es weniger um Verurteilung denn um weibliches Empowerment, sie will ihr Publikum nicht erniedrigt entlassen, sondern gestärkt.
Und so tanzen Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljić, Bekim Latifi, Edith Saldanha und Mehmet Sözer erst mal eine ganze Weile zu gut gelaunten Synthesizerklängen, bevor der erste Satz gesprochen wird. Sie sind die fünf besten Freundinnen, die sich bei einem Eisbecher den Mann ihrer Träume mit all seinen Klischees erträumen. Sie sind mal Mann, mal Frau, mal laut und selten leise. Die Rollen sind fließend. Sie planschen im Wasserbecken, sprechen im Chor und singen die Texte auch mal – grandios! – zur Melodie des »Dirty Dancing«-Hits »Time of My Life«. Was ja auch irgendwie zum Thema passt.
Am Ende, wenn die Säulenphalli längst erschlafft sind, verwandeln sie sich in hybride Fabelwesen mit Krakenbeinen und vielen Armen und geben sich ihren Ermächtigungsfantasien hin, während sie in einem leuchtenden Raumschiff in den Bühnenhimmel entschweben. Gesichert von den männlichen Bühnentechnikern, die ihnen freundlich hinterherwinken. Ja, Karabulut begegnet der Vorlage mit einem Augenzwinkern, nimmt ihr etwas von ihrer Härte. Und sie tut gut daran. ||
LIKE LOVERS DO
Kammerspiele | 15. Nov., 20., 30. Dez. | 20 Uhr
Tickets: 089 23396600
Weitere Theaterkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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