Mia Hansen-Løve begibt sich mit »Bergman Island« auf die schwedische Insel Fårö, das ehemalige Domizil des Meisterregisseurs. Wir sprachen mit der Filmemacherin über ihre semi-autobiografische Beziehungsgeschichte.
Bergman Island: Interview mit Mia Hansen-Løve
Intimer Dialog mit Ingmar Bergman
Ich beginne mit einem Zitat von Ingmar Bergman: »Wenn man Vertrauen in die eigenen Gefühle hat, wenn man an seine schöpferische Erfindungsgabe glaubt, muss man völlig inkonsequent sein.« Wie inkonsequent ist Ihr neuer Film in Bezug auf Ihre bisherige Regiekarriere?
Mia Hansen-Løve: Das ist in der Tat ein großartiges Zitat, das ich noch nicht kannte, obwohl ich ihn schon lange Zeit verehre. Für mich ist er nach wie vor ein höchst relevanter Regisseur: ein Held und absoluter Meister, den nicht nur die Cinephilen schätzen. Zugleich hatte ich natürlich bei meinem Film zuerst Zweifel, ob es richtig ist, ihn zu machen, und ob man das in Bezug auf Ingmar Bergman überhaupt darf. Es war mir jederzeit klar, dass das für mich als Filmemacherin ein Risiko bedeutet, selbst als ich schon auf »seiner« Insel war. Da spürte ich beim Schreiben schon eine gewisse Gefahr. Trotzdem wollte ich mich als Regisseurin ausdrücken, so wie das Bergman in jedem seiner Filme getan hat. Diese innere Notwendigkeit, sich gerade mit ihm zu beschäftigen, war am Ende ausschlaggebend und hat mir Mut gemacht. Dementsprechend finde ich schon, dass ich mit diesem Film inkonsequent bin.
Im Hinblick auf Ihr bisheriges Oeuvre fällt auf, dass Sie überwiegend mit (semi-)autobiografischen Elementen arbeiten, die in Ihre Filme einfließen. Das war bereits bei »Der Vater meiner Kinder« so, in dem Sie den Tod eines Ihnen bekannten Produzenten verarbeiteten, und danach auch bei »Eden«, in dem vieles aus dem Leben Ihres Bruders einfloss, genauso wie bei »Alles was kommt«, wo Sie auf die Lebensgeschichte(n) Ihrer Mutter zurückgriffen.
Dieser Punkt mit dem Autobiografischen in meinen Filmen ist sicherlich richtig. Natürlich hat auch »Bergman Island« eine autobiografische Dimension. So wie meine Filme überhaupt sehr persönlich sind. Für diese Erzählungen greife ich selbstverständlich auf eigene Erfahrungen und Erlebnisse zurück, die für mich eine wertvolle Inspirationsquelle darstellen. Das können beispielsweise Menschen sein, die mir sehr nahestehen. Das hat sicherlich automatisch auch viel mit meinem Privatleben zu tun. Ich wüsste auch gar nicht, wie Filmemacher*innen das anders machen könnten. Ich brauche auf jeden Fall immer diese extrem persönliche Nähe zu meinem Filmstoff. Nur so kann ich eine intime Beziehung zu meinen Figuren aufbauen. In diesem Fall ist alles noch direkter: Schließlich geht es hier um ein Künstlerpaar, das nach neuen kreativen Impulsen sucht und sich dafür bewusst für Fårö als filmgeschichtlich bedeutenden Inspirationsort entscheidet.
Inwieweit arbeiten Sie in »Bergman Island« auch Ihre frühere Beziehung mit dem französischen Autorenfilmer Olivier Assayas auf, mit dem Sie eine gemeinsame Tochter haben und der ebenfalls ein großer Bergman-Liebhaber ist? 1990 hatte er zusammen mit Stig Björkman ein legendäres dreitägiges Interview mit Bergman in Stockholm geführt.
Es ist natürlich richtig und gleichzeitig auch einfach, dazu direkte Linien zu finden. Ich selbst war aber beispielsweise nie zusammen mit dem Vater meines Kindes auf Fårö. Auch in der Vorbereitung auf meinen Film war ich dort überwiegend allein, um zu schreiben und diese spezielle Landschaft auf mich wirken zu lassen. Zugleich weiß ich aus meiner eigenen Lebenspraxis sehr gut, wie es ist, mit einem Filmregisseur zusammenzuleben. Da ich selbst Regisseurin bin, erlebte ich da als Paar natürlich alle Emotionen: Glück wie Druck und Erfolg genauso wie Spannungen. Es hat für mich Jahre gedauert, das in einen künstlerischen Prozess zu übersetzen. Trotzdem bin ich sehr froh darüber, dass ich es geschafft habe.
Warum ist Ingmar Bergman für Sie persönlich eine derart starke Referenz und inwiefern ist er heute noch ein zeitloser Klassiker?
Mich persönlich hat er immer schon außerordentlich interessiert. Seine meisterhaften Filme inspirieren mich enorm und sind für mich weiterhin sehr lebendig. Trotzdem werde ich heutzutage in Q&As oft gefragt, ob sein Werk noch aktuell ist und inwieweit er einer bestimmten Epoche des Kinos angehörte. Als Regisseurin bin ich froh, dass er nicht mehr am Leben ist. Sonst hätte ich mich niemals getraut, diesen Film zu machen. Da ist mein Respekt vor ihm und seiner unglaublichen Arbeit einfach viel zu groß. In diesem Sinn ist er zumindest für mich sehr lebendig! Meinen Film verstehe ich daher als einen intimen Dialog mit ihm, ohne dass er alle Antworten für diese besondere Beziehung enthält. ||
BERGMAN ISLAND
Frankreich, Belgien, Schweden, Deutschland 2021 | Regie: Mia
Hansen-Løve | Mit: Vicky Krieps, Tim Roth, Mia Wasikowska u.a.
105 Minuten | Kinostart: 4. November
Website
Simon Haucks Rezension zu »Bergman Island« und weitere Filmkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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