Mit dem 15. Fünf Seen Filmfestival zelebriert Matthias Helwig die Filmkunst, er will aber auch innovative Wege aufzeigen und Denkanstöße für ein neues, anderes Kino geben.

Fünf Seen Filmfestival 2021

Avantgarde für das Kino

fünf seen filmfestival

Trotz aller Widrigkeiten findet das Fünf Seen Filmfestival statt, unter anderem mit dem Fesitvalbeitrag »Je suis Karl«. Im Bild: Luna Wedler | © Tom Trambow

Die erste gute Nachricht: Auch 2021 findet das Fünf Seen Filmfestival wieder statt, dieses Jahr vom 18. bis zum 31. August. Die zweite gute Nachricht: Filmfestdirektor Matthias Helwig darf heuer mit seinem Team ein kleines Jubiläum feiern. Denn 2021 geht das populäre Sommer-Kino-Event an den Spielstätten Starnberg, Gauting, Seefeld und Weßling bereits zum 15. Mal über die Bühne. Und das ist alles andere als selbstverständlich in Zeiten wie diesen, in denen die Kinos wegen des Lockdowns über Monate hinweg komplett geschlossen waren. Dass die stillgelegten Lichtspielhäuser für die Betreiber einem wirtschaftlichen Waterloo gleichkommen, ist die eine Sache, doch für Helwig spielte auch der psychische Aspekt eine eminent wichtige Rolle, denn die Entscheidung, das Fünf Seen Filmfestival allen Widrigkeiten zum Trotz auszurichten, gab ihm und seinen Mitstreitern einen Haltepunkt: »Es ist einfach nicht lustig, arbeitslos zu sein. Das hält man vielleicht einen Monat durch. Aber durch das Festival hatte ich immer die Möglichkeit, etwas zu tun, Ich konnte Filme sichten, Dinge organisieren, Vorbereitungen treffen. Das hat meine Seele auf Trab gehalten.« Das Resultat dieser Arbeit können Fans des Festivals nun ab dem 18. August begutachten.

Überschrieben hat Helwig sein halbrundes Jubiläum mit »Perspektiven«, einem Begriff, den man von vielen Seiten beleuchten kann: »Da geht es zum einen um den Ausblick, den wir alle von Natur aus haben. Gleichzeitig spielen hier aber auch unsere persönlichen Zukunftsvisionen mit hinein.« Dazu passt die neue Reihe Kino & Klima, die in Zusammenarbeit mit Anne und Alex Eichberger, den Gründern der unabhängigen Initiative »unserklima.jetzt.«, entstand. Anhand von Filmbeiträgen, die die Schönheit unserer Erde zelebrieren, wird darüber diskutiert, wie unsere Zukunft in Bezug auf Klima, Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit aussieht. Zudem ist Helwig der festen Überzeugung, »dass ein Festival auch immer eine klare Position beziehen, eine Avantgarde für das Kino sein muss. Denn ich glaube, das Kino muss sich in Zukunft neu definieren, einen innovativen Weg gehen, von dem ich selbst nicht genau weiß, wo er hinführt und wie er aussieht.«

Das Motto des Fünf Seen Festivals spiegelt sich auch in der Programmauswahl. So hat Helwig, leidenschaftlicher Cineast und ausgewiesener Kenner der Kinohistorie, für seine Retrospektive Werke ausgewählt, die Perspektivwechsel verwenden. Dazu zählt unter anderem Akira Kurosawas Meisterwerk »Rashomon«, in dem drei Menschen aus ihren subjektiven Sichtweisen heraus von einem Gewaltverbrechen erzählen. Am Ende wird deutlich, dass es eben nicht diese eine Wahrheit, diese eine Lösung gibt. Ähnliches gilt für John Fords Westernklassiker »Der Mann, der Liberty Valance erschoss« aus dem Jahre 1962, wo bis zum letzten Bild unklar bleibt, wer nun wirklich diesen titelgebenden Liberty Valance auf dem Gewissen hat. Dazu Matthias Helwig: »Gerade heutzutage scheinen andere Perspektiven oftmals schon von vornherein verdammenswert zu sein. Ich möchte mit diesen Filmen zeigen, dass ein anderer Blickwinkel nicht per se der falsche sein muss.«

Auch in diesem Jahr hat es der Festivaldirektor erneut geschafft, einige hochkarätige Filmschaffende an seine Seen zu locken. Dazu zählt Senta Berger. Die Grande Dame des deutschen Kinos feierte vor Kurzem ihren 80. Geburtstag. Seit ihr Ehemann, der renommierte Regisseur Michael Verhoeven, vor sechs Jahren Ehrengast auf dem Filmfest war, ist Helwig mit ihr in Kontakt. Jetzt freut er sich umso mehr, Berger, deren Natürlichkeit er besonders bewundert, beim diesjährigen Filmgespräch am See begrüßen zu dürfen. Ebenfalls zu Gast in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ist Michael Bully Herbig. Der Schöpfer astronomisch erfolgreicher Blockbuster wie »Der Schuh das Manitu« oder »(T)Raumschiff Surprise – Periode 1« hat zuletzt mit »Der Ballon« eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er sich beileibe nicht nur auf leichte Comedy versteht, sondern auch als Regisseur handfester Dramen. Deshalb zeigt Helwig auch ganz bewusst Herbigs Thriller von 2018, der eine spektakuläre Flucht aus der DDR in die BRD nachzeichnet, und eben nicht seine eingängigen Publikumshits.

Nach Barbara Auer und Nina Hoss ist es in diesem Jahr die versierte Kino- und Theaterschauspielerin Birgit Minichmayr, die den Hannelore-Elsner-Schauspielpreis erhält. Sie wirkte unter anderem an der Seite der Filmpreis-Namensgeberin in Doris Dörries »Kirschblüten – Hanami« mit und zeigte schon damals, welch schauspielerische Wucht sie besitzt. Vor drei Jahren erreichte ihre Leiwandkarriere mit der Verleihung des Deutschen Filmpreises für die beste weibliche Nebenrolle in »3 Tage in Quiberon« einen weiteren Höhepunkt. Ebenfalls hochdekoriert ist ein weiterer Ehrengast des Festivals, der begnadete Kameramann Benedict Neuenfels. Er brachte das Kunststück fertig, sowohl für »Liebesleben« (2008) als auch für »Styx« (2019) jeweils mit dem Bayerischen als auch mit dem Deutschen Filmpreis geehrt zu werden. Ihn hat Helwig eingeladen, weil sein Festivalmotto nicht zuletzt auch ein filmischer Begriff ist. Denn wo geht es mehr um Positionen, Blickwinkel und eben Perspektiven als bei der Arbeit mit der Kamera. Nach Martin Scorseses famosem Bildgestalter Michael Ballhaus vor 15 Jahren ist nun Benedict Neuenfels der nächste, der diese Berufssparte auf dem Festival vertritt.

Durch den langen Lockdown warten zahlreiche Filme seit Monaten auf ihre Premiere. Helwig konnte für seine Programmauswahl also aus dem Vollen schöpfen. Vielen von ihnen kann er nun ein Forum geben. Dazu zählen nationale Produktionen wie Christian Schwochows schockierender Thriller »Je suis Karl«, Oliver Rihs’ Justizdrama »Bis wir tot sind oder frei!« oder »Hannes«, Hans Steinbichlers Adaption des gleichnamigen Rita-Falk-Romans. Einen weiteren Schwerpunkt bildet in diesem Jahr mit vier Titeln der iranische Film. Darüber hinaus besonders empfehlenswert: »Tigers« von Martin Bengtsson, die wahre Geschichte über das Schicksal eines schwedischen Fußballers, der mit 17 Jahren zu Inter Mailand in die italienische Serie A wechselt. Dazu die Anmerkung des Festivaldirektors: »Ein wirklich packender, faszinierender Spielfilm, den sich jeder Fußballfan anschauen sollte.«

Und es gibt sie doch: Corona-Filme im diesjährigen Programm. Einer davon ist »Gracious Night«, der den Abschluss des Festivals bildet. Darin erzählt der finnische Regieveteran Mika Kaurismäki von drei Menschen, die sich während der Pandemie in einer Kneipe in Helsinki, die eigentlich geschlossen ist, zufällig treffen und ins Gespräch kommen. Laut Filmfestleiter machen die drei in dem kammerspielartig inszenierten Werk genau das, »was ich mir gerade in dieser Zeit sehr gewünscht hätte – über die essenziellen Dinge zu reden, und nicht immer nur über das Gleiche«. Jetzt freut sich Matthias Helwig auf sein Jubiläumsfestival und möchte auch all diejenigen beruhigen, die wegen Corona vielleicht noch ein wenig zögern, wenn es um den Besuch von Großveranstaltungen geht: »Es werden alle Abstandsregeln eingehalten, beim Open Air sind wir sowieso an der frischen Luft und in den Kinos haben wir eine herausragende Lüftung. Die Menschen sollen
einfach kommen, Vertrauen haben und sich darauf einlassen. Und wir kümmern uns darum, dass sich jeder sicher fühlt.« ||

15. FÜNF SEEN FILM FESTIVAL
Starnberg, Gauting und Seefeld | 18. bis 31. August
Programm

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