Ingeborg Schober schrieb über Musik, als das sonst nur Männer taten. Nun ehrt eine Anthologie die journalistische Pionierin.
Ingeborg Schober: »Die Zukunft war gestern«
Vorne dabei
»Gerade Musikjournalismus, das war so was für die männlichen Nerds«, sagt die Journalistin Sandra Maischberger über die Zeit, als sie 1985 als Praktikantin beim Bayerischen Rundfunk das erste Mal der Rockjournalistin Ingeborg Schober in einer Redaktionskonferenz begegnete: »Das war so lustig, wei die Jungs haben immer so ein bisschen wie die Paviane drumrum versucht, sich aufzuplustern und mit ihren Interviews anzugeben. Und sie saß dann immer ganz ruhig, rauchte eine Zigarette nach der anderen, und hatte aber alle Stars im Interview, um die alle anderen sich bemühten.« Aufgenommen hatte die Münchner Medienkünstlerin Gaby dos Santos Maischbergers Erinnerungen für das Historical »Ingeborg Schober – Eine Poptragödie«, das schon 2015, also fünf Jahre nach Schobers Tod, der ersten Frau im deutschen Rockjournalismus gedachte. In einem fast vierhundert Seiten fassenden Buch mit dem passenden Titel »Ingeborg Schober. Die Zukunft war gestern« ist Maischbergers Statement zu Schober nun über einen QR-Code nachzuhören. Andere Wegbegleiter belassen es im Buch bei schriftlichen Erinnerungen an Schober, die immer wieder zwischen Schobers eigenen Texten über Musik in diesem liebevoll aufbereiteten Band aufblitzen.
Vielleicht auch, weil die Herausgeberin Gabriele Werth nicht allzu viele Fotografien von Schober selbst fand, werden Schobers Texte auch mal so gezeigt, wie sie im ursprünglichen Layout der jeweiligen Zeitschrift aussahen. Texte aus dem beim Rowohlt-Verlag erschienenen Musikmagazin »Rock Session«, aus der Musikzeitschrift »Sounds« oder aus dem »Musikexpress«. Wie Zeitzeugnisse führen diese zurück in eine Zeit, als Ingeborg Schober den noch unbekannten Musiker Sting für ihre Leser als Hauptdarsteller in der Verfilmung der Who-LP »Quadrophenia« vorstellte. Vor allem aber führt diese Textsammlung zurück in eine Zeit, als Musikjournalisten noch seitenlange Geschichten erzählen durften, die die darin besprochene Musik auch gesellschaftlich einzuordnen verstanden. In eine Zeit also, als Journalisten noch Platz hatten, neue musikalische Entwicklungen nicht nur zu benennen, sondern auch ausführlich zu beschreiben und zu diskutieren.
Und ja, Schober zählt in dieser Zeit zu den ersten Frauen, die sich in dem von Männern geführten Rockjournalismus durchsetzen konnten. Dass sie jahrelang die einzige Frau in der Musikredaktion des BR war, sei ihr erst aufgefallen, als die zweite Frau dazu kam, hatte Schober einmal erzählt. Tatsächlich zählt Schober aber auch zu jenen Pionieren, die in Deutschland den Rockjournalismus überhaupt erst etablierten und dabei experimentierfreudig seine Möglichkeiten erkundeten. Wie nah sie dabei den von ihr beschriebenen Rockstars kam, beweisen auch Fotos, auf denen sie mal zusammen mit David Bowie steht oder mal in einem Bus neben dem Gitarristen Steve Hacket von der Band Genesis sitzt. Wie sehr sie dabei selbst schon als Rockstar angesehen wurde, hatte mir mal der Die Ärzte-Schlagzeuger und Sänger Bela B. in einem Interview für die »Süddeutsche Zeitung« erzählt: »Als Musikfanatiker war ich Fan ihrer Texte über Musik. Daran erkennt man vielleicht auch, wie sehr Musik an Bedeutung verliert. Früher waren sogar Musikjournalisten Stars. Heute kennen die Leute kaum noch den Namen des Bassisten.«
Tatsächlich aber musste der Star Ingeborg Schober gegen Ende ihres Lebens um jeden Job kämpfen. Dazu schrieb Gaby dos Santos: »Ingeborg hat sich für ihre prekären Lebensumstände in den letzten Jahren geschämt, versucht, sie vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Ich denke, wir alle, die in einer ähnlichen ›Vive la Bohème‹-Lage stecken, sollten uns nicht schämen. Wir nicht, sondern die Gesellschaft! Die sich mit der Ausbeute unserer kreativen Leistungen bereichert, ohne sie in der Regel angemessen zu honorieren, weder ideell noch finanziell!« Mit einigen ihrer Reportagen und Texte zur Musik ehrt nun das im Verlag Andreas Reiffer erschienene Buch »Ingeborg Schober. Die Zukunft war gestern« eine der prägendsten Rockjournalistinnen. Und zugleich erinnert es auch an eine Zeit, als der Rockjournalismus noch eine Zukunft hatte. Aber das war, wie gesagt, gestern. ||
INGEBORG SCHOBER: DIE ZUKUNFT WAR GESTERN.
Gabriele Werth (Hg.) | Verlag Andreas Reiffer, 2021 | 400 Seiten
24 Euro
Mehr Buch- und Musik-Besprechungen gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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