Roland Schimmelpfennig und Nora Schlocker versuchen mit »Der Kreis um die Sonne« am Resi, hinter den Point of no Return zurückzugehen.
»Der Kreis um die Sonne« am Residenztheater
Präcoronale Stehparty
Hach, ist das heiß hier – und stickig. So viele Menschen! Wo gibt es Luft? Dem einen geht sie gerade aus, der andere friert trotzdem, und zwei Frauen teilen sich ein Glas und scherzen: »Ich hoffe, du hast keine todbringenden Krankheitserreger in dir?« Andeutungen genügen, um auf der Party, die sieben Schauspieler beschreibend heraufbeschwören, die Vorzeichen einer Pandemie zu wittern. Und Andeutungen genügen Roland Schimmelpfennigs präkatastrophischen Assoziationen ja seit je. Dass seine neue »Der Kreis um die Sonne« heißt, ist da im Vergleich schon ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Fast allzu routiniert ist Schimmelpfennigs coronabedingt spät zur Uraufführung gekommenes Auftragswerk des Residenztheaters aus Versatzstücken zusammenmontiert, die copy & paste aus seinem apokalyptischen Sirenengesang »Der Riss durch die Welt« stammen könnten, an den es stimmungs- und milieumäßig andockt. Zwischen Vorahnungen in Form von zu Bruch gehenden Gläsern und Beziehungen, die dringend nach einer Neujustierung verlangen, drehen Partytalk und Chronologie zuweilen umständliche Schleifen. Mehrere Schauspieler setzen sich auf Irina Schicketanz’ von stumpfwinklig zusammenstoßenden Beton-Look-Wänden begrenzter Bühne an den Flügel, dem sie traurige und quälende Töne entlocken. Im Übrigen ist Nora Schlockers Inszenierung eine requisitenfreie Stehparty, auf der man – auf Abstand – dessen Fehlen behauptet. Verbal herbeizitiert und im leeren Raum ausgesetzt werden Anwälte und Akademikerinnen, Fahrlehrer und Kartenabreißer, säuberlich etikettiert nach Alter, Geschlecht und sozialer Schicht. Es dominieren Präsens und dritte Person Singular – und nur wenige der rund vierzig Figuren nehmen erkennbar Gestalt an. Etwa Ulrike Willenbacher als emeritierte Professorin, die vollkommen hermetische Reden schwingt, Carolin Conrad als dauererkältete Vielfliegerin oder Thomas Reisinger als Gastgeber, der gegenüber Max Rotbarths »Mann mit dem Tablett« als Lebensziel ausgibt, der zu werden, »der den Mann mit dem Tablett bezahlt«.
Schimmelpfennig würde nie so weit gehen, der Superkrankheit, die nach dem Ende der Party eine Frau hinweggerafft haben wird, Klassenunterschiede als ursächlich unterzuschieben. Doch auch hier schwirren andeutungshafte Gesprächsfetzen über Gehälter und die Work-Life-Balance wie in einem Bienenstock durch den Raum. Dieser hyperkomplexe Andeutungsreigen kommt schleppend in Schwung und macht spät den Blick frei auf eine zarte Liebesgeschichte: Die frustrierte Gastgeberin (Katja Jung) und eine muntere Krankenschwester (Yodit Tarikwa) kommen sich näher. Doch bevor sie sich wiedersehen können, ist die jüngere Frau tot – und um sie am Leben zu erhalten, beantwortet ihr Ex an ihrer Stelle weiter die Liebesgrüße seiner Nachfolgerin in spe. Thiemo Strutzenbergers extrem brüchiger Versuch, exakt am Point of no Return das Vorher festzuhalten, so lange es geht, ist das warme Zentrum eines minimalistisch-cleanen Abends, der auch ästhetisch nahtlos an das Theater des Davor anknüpft. Letzteres hinterlässt einen halb irritiert und halb beruhigt. ||
DER KREIS UM DIE SONNE
Residenztheater | 18. Juli | 19 Uhr
17. Juli | 20 Uhr | Tickets: 089 21851940
Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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