Ein Jahr lang Stream, jetzt wieder Publikum. Der Jazzclub Unterfahrt blickt nach vorne.
Jazzclub Unterfahrt im Juli
Es geht voran
Namhafte Musiker, großer Aufwand in Sachen Bühne und Promotion: Man sollte meinen, dass die streamende Jazzgemeinde das zu schätzen weiß. Eher launisch zeigte sie sich Anfang Juni im Fall des Hamburger Elbjazz-Festivals und der ermüdenden, dreieinhalb Stunden langen Verleihung des nach dem Fall des Echo Jazz neu kuratierten Deutschen Jazzpreises. Als »Club des Jahres« überraschte dort das Kölner »Loft«. Die ebenfalls nominierte »Unterfahrt« erhielt für ihre Verdienste um Musiker und Publikum in Lockdownzeiten den »Sonderpreis der Jury«, und das auch deswegen zu Recht, weil sie bei vielen Streams ihrer Konzerte mehr Zuschauer hatte als die erwähnten Großveranstaltungen.
Michael Stückl hat als »Mr. Unterfahrt« all die Übertragungen von »Local Heroes« und überregional Bemerkenswertem nicht nur in die Wege geleitet, sondern anfangs auch selbst Regie geführt. Dank den Jahresbeiträgen von rund 1500 Vereinsmitgliedern – mit 185 Neuzugängen in der vergangenen Saison! – und städtischer Spielstättenförderung konnte er sogar ordentlich Geld für Gagen ausgeben, die durch freiwillige Überweisungen aufgestockt wurden. Und nun, da wieder Präsenz in der Rund-drei-Dutzend-Dimension erlaubt ist, wird natürlich weiter gestreamt. Sogar in Zeiten ohne amtliche Auflagen soll Online eine Rolle spielen. Apropos Auflagen: Michael Stückl kann da kuriose Stichworte liefern. »Ist bei Ihnen eine gemeinsame Blickrichtung gewährleistet?«, wollte das Kreisverwaltungsreferat wissen und ob denn die Stühle fest verschraubt seien. Gott behüte, aber der nötige Abstand ist dennoch gesichert. Tanzbarkeit lockt da höchstens Daheimgebliebene aus den Stühlen. Zum Beispiel, wenn AJOYO am 6. Juli ihre textlich aufsässigen »War Chants« in eher mainstreamtaugliche als kämpferische Musik kleiden und sie kräftig mit Grooves aus Kamerun oder der Karibik würzen.
Während Trompeter Joo Kraus (3.7.) sich noch weitgehend dem Tanzbar-Lager zuordnen lässt, ist bei der Gitarristin Mary Halvorson Untanzbarkeit absolut charakteristisch. Es gibt bei YouTube ein Video, auf dem ihr Trio Thumbscrew (7.7.) 116 Minuten lang den 40. Geburtstag der Gitarristin feiert, eher grüblerisch als ausgelassen, aber Bassist Michael Formanekerdet die durchaus originelle Nerdyness.
Mit Julian Lage und Marc Ribot waren zwei weitere Gitarrenhelden vorgesehen, aber noch sind die Umstände für internationale Gastspiele arg kompliziert. Umstände, denen selbst viele bayerische Ereignisse zum Opfer gefallen sind, darunter im vergangenen November die Endrunde des jungen Münchner Jazzpreises 2020, die nun am 16.7. nachgeholt wird. Der Jury präsentieren sich: das Quintett des aus Franken anreisenden Saxofonisten Anton Mangold, mehr Modern als Mainstream, unverkrampft einfallsreich auf zwei CDs, deren Repertoire aufhorchen lässt.
Der in Leipzig bei Michael Wollny studierende Pianist Vincent Meissner ist mit seinem Trio und der ambitioniert zurechtgetüftelten Juni-Veröffentlichung »Bewegtes Feld« gar beim ACT-Label untergekommen. Auch die Baritonsaxofonistin Kira Linn kann samt ihrem »Linntett« mithalten: Erste von zwei CDs in der Reihe »Jazzthing Next Generation«, und auch auf »A Traveller’s Tale« überzeugt das Sextett mit spannenden Arrangements, für die es anderswo schon mal eine Bigband bräuchte. Fazit: Blick nach vorn, auch offiziell verordnet! Kein Problem für die Unterfahrt. ||
JULIKONZERTE IM JAZZCLUB UNTERFAHRT
Website | Einsteinstr. 42 | Tickets: 089 4482794
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