Videospiele sind längst ein Teil der Kulturlandschaft geworden – auch wenn es nicht jedem bewusst ist. Der Videospielkultur e.V. will das ändern.

Videospielkultur e.V.

»München könnte nicht desinteressierter sein«

videospielkultur e.v.

Hendrik Lesser ist bereit für Kooperationen | © Remote Control Productions

Hendrik Lesser und sein Videospielkultur e.V. setzen sich dafür ein, dass Video- und Computerspiele über die Grenzen der eigenen Szene hinaus als Kulturgut wahrgenommen werden. Wie sieht es damit am Medienstandort München aus? Und hat die zunehmende Digitalisierung des Kulturlebens in Corona-Zeiten mehr Anknüpfungspunkte entstehen lassen?

Herr Lesser, wie kamen Sie zur Videospielkultur?
Diesen Sommer werde ich 45 Jahre alt, seit 41 Jahren spiele ich Computer- und Videospiele. Ich war immer schon zuerst an den Inhalten interessiert. Als Jugendlicher machte ich einen kurzen Exkurs in die Programmierung, aber letztlich fand ich das Narrative doch interessanter. Ich bin seit frühester Jugend Überzeugungstäter für das Medium Spiele und verstehe mich als Botschafter für Games. Als Praktikant habe ich bei Take 2 Interactive, einem der großen Verlage für Games, angefangen und hatte das Glück bei »Grand Theft Auto 3« und »Max Payne« gleich inhaltlich mitarbeiten zu können.

Wie sah das konkret aus?
Beispielsweise habe ich an den Age Ratings der Spiele gearbeitet. Deutschland hat eine Sonderstellung bezüglich der Altersfreigaben für Jugendliche, für die die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) zuständig ist. Deutschland ist in ganz Europa übrigens das einzige Land, das Händler an diese Altersbeschränkungen bindet und sonst hohe Bußgelder verhängt. Alle anderen Länder nutzen PEGI, die Pan European Game Information, die inhaltlich detaillierter auf die kritischen Aspekte wie Sexszenen oder Gewalt eingeht, deren Altersangaben aber nur eine Empfehlung darstellen. Bei Take 2 habe ich dann insgesamt fünf Jahre gearbeitet und viel gelernt. Und dann habe ich meine eigene Firma gegründet – Remote Control Productions.

2006 haben Sie den Videospielkultur e.V. ins Leben gerufen. Durch welche Aktivitäten zeichnet sich der Verein aus?
Unser Hauptevent ist die zweiwöchentliche Games-LoungeReihe. Da sind wir durch die Pandemie natürlich stark eingeschränkt, und es können zurzeit keine Leute kommen. Normalerweise hatten wir da immer zwischen zwei Dutzend bis etwa sechzig Gäste, die sich austauschen und gemeinsam spielen konnten. Das Besondere ist, dass die Veranstaltungen kostenfrei und für alle offen sind. Ein- bis zweimal im Jahr laden wir explizit Familien ein. Wenn Eltern mit Kindern kommen, ist klar, dass dann keine Spiele ab 16 oder ab 18 laufen, sondern nur für die junge Altersgruppe geeignete Games gespielt werden. Außerdem organisieren wir kulturelle Vortragsreihen. Dabei geht es um gesellschaftspolitische Metathemen. Also keine Veranstaltungen zu »wie mache ich ein Game«, sondern Vorträge zu »Games und Rechtsradikalismus« oder »Games und Außenpolitik«. Wobei es bei letzterem nicht darum geht, ob in der »Anno«-Reihe die Kolonialzeit historisch korrekt dargestellt wird. Was wenige wissen: Mit Games wird ganz konkret Außenpolitik gemacht. China etwa nutzt sie seit gut zwanzig Jahren ganz strategisch, um eine kulturelle Vorherrschaft in der Welt zu erlangen. Das führt dazu, dass chinesische Kinder Astronauten werden wollen und westliche Kinder Influencer. Die autoritäre chinesische Politik wird durch Narrative in Games klar unterstützt, etwa wenn es um die Eroberung des Weltraums geht. Die Vorstellung von Stärke, von Überlegenheit, dass einer für alle entscheidet. Auch in Russland oder den USA werden Games, im Detail politisch anders, aber doch strategisch bewusst, zu Staatszwecken eingesetzt.

Dazu unterhält der Verein auch ein großes Archiv mit etwa 11.000 Spielen und vielen alten Konsolen. Was unsere Sammlung aber besonders macht, sind die vielen internationalen Titel, darunter viel Obskures und Skurriles, Games aus den USA oder aus Japan, die nie in Deutschland erschienen sind. Neben reinen Unterhaltungsspielen sammeln wir auch Serious Games und als Kulturverein durchaus auch problematische Titel. Es gehört zu unserem Verständnis als Kulturverein dazu, auch solche kontroversen Themen abzubilden.

videospielkultur

Max Payne in Aktion | © https://www.igdb.com/games/max-payne/

Videospielkultur e.V. war im Mai auch Kooperateur des Festivals »Prepare to Die!«. Wie kam es dazu?
Die Festivalidee ging vom Pathos Theater aus. Es war eine kooperative Zusammenarbeit, in die sich alle eingebracht haben. Ich selbst war in die Details der Planungen jedoch nicht eingebunden. Die Hauptarbeit haben zwei Kollegen geleistet. »Prepare to Die!« ist ein spannendes Motto, da der Tod im Game nicht endlich ist, sondern jederzeit wiederholbar. Und das macht auch etwas mit dem Denken. Es geht um Scheitern und darum, danach wieder aufzustehen. Und das wird in der US-amerikanischen Start-up-Kultur ganz anders gelebt als in Deutschland.

Das Festival untersuchte die Schnittstellen zwischen Gaming und Theater. In den letzten Monaten ist Game-Theater sichtbarer geworden, es haben sich neue digitale Formate wie Telegram- oder Instagram-Theater entwickelt. Können Sie eine Annäherung des Theaters, der anderen Künste oder der Gesellschaft hin zum Gaming beobachten?
Insgesamt nehme ich das nicht so wahr. Es gibt immer wieder Leute, die behaupten, im Virtuellen gäbe es gar keine reale Interaktion. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt Begegnungen im virtuellen und im physischen Raum und beide sind gleichermaßen real. Für die Präsenzerfahrung des Menschen macht das grundsätzlich keinen Unterschied, selbst wenn Anfassen nur im physischen Raum funktioniert. Beide Formen sind real, und das ist, was zählt. Wir freuen uns jedenfalls, dass sich das Pathos bei uns gemeldet hat. Aber allgemein gesprochen ist die Reichweite
von klassischen Kulturinstitutionen hin zum Gamesbereich doch sehr überschaubar.

Wie sieht es denn mit der Stadt München selbst aus? Schließlich ist sie ein wichtiger Medienstandort. Der Deutsche Computerspielpreis DCP wird alternierend von Berlin und München aus verliehen.
Beim DCP sitze ich mit in der Hauptjury. Vorrangig ist das Landessache, aber ich habe immer wieder versucht, Repräsentant:innen aus dem Münchner Rathaus zur Preisverleihung einzuladen. Haimo Liebich (SPD-Mitglied und von 1990 bis 2020 ehrenamtliches Mitglied des Stadtrats) war mal da; sonst war das Interesse gering. München als Austragungsort des DCP und als Sitz des bedeutendsten Videospielkulturvereins – die Stadt interessiert sich nicht dafür. Ich finde das sehr schade, traurig sogar. Wir haben uns schon öfter bei der Stadt gemeldet, auch bei verschiedenen Stellen. Aber wir sind immer wieder weggeschoben und an Jürgen Enninger und das Kreativteam verwiesen worden. Und der war auch immer ein starker Verbündeter. Aber aus der lokalen Kulturpolitik wird uns kein Interesse entgegengebracht. Ich würde mir wünschen, dass sich auch die »Hochkultur« mal meldet. Zum Beispiel, dass es mal eine Ausstellung gibt zur Videospielkultur, das Archiv haben wir ja. Aber München könnte nicht desinteressierter sein. Der Videospielkultur e.V. hat eine offene Tür. Lasst uns zusammen Kulturarbeit machen! ||

Homepage

Hier geht es zum Kiosk

Das könnte Sie auch interessieren: