Ein Widerspruch und wieder nicht: Seit drei Jahrzehnten präsentiert die aDevantgarde Musik, die ihrer Zeit voraus ist.

aDevantgarde Festival

Grenzfragen

adevantgarde

Moritz Egger © Katharina Dubno

Er sei ja ursprünglich aus Frankfurt gekommen, erzählt Moritz Eggert zu Beginn des Gesprächs über das, was er da vor 30 Jahren zusammen mit anderen Münchner Komponisten gegründet hat. Dort in der hessischen Metropole habe man an der Musikhochschule gefragt: Was, Sie wollen nach München? Wieso gehen Sie denn in die Provinz? So sah man die Bayerische Landeshauptstadt in der Frankfurter oder Berliner Szene der Neuen Musik. Aber das hat den heute 55-jährigen Eggert damals nicht angefochten. Es war auch schon einiges im Gange. Wilhelm Killmayer zum Beispiel, Eggerts kompositorischer Mentor und einer der gefragten Professoren an der Münchner Musikhochschule, setzte sich dafür ein, dass das Städtische Kulturreferat junge Komponisten förderte. Und so ist die Sache schließlich ins Laufen gekommen, bis hin zu einer auf ihre Weise blühenden neumusikalischen Gegenwart.

Eggert zählte zu einem Kreis von Komponisten, die damals in ihren Zwanzigern waren. Die Zeichen standen gut. Seit 1988 setzte die Münchner Biennale unter Leitung von Hans Werner Henze neue Akzente in der so verschrienen Provinz. Das war ein Rahmen, worin die zeitgenössische Musikszene unter ganz neuen Vorzeichen Blüten trieb. Wie in New York, so Eggert, wo Komponisten wie John Zorn für frischen Musikwind sorgten, wollte man in München über die engen ideologischen Grenzen hinauswachsen, die die Avantgarde gesetzt hatte. Wollte mit offen propagierter Pluralität Stücke für ein Festival zulassen, die anderswo keine Chance hatten. Elektronik, Video, Musik und Bild, aber auch Minimalmusik und anderes, so Eggert. Und das Schöne war: Das Festival, das er mit seinem Kollegen Sandeep Bhagwati auf den Weg brachte und das sich damals noch ADEvantgarde schrieb, konnte im Wechsel zu Henzes Biennale laufen, die seit 1988 alle zwei Jahre stattfand.

adevantgarde

Ruth Geiersberger © Severin Vogl

So entstand eine gegenseitige Anregung zwischen etablierterer und jüngerer Komponistenszene, von der Eggert selbst profitierte. Seine Ouvertüre »Der Rabe Nimmermehr«, die zum Repertoire des ersten ADEvantgarde-Festivals im Jahr 1991 gehörte, wirkte nach Meinung des Künstlers wie eine Empfehlung, die zum Kompositionsauftrag für seine 1997 uraufgeführte Biennale-Oper »Helle Nächte« führte. Da hatte die aDevantgarde schon richtig Fahrt aufgenommen. Die verantwortlichen Komponisten fragten bei Regisseuren wie Claus Guth oder Regisseurinnen wie Ruth Geiersberger an, ob sie sich um die Inszenierung und Performance von Neuen Werken des Festivals kümmern konnten. »Mund-Stücke« war der Titel eines Abends mit Musik unter anderem von dem griechischen Komponisten George Aperghis. »Und dann haben wir aus dem Münchner Jagdmuseum als Requisite einen Elch ausgeliehen, weil der so dicke Lippen hatte«, erinnert sich Geiersberger. Solche Effekte hätten dem Besuch der neutönerischen aDevantgardeKonzerte, die mit dem Neuen Theater/i-Camp in der Entenbachstraße einen festen Festivalort bekommen haben, Sinnlichkeit verliehen. Das genau sei es gewesen, erzählt Geiersberger, was sie den Musikern geben wollte. Die hätten auf sie bei den Konzerten immer ein wenig unbeholfen gewirkt. Vor allem, wenn sie nicht spielten. Diesen »Räumen zwischen den Tönen« habe ihre Aufmerksamkeit gegolten.

adevantgarde

Johannes X. Schachtner © Doris Drexel

Und Geiersberger machte mit ihrer Performance-Kunst die aDevantgarde zum Kult-Festival der jungen Szene. Zu der gehörte in den Nullerjahren auch der Komponist Johannes X. Schachtner. 2009 korrepetierte er einige Kurzopern für das zehnte Festival, das unter dem Motto »spielend« stand. Dass Schachtner spielend für einen erkrankten Bariton als Sänger eingesprungen ist, ist heute noch bei aDevantgarde-Fans in lebhafter Erinnerung. Schließ lich übernahm er sogar neben Alexander Strauch von Moritz Eggert die Leitung des Festivals. Eggert hatte nach unermüdlicher Finanzierungssuche einen kräftigen Förderer in der Bundeskulturstiftung gefunden, aber nur für die noch von ihm verantworteten Festivals 2007 und 2009. Danach klaffte eine Lücke im Budget. »What Crisis?« betitelten Schachtner und Strauch ihr erstes Festival 2011. »Und tatsächlich«, so erinnert sich Schachtner, ging es nicht nur um ein Finanzloch, sondern auch um die Frage nach dem zukünftigen Profil des Festivals.

Eben diese Frage ist bis heute die Herausforderung der aDevantgarde geblieben. Wer »A« sagt müsse auch »De« sagen, meinte einmal der Gründer Moritz Eggert scherzhaft. Die aDevantgarde bleibt ein Festival, das anders als die Avantgarde den Bruch zur Tradition ablehnt und eher die Verbindungen und Wurzeln sucht, die für die Neue Musik prägend sind. Dazu zählt auch die Volksmusik, aus der die Festivalmacher 2019 den »Neuen Hoagart’n« kreierten. »Drunter & Drüber« hieß dann das Festivalmotto mit Spielorten, die vom Kellerkonzert im Einstein bis zum Programm in den Räumen der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in der Münchner Residenz reichen. Für Moritz Eggert löst das Festival nach wie vor den Anspruch ein, aus dem heraus es vor 30 Jahren erwachsen ist. Offenheit, Pluralismus, keine Doktrin, keine Ideologie, nicht nur regional, sondern auch international verortet. »Auf jeden Fall ist es nicht provinziell«, scherzt Eggert mit Blick auf die gesamten Historie des Festivals. Die junge Szene in München sei bei alledem erfrischend anders als die in Berlin oder Frankfurt. In diesem Jahr heißt das Motto passend zur Corona-Pandemie, von der aDevantgardeKonzerte bislang wegen des zweijährlichen Zeitraums noch nicht betroffen waren, »Grenzen«. Geplant sei, die 16. aDevantgarde als analoges Festival zu veranstalten, heißt die kühne Maxime von den diesjährigen Leitern Alexander Strauch und Markus Lehmann-Horn. Falls dies nicht durchführbar sein sollte, so zu lesen auf der Website, werden die Konzerte als Stream in der Regel eine Woche nach Erklingen online abrufbar sein. (UPDATE: Laut dem Stand vom 14. Mai werden Veranstaltungen vor Live-Publikum gezeigt, sieben Tage später kann das Festival auf YouTube nachgestreamt werden. ||

16. ADEVANTGARDE: GRENZEN
Einstein, Black Box, schwere reiter u.a.
3.–13.Juni | verschiedene Zeiten

Hier geht es zum Kiosk

 


Das könnte Sie auch interessieren: