Vernichtung, Vergessen, Gedenken: das NS-Dokumentationszentrum präsentiert das einzigartige Erinnerungsprojekt des Linzer Autors Heimrad Bäcker.

Heimrad Bäcker im NS-Dokumentationszentrum

Es genügt, bei der Sprache zu bleiben

heimrad bäcker

Heimrad Bäcker: Ohne Titel, undatiert; Ansicht der Champignonfarm »Danners«, Jourhaus, KZ Gusen-Mauthausen | Schwarzweiß-Fotografie © mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Schenkung von Michael Merighi

Sprechen und schreiben sind Handlungen, das haben die Sprachwissenschaft und die Sprechakttheorie im 20. Jahrhundert gezeigt. Handlungen mit Wirkungen. Und die Poesie? Sie wünscht, mittels Sprache die Wahrnehmung der Welt zu verändern – jedenfalls die Wahrnehmung von Sprache. Heimrad Bäcker ist in dieser Hinsicht ein extremer Poet. Aktuell zeigt das NS-Dokumentationszentrum Fotografien – eine Auswahl aus 14 000 Aufnahmen, Dokumenten und Texten – des 1925 geborenen Autors.

Bäcker studierte nach dem Krieg Philosophie, Soziologie und Völkerkunde und promovierte 1953 über die Existenzphilosophie von Karl Jaspers. Er war von 1955 bis 1976 Referent an der Volkhochschule Linz, danach Lehrbeauftragter für Literatur an der Hochschule für Gestaltung. Seit 1968 gab er die Zeitschrift »neue texte« heraus, aus der 1976 seine »edition neue texte« hervorging, der damals wichtigste Avantgarde-Verlag Österreichs. Andererseits: Er war Hitlerjunge, volontierte bei der Linzer »Tages-Post«, wo er aus Verehrung einen Text »Wir haben den Führer gesehen« publizierte, war als 18-Jähriger in die NSDAP aufgenommen – und nach 1945 zu Arbeiten im KZ Mauthausen herangezogen worden. In dieser Konstellation widmete er sich einem lebenslangen Exercitium der Erinnerung und Vergegenwärtigung, schuf ein einzigartiges Werk: »nachschrift« (1986), »EPITAPH« (1988) und »nachschrift 2« (1997). »Es genügt, die Sprache der Täter und der Opfer zu zitieren. Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist«, so das Prinzip dieser konkreten, konzeptuellen Poesie. Eine unabschließbare Arbeit an der »Aufhebung von Sätzen«, denen das Entsetzen als Kontext eingeschrieben ist.

Seit den 60er Jahren – eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gab es damals in Österreich kaum – dokumentierte Heimrad Bäcker fotografisch das Gelände der ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen und Gusen: von Pflanzen überwachsene Strukturen, Ruinen oder umgewidmete Gebäude, und sammelte Relikte. In der Ausstellung findet das Zitat eines Opfers, »es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben«, Resonanz in der sachlichen Formulierung »es ist nicht bekannt wie viele deportierte in den gaskammern getötet wurden«. Als Fassadenprojektion über dem Eingang des NS-Dokumentationszentrums war Ende März zu lesen: »der 1. transport geht am freitag den 20.10.1939 um 22.00 uhr vom aspangbahnhof ab«.

Neben einem vom 2003 gestorbenen Autor gesprochenen Ausschnitt aus »nachschrift« wird auch die Textinstallation »die übrigen« präsentiert, für die Bäcker ebenfalls Zitate aus historischen Dokumenten verwendete: aus dem »Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von 1939 bis 1945«. Ein Foto zeigt die Beschilderung über der Toreinfahrt zum ehemaligen Konzentrationslager Gusen: »Täglich frische Champignon« von »Danners Champignon Farm«. Bäcker stellte damals und unablässig die Frage: Wollen wir uns erinnern? Und wie? Diese Frage bleibt. ||

HEIMRAD BÄCKER. ES KANN SEIN, DASS MAN UNS NICHT TÖTEN WIRD UND UNS ERLAUBEN WIRD, ZU LEBEN
NS-Dokumentationszentrum München
Max-Mannheimer-Platz 1 | bis 6. Juni | Information und Veranstaltungen

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