Maxi Pongratz ist ein valentinesker Musiker. Weggefährte Andreas Ammer präsentiert den Folklore-Anarchisten und sein neues Album.

Maxi Pongratz:

Ab in die Luft

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Ein Blasebalg als Verkehrsmittel: Maxi Pongratz mit individualisiertem Instrument | © Andreas Schlumprecht

Die Piloten: Maxi Pongratz, der buntes Akkordeon spielende Kopf hinter Kofelgrschoa, und Micha Acher, das Bass und Tuba spielende Herz von The Notwist, haben zusammen eine Platte gemacht. Sie heißt »Musik für Flugräder«. Das Bandkonstrukt dahinter wird »Maxi Pongratz, Micha Acher, Verstärkung« genannt. Es besteht aus einer neunköpfigen Bigband aus dem Umfeld der Münchner Rumpeljazzszene. Niemand spielt ein verstärktes Instrument. Die Platte wurde in Verehrung des ein wenig verrückten und ein wenig vergessenen »Flugradbauers« Gustav Mesmer geboren. Dieser hat irgendwo auf der Schwäbischen Alb im letzten Jahrhundert und in diversen »Heilanstalten« fantastische Flugapparate entworfen. Diese haben sich – denn sie sind poetische Maschinen – nie einen Zentimeter vom Erdboden erhoben. Im Inneren der Platte befindet sich der Text »The quest for a different kind of flying machine« von Stefan Hartmaier, seines Zeichens Vorstand der Gustav Mesmer Stiftung. Die Platte selbst ist also eine Flugmaschine.

Ein Hinweis von Ihrem Flugbegleiter: Vorsicht, wir starten in München. Und natürlich kann dies deshalb keine LP-Kritik sein, sondern nur ein Erlebnisbericht. Denn den Acher Micha kennt der Autor dieser Zeilen schon länger als das Jahrtausend. Einmal haben wir, zusammen mit dem Cellisten Sebastian Hess, im 60er-Stadion mit Sepp Bierbichler und ein paar hundert Notenständern das Leben von Karl Valentin nachgestellt. Damals hat Micha Cornet im Fußballstadion gespielt. Auch vom Valentin Karl gibt es ein Bild mit einer unmöglichen Flugmaschine. Durch das Stadion flog damals ein kleines, ferngelenktes Flugzeug. Maxi Pongratz hingegen tauchte etwas später am Flugplatz auf. Das erste Mal gesehen (und kaum gehört) habe ich ihn zusammen mit seiner Band Kofelgschroa vier Jahre, bevor diese ihr erstes, von Micha Acher produziertes Album 2012 bei Trikont herausbrachte. Das war die Platte mit dem Lied von der Wäsche und dem Licht und der daraus resultierenden, beglückend ernst gemeinten Frage »Wie schön ist das eigentlich?«. Das Werk hat den Goldstandard für bayrische Flugkunst um einiges höher gelegt. Mit ihm war die Welt etwas schöner geworden.

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Micha Acher und Maxi Pongratz | © Abzocker Verlag

Kofelgschroa spielte auf einem Sonnwendfest in Farchach in der Nähe des Starnberger Sees. Auf dem Fest gab es unter einer bunten Lichterkette Bier und Erdbeerlimes. Da standen auf einer Weide Bierbänke und eine von der Burschenschaft gezimmerte Bar, und als es dunkel wurde, brannte die Winterhexe auf einem Scheiterhaufen. Die Kinder rannten ums Feuer, die Erwachsenen tranken Bier, kaum einer weiß noch, mit welchem Flugtaxi er in dieser Nacht nach Hause gekommen ist. Kofelgschroa nahm kaum jemand wahr. Der örtliche Biobauer hatte sie engagiert. Sie spielten Blasmusik, aber eigentlich etwas, was sehr erkennbar damit nichts mehr zu tun hatte und nach Punk oder gar Techno klang, was aber ebenso wenig möglich war, wie mit einem Fahrrad nach Hause zu fliegen, da unter der Lichterkette ja nur der Maxi an der Quetsche mit drei Freunden an den Blasinstrumenten saß. Dass in dieser Nacht etwas passiert sein könnte, was die bayerische Musik für immer verändern sollte, hätte man daran erkennen können, dass der Leiter der örtlichen Blaskapelle zunehmend wütend wurde, einen roten Kopf bekam und spät in der Nacht noch zu randalieren anfing, weil die Organisatoren es gewagt hatten, statt seiner zünftigen Lederhosencombo »an Schmarrn« zu engagieren.

Unsagbar unspektakulär, unsagbar schön

Jahrelang passierte nichts. Dann kam erst die Kofelgschroa-Platte und dann der Erfolg. Ich überspringe die jubelnden Hallen und die tanzenden Zelte. Anders als ihre Kollegen von La Brass Banda, die ebenfalls vom TrikontLabel entdeckt worden waren, flüchtete Kofelgschroa im Erfolg nicht zu einem Konzern. Sie flogen nicht mit der 727 von Auftritt zu Auftritt. Sie bleiben am Boden, trotz Tourneen in ferne Länder, einem Film und großer Verehrung. Offiziell befindet sich die Band gerade in einem Dornröschenschlaf und wartet auf den nur im Märchen vorkommenden Prinzen. Maxi macht also solo weiter und wohnt jetzt in Obergiesing. Das letzte Mal habe ich ihn gegen Ende des ersten Lockdowns 2020 am Instrument gehört. Es war wieder in Farchach auf dem Biobauernhof. Die Bauern hatten gefragt, ob er spielen würde, während die Kunden in der Schlange vor dem Hofladen warteten. Er spielte auf den Hut und nur instrumental. Theresa Loibl, auch eine Flugradbauerin, begleitete ihn mit der Tuba. Kein Lautsprecher. Reine Musik. Irgendwo musste sich – es war ganz klar zu hören – in der Nähe ein Eingang zum Paradies befinden. Über dem Hof und in jeder Note, die durch die Luft des Frühjahrs klang, lag das für Maxi so typische Gefühl zwischen »Müdigkeit und Dankbarkeit«. Es war unsagbar unspektakulär, unsagbar schön.

Und jetzt die »Musik für Flugräder«, für die Micha Acher kurz aus seinem Notwist-Mutterschiff ausgestiegen ist und mit dem Maxi und seiner Verstärkung ein paar Lieder geschrieben hat. Die Musik klingt groß wie eine leere Startbahn, aus der das Gras bricht. Niemand singt ein Wort. Reine Musik auch das. Man könnte etwas von »wunderschön« murmeln, wenn es nicht so peinlich klingen würde. Auf dem Cover Gustav Mesmers Entwürfe für Flugräder. Auf dem Beipackzettel werden drei einfache Fragen gestellt: 1. »Stimmt es, dass der ›Ikarus vom Laubental› Gustav Mesmer seine Fluggeräte baute, um aus den ›Heilanstalten› zu fliehen, in denen er 35 Jahre verbringen musste?« 2. »Ist es wahr, dass Micha Acher & Maxi Pongratz & ihre Verstärker-Band dieses Album auf Instrumenten eingespielt haben, die von Gustav Mesmer gebaut wurden?« 3. »Was ist dran an dem Gerücht, dass Ikarus Mesmer nach seinem Tod in einem Raumschiff davonflog, das von Space-Musiker Sun Ra gesteuert wurde?«

Die Antworten auf diese Fragen weiß Ihr Flugbegleiter des »Münchner Feuilletons«: 1. Ja, aber es ist ihm nicht gelungen, da er kein Musiker war. 2. Nein, aber es gibt diese Instrumente. Micha Acher und seine Kollegen von The Notwist haben unlängst auf ihnen gespielt und arbeiten zusammen mit dem Flugbegleiter an einem ganzen Hörspiel über Gustav Mesmer. 3. Nein, denn die Band The Notwist ist längst selbst zu diesem Raumschiff geworden und besitzt selbst einen Flugschein. ||

MAXI PONGRATZ, MICHA ACHER UND VERSTÄRKUNG
Musik für Flugräder | Trikont/Indigo

Am 14. Mai können Sie um 20 Uhr Maxi Pongratz live aus der Glockenbachwerkstatt erleben:

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