Von Punk bis Pop, von »Freizeit 81« bis Baader Café – die Monacensia wirft einen frischen Blick auf die Münchner Stadtgeschichte der 1980er Jahre.
Pop Punk Politik
München leuchtete
Erinnerung hat Löcher. Genau genommen besteht sie vor allem aus Leerstellen, zwischen die einzelne Ereignisse und Memorabilia als Ligaturen eingefügt werden. Daraus entsteht eine Art Scheinarchitektur des Vergangenen, je weiter entfernt, desto bunter eingefärbt. Forensiker beißen sich an solchen neurologischen Deutungsprozessen die Zähne aus, wenn sie einen Tathergang rekonstruieren wollen. Kulturhistoriker haben ihren Spaß an der Verdichtung der Diskurse, die sie aus der Menge der Materialien als Leitidee einer Epoche entwickeln können. Punk zum Beispiel: No Future, Irokesen, pöbelnde Jugendliche, laute, schreckliche Musik, alles abgerissene Gestalten in Nietenklamotten, Loser eigentlich, Wirtschaftswunderverweigerer. Der Mainstream der kulturellen Erzählung spült bürgerliche Bilder der Ablehnung an die Oberfläche, die mit dem Benz-Nicken der Saturiertheit den irregeleiteten Teenagern eine alberne, irgendwie auch beängstigende Wohlstandsverwahrlosung attestiert, gegen die es durchaus Heilmittel gäbe. »Geh doch erst mal zum Barras!« meinte ein Vermieter zu Peter Wacha, als der 18-jährige versuchte, Räume für einen Plattenladen zu finden, wo er Musik der Independent-Vertriebe vor allem aus England präsentieren wollte, die er so toll fand. Zum Glück ließ er sich nicht von seinem Traum abbringen und so kam das Optimal in die Hans-Sachs-Straße, der amtliche Plattenladen für alles, was um die Planeten Punk und New Wave kreiste und darüber hinaus eine der Anlaufstellen für die Clique des Tanzcafés Größenwahn.
Subkultur gegen Langeweile
Natürlich war es frech, den Stern vom Benz zu brechen und sich ihn mit einer Kette um den Hals zu hängen. Letztlich aber war es ein pubertärer, fast schon putziger Stinkefinger, der ähnlich der an Hauswände geschriebenen, umkringelten Anarchie-›A‹s auf Defizite einer Gesellschaft deutete. Es genügte nicht mehr, sich in wallende Batik-Tücher zu hüllen oder »Hare Krishna« zu singen, um mit sich im Reinen zu sein. Man las vielmehr Manifeste wie das des Club of Rome oder ließ sich von Ideen eines Neuanfangs beeindrucken, die eine RAF damals im Ansatz für manche verständlich, in der Umsetzung natürlich untragbar formuliert hatte. Da ging es nicht mehr gegen den Muff der Tausend Jahre, sondern um den Sinn einer konsummaximierten, wirtschaftsliberalistischen Welt, der sich nicht aus dem Kaufrausch erschließen wollte. »Das, was das Establishment unter böse verstand, musste meiner Meinung nach neu definiert, und das, was unter gut verstanden wurde, absolut zerstört werden«, gab Malcolm McLaren, selbst Kunsthochschüler, Brian-Ferry-Fan und zusammen mit Vivienne Westwood Chef-Designer der britischen Punk-Bewegung, in den Neunzigern polternd zu Protokoll, als die Kulturjournalisten Legs McNeil und Gillian McCain für ihr Oral-History-Romanprojekt »Please Kill Me« die Protagonisten der (amerikanischen) Punk-Bewegung befragten. McLaren castete damals die Sex Pistols als Anti-Band der gängigen Ästhetik und als laut und bewusst dilettantisch maulenden Affront gegen den Thatcherismus in seiner Heimat, deren wunderbar widersinniger Erfolg wiederum international die Kulturszene beflügelte.
In Hamburg, Berlin, Amsterdam, Paris bekam man von dieser Energie aufgrund der geographischen Nähe mehr mit als in München. Die Schanze brannte, am Bahnhof Zoo sammelten sich mutwillig und freiwillig Gestrandete, gerne auch vom Springer-Boulevard journalistisch blumig beschimpft. München war ruhiger, naiver, und ließ sich von anderen, harmloseren Ereignissen irritieren. Punks, die am Stachus rumhingen und lederbejackt irgendwie die Shopping-Aura störten. Gymnasiast*innen, die mit »Stoppt Strauß«-Badges den Schulauschluss riskierten. Oder, maximal subversiv, Teenager, die zu Sprühdosen griffen. »Die Soziologen gingen damals davon aus, dass es in den Achtzigern ein relativ großes institutionelles Milieu gab, das mit einer gewissen Langeweile auf die Subkultur herabblickte,« erklärt Ralf Homann, der als Kurator die Ausstellung »Pop Punk Politik« betreut, die von Mai an bis zum Januar 2022 in der Monacensia zu sehen ist. »Innerhalb dieser Subkulturen gab es aber doch einige, die deutlich radikaler waren, als es auf den ersten Blick erscheinen wollte. Es ist ja immer auch die Frage, wer etwas erzählt. Wir hatten in München beispielsweise die Aktivisten von Freizeit 81‹, die allein dafür, dass sie mit Sprühdosen unterwegs waren, eingefahren sind und zum Teil monatelang in Untersuchungshaft festgehalten wurden. Eigentlich waren das Oberschüler-Punks, die sehr an Kultur interessiert waren. Es gab aber auch welche, die einen Molly geschmissen haben, in München vielleicht seltener als in anderen Städten. Hier wurden hinter solchen Aktionen gleich riesige terroristische Organisationen von der Staatsanwaltschaft phantasiert, die reihenweise 15-Jährige eingeknastet hat, aus heutiger Sicht unvorstellbar. Das wurde aber in den Achtzigern in den Erzählungen nicht weitergegeben. Vielleicht hier ein wenig, aber in Berlin war das gar nicht präsent.«
Die Freiheit der Sonntagsruhe
München wirkte kontrolliert, ruhig, touristisch. Wer genauer hinsah, entdeckte die Widersprüche einer sozialdemokratischen Hochburg mit Räte-Vergangenheit inmitten eines mental agrarischen Ozeans des katholischen Konservatismus. Diese in grellem Technicolor gepflegte Lederhosenhaftigkeit, die die Stadt und das umliegende Voralpenland zum Prototyp heimatlicher Urlaubsidyllen stilisierte und eigentlich nur einmal, 1980, durch das erst heute als Neonazi-Anschlag erkannte Oktoberfestattentat empfindlich gestört wurde, hatte für die Kultur unterhalb des Jodel-Radars auch Vorteile. Denn unbeachtet von der Nervosität der Öffentlichkeit konnten sich Nischen entwickeln. Obrigkeit schafft Freiräume, wenn man die Mechanismen der Kontrolle verstanden hat. So ist eine der wichtigen Erkenntnisse, mit der die Ausstellung »Pop Punk Politik« die Diskussion kommender Monate eröffnet, dass München in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern bunter war, als man es spontan erinnert. Stichwort Optimal. Oder die Szene rund um Sparifankal und Carl-Ludwig Reichert. Die politische Neue Volksmusik, ein Bayerischer Rundfunk, der im Landler-Schatten »Pop nach Acht«, aber auch »Pop Sunday« als jugendliterarisches Format zuließ und mit »Live aus dem Alabama« schon TV-talkte, als Harald Schmidt noch in Augsburg den Mameluk im »Nathan« spielte. München hatte mit die ersten Schwulen-, Lesben- und Frauenbuchläden der Nation, gab Fluxus-Koryphäen wie der Künstlerin Rabe Perplexum Raum für Gestaltung, sammelte Regisseure, Literaten und dezent Jungwilde im Baader Café.
Tendenziell war die eher lauwarme Wahrnehmung der Stadt in dieser Zeit nach dem Leuchtfeuer der Mode- und Disco-Ära auch eine Chance für die Vielfalt im Verborgenen. »Es geht in der Literatur nicht so schön auf, wie ich es in Erinnerung habe,« erzählt Homann weiter, der auf der Seite seines anderen Arbeitgebers BR als »Künstler, Bildhauer, Feature-Autor« gehandelt wird. »Es wird ja auch eine Ausstellung im Stadtmuseum über das Nachtleben in München geben. Da kann man dann wunderbar die Grenzen ziehen und sagen: ›Da ist das Lipstick, da das P1, der Pop Club, der Club Thomas, das Tanzcafé Größenwahn!‹ In der Literatur lässt sich das nicht so sauber trennen. Ein Rainald Goetz, der im Baader Café sitzt, beschreibt eben das Lipstick, aber auch das Größenwahn. Bestimmte Leute waren in verschiedenen Szenen unterwegs. Einen DJ Hell fand man genauso im P1 wie in New-Wave-Schuppen. Oder die Sannyasin-Disco, wo dann wieder, mit Ausnahme der Nazis, ab einer gewissen Stunde alle eingelaufen sind. In der Erinnerung lässt sich das genau trennen, aber die Überprüfung des Ganzen ist nicht so eindeutig.«
Gegen die Fremdbestimmung
Das wiederum korrespondiert mit Erfahrungen, die die Leiterin der Monacensia Anke Buettner und die Kuratorin des Hauses Sylvia Schütz bereits während der vorangegangenen Ausstellung zu Erika Mann gemacht haben. »Wenn man eine Ausstellung wie ›Pop Punk Politik‹ auf die Beine stellt, wird schnell klar,dass das eigene Archiv aus vielen Lücken besteht«, meint Anke Büttner und sieht dabei nicht so unglücklich aus, wie das der Satz vermuten lässt. »Wir haben beschlossen, uns davon nicht beeindrucken zu lassen, sondern es vielmehr als eine Möglichkeit zu sehen, auch die Sammlung weiter zu entwickeln. So haben wir diesmal beispielsweise einige Fanzines neu angekauft und können sie als Dokumente der Stadtgeschichte behandeln. Es ist ebenfalls eine Erfahrung vorheriger Projekte, die Ausstellung zum einen über einen längeren Zeitraum zu präsentieren, darüber hinaus sie aber auch im Internet als mögliches offenes Forum zu betrachten, wo man etwa über Social-Media-Kanäle zu deren Weiterentwicklung beitragen kann.« Es lohnt also beispielsweise, sich über Facebook zu vernetzen. Wenn es die Behörden und Inzidenzen dann erlauben, auch physisch den Weg Richtung Hildebrandhaus am Isarufer einzuschlagen, wird sich die Ausstellung mit mehreren ineinandergreifenden Schwerpunkten präsentieren. Sie liegen einerseits auf Lebensgefühl und Gegenwart der Achtziger, auf literarischer Produktion sowohl im etablierten Buchwesen wie auch in den an vielen Kulturstellen heranwachsenden Fanzines und Spartenblättern, auf der anderen Seite aber auch mit einem eigenen Raum zum Thema »Do It Yourself«.
Beim ersten Tunix-Kongress war im Berlin der späten Siebziger die »Projektemacherei« als Gegenmodell zur strategischen Parteienpolitik und Wirtschaftslenkung entwickelt worden, ein Modell, das vom genialen Dilettanten bis zur Vorstellung selbst organisierter Naturschutz-, Menschenrechts- oder Kunstinitiativen seitdem die Struktur des Kulturbetriebs, bis hinein in die Rückaneignung durch die öffentlichen Fördertöpfe, prägt. Spielen, auch wenn man nur drei Akkorde kennt. Mitreden, auch wenn man nicht zum institutionellen Kader gehört. Mitbestimmen, auch wenn man sich weigert, die bestehende Ordnung als gottgegeben hinzunehmen. Insofern bekommt »No Future!« eine andere Bedeutung. Während die Generation der Ton Steine Scherben von einer Anarchie mit dem Slogan »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« träumten, war die Zukunft, die der Punk und seine Zeitgenossen nicht wollten, eine Gesellschaft der Fremdbestimmung. Nicht labern, sondern tun. Das ist die Richtung. ||
POP PUNK POLITIK – DIE 1980ER JAHRE IN MÜNCHEN
Monacensia im Hildebrandhaus | MariaTheresia-Straße 23 | 30. April 2021 – 31. Januar 2022
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