Das DOK.fest wird auch in diesem Jahr nur über den heimischen Bildschirm laufen. Dem spannenden und vielseitigen Programm tut das jedoch keinen Abbruch.
DOK.fest 2021
Zurück ins Heimkino
Es hätte ein wunderbares Pilotprojekt werden können: Das DOK.fest 2021, ein analog-digitales Filmfestival, von dem Filmemacher aus der ganzen Welt, die Cineasten der Bundesrepublik und die Kinobetreiber in München profitieren. Für Leiter Daniel Sponsel blieb die Hoffnung lange bestehen: »Im Februar sind wir noch davon ausgegangen, dass wir im Mai in die Kinos können. Wir haben die Idee aufrechterhalten, auch wenn die Aussichten immer schwieriger wurden. Die finale Entscheidung für ein rein digitales Festival fiel dann erst in der letzten Märzwoche, in Absprache mit den Förderern«.
Nun, für das Festival könnte es wahrscheinlich eine Fortsetzung des letztjährigen Höhenflugs werden. 75.000 Zuschauer aus ganz Deutschland führten sich 2020 den Filmgenuss als Stream zu Gemüte. An die Partnerkinos (City Kino, Neues Maxim, Rio Filmpalast) flossen insgesamt 19.000 Euro aus dem Solidarbeitrag der Onlinetickets. Ein klares Zeichen, dass Filmfestivals unter Krisenbedingungen funktionieren können. Zusammen mit dem Streamingportal Pantaflix, Adobe als neuem Preisstifter und 130 Filmen im Gepäck, geht das DOK. fest nun also in die zweite @home-Runde. Und im Gegensatz zum letzten Jahr, in dem in kürzester Zeit umdisponiert werden musste, waren die Vorbereitungen heuer entspannter. »In der Ausschreibung im September 2020 haben wir das Duale bereits angekündigt und viel positives Feedback erhalten. Natürlich hielten wir noch mal Absprachen, da die analoge Leinwand wegfällt, aber wir mussten nicht jeden Film neu verhandeln.«
Ein Zeichen für die Demokratie
Mit dem Eröffnungsfilm »Hinter den Schlagzeilen« bietet das DOK.fest gleich zu Anfang einen ganz besonderen Höhepunkt. Daniel Sager begleitet Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, Reporter des Investigativressorts der »Süddeutschen Zeitung«. Obwohl der Film in seiner Machart nüchtern und ohne große Dramatik inszeniert ist, atmet man die zum Schneiden dicke Luft gemeinsam mit den Journalisten. Egal, ob es sich um ein Treffen mit Edward Snowden in Russland, die Recherchen zu den Panama-Papers oder das Aufdecken der Ibiza-Affäre handelt. Ganz konkret wird diese Anspannung, wenn es um die Bedrohung für Leib und Leben geht, die dieser Beruf mit sich bringt. Als trauriges Beispiel wird der Mord an der maltesischen Bloggerin Daphne Cuarana genannt, die 2017 durch eine Autobombe getötet wurde. Laut Sponsel hat sich das Team ganz bewusst für einen Eröffnungsfilm entschieden, der nicht die Pandemie thematisiert. »Wir wollten ein übergeordnetes Thema von unglaublicher Relevanz in den Fokus rücken. Es geht ja um nichts weniger als die Zukunft demokratischer Grundwerte.«
Der Blick auf den Einzelnen
Aber natürlich kommt man um das Thema Corona nicht herum. Will man jedoch überhaupt noch etwas dazu sehen? Nach einem Jahr sind die Ermüdungserscheinungen, wenn es um die mediale Berieselung mit Inzidenzwerten und Lockdown-Regelungen geht, deutlich zu spüren. Manuel Fenn hat mit »Die Welt jenseits der Stille« einen Weg gefunden, eine neue Perspektive auf Film zu bannen. Am Beispiel von zwölf Einzelschicksalen aus der ganzen Welt konzentriert er sich auf das Individuum in der neuen Lebensrealität und stellt damit einen gefühlt allumfassenden Blick her. »Das kommt in der tagtäglichen Nachrichtenlage zu kurz«, so Daniel Sponsel. »Uns fehlt die emotionale und narrative Anbindung zu den Corona-Ereignissen an anderen Orten der Welt.«
So begleitet man hier einen chinesischstämmigen Kung Fu-Lehrer in Berlin, den das »rücksichtslose« Verhalten der Deutschen und die Zurückhaltung der Politikratlos zurücklässt. Die Zuschauer teilen die Isolation mit einer polnischen Pflegerin, die aufgrund der Reisebeschränkungen Rom nicht mehr verlassen kann. Für eine russische Künstlerin ist der Lockdown ersehnte Ruhe und Entspannung, für eine junge Israelin ein Rückschritt aus ihrem selbstbestimmten Leben, zurück zu ihrer ultraorthodoxen Familie. Ein Pizzabäcker aus New York – trotz seiner Arbeit obdachlos – kämpft um die Reste seiner Existenz, während sich in Brasilien ein indigener Stamm mit dem tödlichen Virus allein gelassen sieht. Egal, auf welchem Flecken dieser Erde Manuel Fenn mit seiner Kamera arbeitet, er zeigt das, was in dieser Krise oft hinter Statistiken, Risikogruppen und der Einteilung in systemrelevant und -irrelevant verschwindet. Dabei stellt er alle Ausschnitte gleichwertig nebeneinander, ein Lamento wie »Anderen geht es viel schlechter« kommt an keiner Stelle auf. Dadurch entsteht ein Gesamtbild, das der persönliche News-Feed nicht bieten kann.
Von Legenden, Abgehängten und Stühlen
Ansonsten hat es das DOK.fest wieder geschafft, die unzähligen Grauschattierungen der Welt abzubilden, ob es sich nun um »große« Themen oder private Schicksale geht. Beides mischt sich in »The Last Hillbilly« von Diane Sara Bouzgarrou und Thomas Jenkoe, einer Lektion in Südstaaten-Tristesse. Durch das postapokalyptisch wirkende Kentucky wandelt der desillusionierte Brian mit seiner Sippe, abgehängt vom amerikanischen Traum. Eines von vielen Familienschicksalen in dieser Gegend. Dabei besticht der Film nicht nur durch seinen ungeschönten Realismus, sondern auch durch seine absurd-komischen Züge. Beispielsweise, wenn die Beerdigung eines toten Fisches zum nachmittäglichen Spiel für die Kinder wird. Und zu den Vorurteilen gegenüber Hillbillys hat Brian natürlich auch einen Standpunkt: Sie stimmen alle. Rassismus, Armut, Inzest, die Schuld an Trumps Wahlsieg, und so weiter. Eine nicht immer angenehme Annäherung an eine Randgruppe, die man nicht unbedingt sofort auf dem Schirm hat (oder nicht haben will).
Für Cineasten ist mit »The Rossellinis« eine besondere Perle im Programm. Roberto Rossellinis Enkel Alessandro lässt hier das schwierige Verhältnis zwischen der RegieLegende und seiner Familie Revue passieren. Neben Klassikern wie »Rom, offene Stadt« oder »Deutschland im Jahre Null« war der Regisseur schließlich auch für zahlreiche Beziehungen und Affären bekannt. Auf den ersten Blick obskur ist Hauke Wendlers Essay-Film »Monobloc«, in dem die Geschichte eines allbekannten, doch wenig beachteten Alltagsgegenstands thematisiert wird: die des weißen Gartenstuhls. Aber auch Themen, die das Festival schon über Jahre begleiten, stehen wieder auf dem Programm. So auch »Flucht und Asyl«, wie Daniel Sponsel betont. Der aufrüttelnde Beitrag »Shadow Game« von Eefje Blankevoort und Els van Driel zeigt minderjährige Flüchtlinge, die tausende Kilometer nach Europa zurücklegen. Was der Film außerdem beleuchtet, und was wirklich den Atem verschlägt, ist die eigene Social-Media-Inszenierung auf den gefährlichen Märschen. Leider gibt es Themen, die nie veralten.
Begegnung in Zeiten des Abstands
Festivalplanung ist auch im Frühjahr 2021 schwierig. Aber auch andere Münchner Institutionen wie die Türkischen Filmtage und das Jugendfilmfestival flimmern&rauschen verlagerten sich komplett ins Netz. Das Filmfest München sieht hingegen optimistisch in die Zukunft und plant für den Sommer ein stadtweites Open-Air-Kino-Event. Daniel Sponsel vertraut auf die technischen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit: »Die Website soll eine Art von Festival-Zentrum sein. Wir werden noch mehr dafür tun, dass das Rahmenprogramm eine digitale Begegnungsstätte werden kann. Q&A’s oder Meet and greets könnten über interaktive Tools wie Wonderroom oder SpatialChat funktionieren. Es wird noch einiges passieren, damit Publikum und Branche Möglichkeiten zur Begegnung bekommen«.
Das Ausweichen auf die Stream-Straße ist also (wieder) kein kompletter Wermutstropfen. Auch wenn das Bedürfnis nach Kino und Begegnungen noch so brennt. Und selbst dieses Brennen ist ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass man nicht komplett zum Opfer der Lethargie geworden ist. Also darauf, dass München 2022 sein erstes duales Filmfestival erlebt und dass jetzt die Welt wieder neu entdeckt werden kann. ||
36. DOK.FEST MÜNCHEN
5. bis 23. Mai
Zum zweiten Mal in Folge findet das Dokumentarfilmfestival in digitaler Form statt.
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