Haruki Murakami gönnt dem poetischen Alltag neue Rätsel und Geheimnisse.

Haruki Murakami »Erste Person Singular«

Die Welt dahinter

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Haruki Murakami macht sich rar. Interviews gibt er selten, wenn überhaupt. Ein paar aktuelle Bilder existieren, Pressefotos, die von offizieller Seite durchgereicht werden. Ansonsten muss man auf literarische oder dokumentarisch gelenkte Quellen zurückgreifen, wo er von sich als Marathonmann oder als einem vom Baseball zur Romanproduktion inspirierten Jazzbarbetreiber erzählt. Das wirkt, als seien diese Details selbst Teile eines Autorenpuzzles mit zahlreichen Leerstellen, verwandt mit seinen Erzählsituationen. Denn Murakamis Figuren zehren von der Beiläufigkeit des Fantastischen. Sie sitzen in Brunnen und reflektieren die eigene Begrenztheit, gelangen durch Aufzüge, Wasserfälle, Autobahnwartungsbrücken in parallele Dimensionen, stolpern durch Alltäglichkeiten zur Erkenntnis oder haben trotz ihrer Eigenschaftslosigkeit beiläufigen Astralsex. Vieles erscheint den Figuren rätselhaft, wird aber mit einem Schulterzucken hingenommen, weil es eben so ist und nur so sein kann, wie der Fluss der Ereignisse es gerade nahelegt.

Da machen auch die acht Erzählungen der Sammlung »Erste Person Singular« keine Ausnahme. Ausgangspunkt des poetischen Geschehens ist ein nicht näher spezifiziertes Ich, vermutlich Schriftsteller in der zweiten Lebenshälfte, dem im Laufe der Jahre manches begegnete, was auf dezent spektakuläre Weise bemerkenswert ist. Ein sprechender Affe in einem Landgasthaus, der Bruckner und Frauen liebt, nicht Äffinnen, und dem Erzähler seine besondere Form der Intimität beichtet. Eine nächtliche Zufallsbekanntschaft, deren depressiv lyrisches Talent nach Jahren sich mit einem Gedichtbändchen in Erinnerung ruft. Eine Frau, die ihre Hässlichkeit in hintergründige Attraktivität wendet, als Spezialistin für Robert Schumann und Trickbetrug. Ein eingebildetes Jazzalbum, auf dem Charlie Parker Bossa nova spielt und das wider alle Chronologie auf seine Weise existiert. Immer wieder sind es pubertäre oder studentische Amouren und Sexualitäten, die den Erzähler beschäftigen, mit glimmender Emotion und freimütig sinnierend aus der Distanz reflektiert. Sie folgen dem Muster einer als passiv erlebten Männlichkeit, der die Frauen als Naturereignis passieren, nicht unschuldig empfunden, aber überrascht und bei aller japanisch modernen Konvention mit selbstbestimmter Weiblichkeit konfrontiert. Inzwischen mehren sich auch die Gedanken über die eigene Endlichkeit, begleitet von einem melancholischen Grundton, dessen Lakonik Ursula Gräfe in der Übersetzung nachvollziehbar präsent abbildet. Denn es gelingt ihr, Murakamis Zwangsläufigkeit des Poetischen greifbar zu machen, die Tapetentüren des Besonderen, durch die das Rätsel seinen Weg in die Wirklichkeit der ersten Person Singular findet. ||

HARUKI MURAKAMI: ERSTE PERSON SINGULAR. ERZÄHLUNGEN.
Dumont, 2021 | 224 Seiten | 24 Euro

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