Neuhausen sendet in die Welt. Denn dort betreibt Tom Glagow sein club.radio, das derzeit durch die Decke geht.

club.radio von Tom Glagow

Funky Funk

club.radio

Tom ›Radio Man‹ Glagow | © Tom Glagow

Das Bild ist ein Zitat. Pate stand das Cover von Donald Fagens »The Nightfly«, ein Klassiker des Pop an der Grenze zu jazzgetönten Klängen, das den Sänger und Keyboarder von Steely Dan 1982 als nostalgisch schwelgenden Radiomoderator im Stil der Fünfziger inszenierte. Statt Sonny Rollins liegt beim Reenactment nun eine Platte von den Crusaders nachlässig auf dem Tisch, an deren optischer Gestaltung Tom Glagow einst beteiligt war. Kleinigkeiten, aber Grund zum Schmunzeln für die Connaisseure. Überhaupt könnte Tom Glagow tolle Geschichten erzählen! Wie er damals Björk im Schwanenkostüm in seinem Golf vom Flughafen abgeholt hat. Oder wie der Cure­-Chef und Finsterfürst Robert Smith ihm, ganz im Vertrauen, seine Lieblings-Jazzsongs geschickt hat. Oder wie er als Radio-Greenhorn in Hamburg vor die Tür gerufen wurde, denn da stünden zwei Männer, die interviewt werden wollten, und auf diese Weise seine langjährige Freundschaft zu Joe Sample und Wilton Felder von den Crusaders ihren Anfang nahm.

Stundenlang könnte Glagow erzählen, aber das bringt ein Leben mit sich, das sich um Musik dreht. Geboren in Buxtehude, tummelte er sich in jungen Jahren in der Hamburger Szene, lernte seinen Handelskaufmann, spielte Bass in Bands, verkaufte Platten am Mönckebergbrunnen. Das Business gefiel ihm, in den frü­hen Achtzigern gründete er eine Promo-­Agentur, legte Platten unter anderem an der Großen Freiheit auf und hatte sogar ein eigenes Restaurant. Ende des Jahrzehnts landete er beim Hamburger Stadtsender Radio 107, ab 1992 dann als Produktmanager bei GRP, Impulse!, bald auch bei Geffen, Universal, wechselte in die Verlagswelt und gründete 2009 schließlich sein eigenes Label C.A.R.E., inzwischen nach München umgezogen.

Das vergangene Jahrzehnt allerdings veränderte und pulverisierte das bisherige Musikgeschäft, ließ aber auch alte Leidenschaften wieder zu. »Ich hatte sieben Jahre lang bei Popstop meine Jazz & More­-Sendung, zweimal die Woche, immer Donnerstag und Sonntag«, erinnert sich Tom Glagow an die Rückeroberung alter Reviere. »Das ist eine Internetstation von Frank Laufenberg, wo einige Radiolegenden unterwegs sind. Nachdem ich ja in Hamburg fünf Jahre bei Radio 107 gesendet hatte, bin ich irgendwann dazugestoßen. Dann stand 2020 die übliche Sommerpause an, nur Rotation. Laufenberg meinte, wir gehen alle mal in uns. Ich wollte aber diese neue Platte spielen und jene, hatte einige Sendungen bereits am Start, die ich aber nicht loswurde, weil wir ja in der Sommerpause waren. Also habe ich mich schlaugemacht, was es denn kosten würde, einen eigenen Sender zu betreiben, Gema, GVL, diese ganzen Sachen – billig ist das nicht. Dann habe ich jemanden gefunden, der mir die Homepage gestaltete, außerdem einen erschwinglichen Server aufgetrieben. Vor allem musste ich mir Gedanken machen, was ich eigentlich wollte: gute Musik spielen, kein neues Jazzradio oder eine Swing-­Polizei. Die zweite Grundidee war, mit den Clubs in Deutschland zu kooperieren. Wer spielt in der Unterfahrt, im A-­Trane in Berlin, im Stage-­Club in Hamburg, was macht das Elb­-Jazz Festival und so weiter. Die Clubs waren interessiert, ich dachte, wir könnten ab September loslegen. Dann kam die zweite Pandemie ­ Welle und dampfte alles ein. Bislang arbeite ich nur mit dem A-­Trane zusammen und feature zum Beispiel ein Konzert am 10. April als club.radio-Abend.«

Alles wurde daher ein wenig anders und komplizierter als gedacht. Aber Tom Glagow hatte seinen Entschluss gefasst und er machte wunderbare Erfahrungen. Er ließ sein altes Netzwerk spielen und schrieb Stars in aller Welt an, ob sie ein paar Sätze rüberschicken könnten. Bald füllte sich das Postfach mit Lob aus berufenen Quellen. Nächtelang saß er da und schaufelte die 12.000 Songs auf den Server, die er gut findet, aber auch das war irgendwann geschafft. Er entwickelte eine modulare Sendestruktur mit täglicher Rotation zwischen 10 und 16 Uhr und jeweils fünf neuen, moderierten und thematischen Zweistundensendungen pro Woche, die sich über die übrige Zeit geschickt verteilen. Am 4. September 2020 ging club.radio schließlich an den Start. Endlich durfte sich Tom Glagow ein wenig wie Donald Fagen fühlen, ein Radiomann mit Old­-School-Charme und der Freiheit zu spielen, was ihm gefällt.

Doch dabei blieb es nicht. Die ersten Wochen dümpelte der Sender auf den unteren Plätzen der Listen einschlägiger Radioportale im Nischendasein dahin. Aber dann ging es aufwärts, Woche für Woche, vorbei an Konkurrenten wie BBC Radio 3, Bremen Zwei, Ö1 bis an die Spitze der Jazz&Blues­-Charts bei der einschlägigen Radio­-App phonostar.de im März 2021. Die kleine Station aus einem Wohnzimmer in der Volkartstaße in Neuhausen wird inzwischen von Nordamerika bis Australien gehört und erobert auch die spartenübergreifenden Hitlisten. Künstler und Promoter werden aufmerksam, die Fangemeinde wächst. Die Nische wird zur Stärke, die Leidenschaft wertgeschätzt: »Ich habe fantastische Hörer! Das Geld, was ich an laufenden Kosten brauche, um den Sender betreiben zu können, kam jetzt während der ersten Monate durch Spenden von privaten Personen herein, die mich unterstützt haben. Und auch sonst ist das Feedback toll! Ich bekomme wieder viele Platten, denn es gibt in der Radiolandschaft nicht viel Jazz. 1,4 Prozent Marktanteil für diese Musik, da ist an sich nicht viel Spielraum. Aber ich mache weiter. Ein Jahr habe ich mir gegeben, ein halbes ist rum. club.radio brummt. Künstler schreiben mich an. Ich bekomme über die Homepage enorm viele E-­Mails, von Hörern zum Beispiel, die fragen, wie sie helfen können. Dabei gehe ich mit Spendenaufrufen ganz vorsichtig um, die Kontoverbindung ist ganz unten auf der Homepage versteckt.« Aber die Fans und Unterstützer finden sie. Wenn nach der Seuche mehr Kooperationen möglich werden und überhaupt die Welt wieder bunter wird, ist der Grundstein für eine funky jazzende Radiozukunft gelegt. Mitten in Neuhausen. ||

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