Das Regieduo Grosse Maschen verkleidet seine sozialkritische Film-Theater-Arbeit »Retnecboj« als Trash-Horror-Film. Am 13. April wird sie ihre Premiere im dasvinzenz feiern.
»Retnecboj« im dasvinzenz
Fluch der Arbeitslosigkeit
Eigentlich hätten wir mit dem Regieduo Grosse Maschen alias Sofie Gross und Cornelia Maschner schon im März 2020 Bekanntschaft machen sollen, aber dann kam die Seuche. Im letzten Jahr wollte das Duo Franz Xaver Kroetz’› »Münchner Kindl« inszenieren, eine Wutschrift über Verdrängung, Besitz, Bodenreform und Mietpreiswucher in München. Das Ganze sollte in einer Boazn spielen, wie Cornelia Maschner begeistert beschreibt, wo es eng und heiß ist und das Publikum zwischen den Darstellerinnen sitzt. Dieses Konzept wollten sie nicht aufgeben, deswegen »müssen wir uns das aufsparen, bis wir alle geimpft sind«, meint die Regisseurin.
Dem Thema Missstände sind sie aber treu geblieben, haben sich nur vom Mietmarkt der Arbeitswelt zugewandt. »Retnecboj« heißt ihre Horrorcollage und bezeichnet einen Ort des Bösen. Das Thema Arbeitslosigkeit lag seuchenbedingt in der Luft. Treffen Lockdown und Berufsverbot doch weniger den gut verdienenden angestellten Ingenieur als vor allem die selbstständig oder unständig Beschäftigten. Letztere sind in der Regel Schauspielerinnen, aber auch Garderobieren, Technikerinnen oder Ausstatterinnen bei Film, Fernsehen und Theater, die nur für die Dauer einer Produktion angestellt sind und so oft nicht in der Lage, genügend Anstellungszeit zusammenzukriegen, um Arbeitslosengeld I zu bekommen.
Erwerbsbiografien dieser Art sind überdurchschnittlich verdienenden und abgesicherten Politikern meist unbekannt und wahrscheinlich auch einfach egal. Kunst, Theater, Kulturjournalismus, alles nur Hobby, scheinen sie zu rufen. Und damit sind wir bei Anna Mayr und ihrem Buch »Die Elenden«, das ganz lose die Grundlage für Grosse Maschens Collage aus Textfragmenten von Siegfried Kracauer bis zur Telefonansage des Arbeitsamtes sowie Eigenrecherchen bildet. Mayr beschreibt, wie die Gesellschaft das System Hartz IV benötigt, um Menschen aus lauter Angst vor dem Absturz in die Hölle der Jobcenter in kriminell unterbezahle Niedriglohnjobs zu drängen.
Sie hinterfragt unsere Fixierung auf Erwerbsarbeit oder wie Maschner sagt: »Hobbys sind nur okay, wenn man auch arbeitet. Nur Malen nach Zahlen ist nicht okay.« Und so schicken Grosse Maschen ihre Protagonistin Hannah Gebhardt (Maria Lüthi) in den Strudel der Arbeitslosigkeit, in eine Mühle, die nach eigenen, unverständlichen Regeln funktioniert, in eine kafkaeske Bürokratie. Da lag es nahe, eine Horrorgeschichte draus zu machen. Auch im Horrorfilm landet man ja an einem Ort, dessen Regeln man nicht versteht. In »Retnecboj«, das nach skandinavischer Mysteryserie klingt, gilt es, im Zeitraum eines Jahres dem Fluch der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Schafft Hannah das nicht, stürzt sie in den Urgrund der Hölle: Hartz IV. Als nach Weihnachten klar wurde, dass auch diese Produktion nicht live stattfinden kann, sagte sich das Regieduo: Wir packen nicht noch ein abgesagtes Projekt. Auf Dinge hinzuarbeiten, die nicht stattfinden, ist einfach zu anstrengend. Und sie beschlossen, ins Internet umzuziehen.
Ursprünglich hätte das Publikum in der Mitte sitzen sollen mit den verschiedenen Settings drumherum. Jetzt gibt es unterschiedliche Filmsets. Die Sehgewohnheiten sind durch Netflix anspruchsvoller geworden, also kann man nicht nur die Kamera draufhalten. In Pius Neumaier von der HFF haben sie einen Kameramann gefunden, der ihnen hilft, die filmische Umsetzung zu denken. Das Ergebnis soll eine Kombination aus Theater, das fließt, sein und aus Film, »wo man zaubern kann«. Erst ist die Schüssel in der Hand des einen und dann in der des anderen, das geht auf der Bühne schlecht, mittels Filmschnitt aber problemlos. Theater funktioniert viel über Sprache, Film eher über Bild. Manche Ideen sind gestorben, weil sie filmisch keinen Sinn machen.
Leisten konnte sich Grosse Maschen die filmische Produktion nur, weil sie auf Startnext erfolgreich eine Crowdfunding-Aktion starteten. Technik und Fachleute kosten Geld, das in der freien Szene nicht da ist. Das gilt auch für Maske, Kostüm und Bühne. Ein Stadttheater kann aus dem Fundus und aus Werkstätten arbeiten, Gross und Maschner mussten sich Requisiten, Kostüme und Material privat leihen. Genauso wie die Trash-Ästhetik aus dem Horrorfilm. Die macht schwere Thema leichter. ||
RETNECBOJ. DAS UNSICHTBARE GRAUEN
dasvinzenz | online | 13., 16., 17., 23. April, 1. Mai, 20 Uhr; 25. April, 18 Uhr
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