Marc Elsberg lässt in seinem neuen Thriller den amerikanischen Ex-Präsidenten verhaften. Ein Spiel mit den Grenzen internationaler Politik.
Marc Elsberg: Ins Gericht
Zimperlich ist Marc Elsberg nicht. Spätestens seit der Wiener, ehemaliger Werbestratege und Thrillerautor, 2012 mit »Blackout« einem großen Lesepublikum bekannt wurde, rechnet man in seinen Büchern mit Überraschungen, die das menschliche Zusammenleben empfindlich stören oder verändern. Das können Terroristen sein, die die Taktung von Kraftwerken sabotieren, gemeuchelte Ökonomen, die mit einer neuen Formel den Neoliberalismus in Frage stellen, oder in seinem aktuellen Buch »Der Fall des Präsidenten« der internationale Gerichtshof für Menschenrechte, der den ehemaligen US-Präsidenten festsetzen lässt und damit eine Ereigniskaskade von internationalem Ausmaß lostritt. Ein guter Grund, mit Elsberg über die Realität der Imagination und andere Reize des Schreibens zu sprechen.
Herr Elsberg, ich war wieder einmal sehr fasziniert, wie man es schafft, einen derart kompletten Stoff in Thriller-Form mit zahlreichen parallelen Erzählsträngen zu gießen. Wie geht das, ohne den Überblick zu verlieren?
Ich mache das tatsächlich so, wie man es aus Beschreibungen von Autoren kennt. Früher hatte ich als Board einen Karton mit vielen Post-its, inzwischen ist es die digitale Variante mit großem iPad und Notizprogrammen. Wenn ich ein bisschen mehr weiß über den Ablauf, wird er zu einer Tabelle mit einzelnen Szenen und jeweiligen kurzen Inhaltsangaben. Jedes dieser Subkapitel bekommt dann eine eigene Überschrift, nur für mich, die dann wieder in einem eigenen Inhaltsverzeichnis steht, damit ich weiß, wo ich bin. Was aber nicht heißt, dass unterwegs nicht auch Dinge passieren, die ich nicht geplant habe. Wenn die Figuren etwas anderes machen, als ich eigentlich vorhatte, dann muss ich umdenken. Das ist aber der einzige Bereich in meinem Leben, wo ich Listen schreibe. Ansonsten bin ich doch eher unorganisiert.
Als ich unlängst mit einem befreundeten Romanautor sprach, erzählte er mir, ihm würden seine Figuren nachts manchmal quasi realistisch begegnen und sich beschweren, dass sie in der Handlung nicht richtig behandelt würden.
Das finde ich spooky. Ich gehöre zu den Menschen, die nachts wenig träumen. Ich schlafe ein, schlafe tief, wache wieder auf und kann mich selten an etwas erinnern. Beim Schreiben selbst aber entwickelt eine Figur manchmal ein Eigenleben. Sie kann sich auch gar nicht beschweren, denn sie tut einfach, was sie will. Ich tippe eine Szene, und während des Tippens sagt die Figur plötzlich etwas völlig anderes und lenkt die Geschichte womöglich in eine andere Richtung. Als Autor muss ich mir dann überlegen: Lass ich sie das sagen? Geht das? In der Regel lasse ich sie, denn die Figur ist klüger als ich, sie weiß, was sie will. Das ist zwar anstrengend, weil ich meine Planung über den Haufen werfen muss. Aber dadurch kann die Figur sich auch nicht bei mir beschweren, dass ich sie ungerecht oder böse behandle. Sie macht ja eh, was sie will. Ein bisschen wie bei Jugendlichen, denen man etwas sagt, und es ist ihnen wurscht.
Hatten sie durch Ihre Bücher schon einmal Konflikte mit der Wirklichkeit? Sie beschreiben ja Hintergründe von politischem Agieren oder nachrichtendienstliche Prozesse …
Bislang nicht, aber ich bin für solche Leute ja auch keine echte Person of Interest. Und wirkliche Geheimnisse plaudere ich auch nicht aus. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich aus anderen Gründen nach meinen Recherchen zu »Black Out« beispielsweise auf irgendwelchen Listen gelandet bin, nicht weil ich etwas geschrieben habe, sondern weil man automatisch in versteckte Raster gerät, wenn man jahrelang versucht herauszubekommen, wie man der Welt den Strom abschaltet. Aber so richtige Probleme hatte ich noch nie. Es waren ja auch keine Geheimnisse. Jeder, der Elektrotechnik studiert, weiß solche Dinge sowieso. Und letztlich bin ich Autor und werde auch als solcher wahrgenommen.
Verstehen Sie sich als Aufklärer?
Eigentlich nicht. Ich erzähle Geschichten, die mich interessieren. Ich stoße bei Recherchen auf ein spannendes Thema, merke: Ah, das habe ich nicht gewusst! Ich arbeite mich ein, bin fasziniert, bei »Zero« etwa von der Überwachungsgeschichte und der Datensammelei und Manipulation, bei »Helix« von den Möglichkeiten der Gentechnik oder bei »Gier« von den neuen ökonomischen Konzepten. Jetzt, beim »Fall des Präsidenten«, geht es ja auch um eine lange Entwicklung, eine ganze Generation. In diesem Jahr werden es 20 Jahre Nine-Eleven, und da haben sich ganz andere Verhaltensweisen in der internationalen Politik etabliert. Wenn man etwas genauer hinschaut, denkt man sich: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Da werden bewusst ganze Systeme destabilisiert, natürlich nicht nur von den Amerikanern, sondern von zahlreichen Akteuren. Einerseits haben wir Bereiche, etwa im Handel, wo wir in der globalisierten Welt Möglichkeiten gefunden haben, uns international zu verständigen. Auf anderen Feldern aber gilt weiterhin das Faustrecht. Das hat mich doch sehr beschäftigt.
Eigentlich naheliegend als Thema für einen Thriller.
Und da war ich überrascht, dass es dazu kaum etwas gibt. Ich habe einen Thriller gefunden, der vor ein paar Jahren zumindest den internationalen Gerichtshof mit in der Geschichte hatte, wobei es da vor allem um den Jugoslawienkrieg ging.
Juli Zeh widmet sich solchen Themen, freilich eher auf dienationale Ebene bezogen.
Stimmt. Natürlich beschäftigt sich das Genre viel mit den internationalen Themen, Menschenhandel, die Folgen von Kriegen, Migrationsbewegungen und so weiter. Es wird aber dann auf die lokale Ebene runtergebrochen. Leichen werden in einem Lkw gefunden, der lokale Ermittler muss in das Sujet eindringen, solche Muster gibt es häufig. Das Erzählerische, die Handlung aber auf das internationale Level zu heben, da hatte ich nichts gefunden. Um noch einmal auf die Frage nach dem Aufklärerischen zurückzukommen: In erster Linie will ich unterhalten und eine Geschichte erzählen, die ich spannend finde. Wenn dann damit auch Wissen transportiert wird, das man als Aufklärung verstehen kann, liegt es in der Sache selbst. Ich finde es spannend, Neues zu erfahren.
Also kein Michael Crichton im Hinterkopf? Bei ihm hatte ich immer das Gefühl, dass die Aufklärung im Fokus der Spannung steht.
Er ist ja eine Benchmark, für alle Autoren und Autorinnen, die mit dem Genre zu tun habe. Aber ich hatte bei ihm nicht den Eindruck, dass die Aufklärung im Vordergrund steht. Wobei, jetzt, wo Sie es sagen … Ich versuche immer, verschiedene Perspektiven zu präsentieren. Wenn ich beim »Fall des Präsidenten« darstelle, dass ein US-Präsident Kriegsverbrechen begangen hat, dann zeige ich auch die andere Seite, die mindestens genauso schlimm agiert. Denn wenn man sich als Westen bestimmten Werten verschreibt, dann muss man sich auch daran halten, egal, wie schlimm die anderen sind. Trotzdem versuche ich, die Vielfalt der Blickwinkel abzubilden. Und ich merke es beim Feedback der Leser und Leserinnen, das direkt bei mir ankommt. Bei »Black Out« zum Beispiel haben die einen eher die Katastrophe gesehen, die Welt, in der alles untergeht. Andere lesen es als Bild einer Gesellschaft, der es richtig gut geht, und die sich Gedanken machen muss, was man tun kann, damit sie erhalten bleibt. Ich versuche den Lesern die Wahl zu lassen – und das macht Crichton nicht. Er sagt, wer was falsch macht. Ich versuche das zu vermeiden, wobei es nicht vollständig gelingt, weil ich meine Haltung habe. Vielleicht ist das dann umso mehr ein aufklärerischer Impetus.
Im »Fall des Präsidenten« laufen ja mehrere Handlungen parallel ab, unter anderem die Schmutzkampagne, die über eine der Figuren losgetreten wird. Ekeln Sie sich manchmal vor solchen Handlungen?
Nein. Es ist ja das Privileg des Autors, dass man in dem Bewusstsein bleiben kann, dass alles Fiktion ist. Manchmal kann es auch eine lustvolle Sache sein, manche Dinge eskalieren zu lassen, wissend, dass es eine fiktionale Handlung ist. Aber ohne aus dem Blick zu verlieren, dass so etwas auch in Wirklichkeit in ähnlicher Weise laufend passiert. Und oft noch wesentlich schmutziger, als ich es schildere.
Aber es hat funktioniert. Bei mir hat es Gefühle der Art angestoßen: Muss das jetzt sein? Muss das der Figur passieren?
Social Media gehört heute so umfassend dazu, dass man es immer mitdenken muss. Das Buch ist ja in der Wahlkampfphase der USA entstanden. Da sind laufend solche Dinge passiert. Und auch die Erkenntnis, wie klein die Kreise der Leute sind, die ganze Kommunikationsströme leiten. Oder der Aufwand für Desinformation bis hin zu künstlicher Intelligenz und Bot-Armeen, die Fake News streuen, die als solche nicht einmal mehr erkannt werden. Für mich stand zwar das Justizdrama immer im Mittelpunkt der Geschichte. Trotzdem haben wir eine Zeit lang mit dem Verlag auch diskutiert, ob man mit einem anderen Titel wie etwa »Deep Fake« den Fokus nicht anders lenken könnte. Letztlich wurde es dann aber doch »Der Fall des Präsidenten«. Und ich finde, es ist eine gute Wahl. ||
MARC ELSBERG: DER FALL DES PRÄSIDENTEN
Blanvalet, 2021 | 608 Seiten | 24 Euro
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