Das Residenztheater zeigt die Aufzeichnung von Jürgen Bergers »Borderline« als Stream.

»Borderline«: Westöstliche Grenzexpedition

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Florian Jahr am virtuellen Lagerfeuer mit den Kolleg*innen aus Seoul | © Judith Buss

Verlässt man den Ort Wegscheid bei Passau in östlicher Richtung, merkt man kaum, dass man nach ein paar Metern schon in Österreich ist. In der DMZ, der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea dagegen, würde man so einen Spaziergang nicht überleben. Dort verläuft die gefährlichste Grenze der Welt, ein auf beiden Seiten mit Stacheldrahtzäunen abgeriegeltes, traumschönes Niemandsland. Nicht ganz so undurchlässig, aber auch tödlich verlief fast vier Jahrzehnte lang der Eiserne Vorhang durch das geteilte Deutschland, von dem heute kaum noch etwas zu erkennen ist. Trotzdem strandeten im Herbst 2015 Tausende Geflüchtete aus Syrien auf jener Wiese bei Wegscheid, die damals doch wieder zur Barriere wurde, wenn auch zum Glück nicht zu einer tödlichen. Die verlaufen derzeit etwas weiter östlich oder im Mittelmeer. Menschen machen Grenzen, aber was machen Grenzen mit Menschen?

Der Journalist und Theaterautor Jürgen Berger ist in seiner Dokufiktion »Borderline« dieser Frage auf der Spur und hat in Südkorea unter den meist über China dorthin geflohenen NordkoreanerInnen recherchiert. Aus vor Ort geführten Interviews entstanden Texte, die wiederum von Kyungsung Lee, dem Leiter der Theatergruppe Creative VaQi, mit vier südkoreanischen und einem Resi-Schauspieler geprobt wurde. Geplant waren ursprünglich Aufführungen in Seoul und München, doch dann machte Corona die Grenzen dicht, sodass bei der Uraufführung im letzten Oktober per Zoom über die Distanz von 8500 Kilometern live miteinander gespielt werden musste – was verblüffend gut gelang, bis hin zum gemeinsamen Sitzen um ein Lagerfeuer, das in Seoul brannte, und zum synchronen Verbeugen beim Münchner Schlussapplaus. Nun ist die Aufzeichnung dieser Vorstellung im Format »Resi streamt« zu bestimmten Terminen auch online zu sehen.

Die nachgespielten Interviews, OriginalStatements der Beteiligten und gefilmten Wanderungen entlang der DMZ lassen bewusst viele Fragen offen. So wie der permanente Ausnahmezustand der Geflohenen in ihrem neuen Leben von außen betrachtet oft unsichtbar bleibt. Grace, heute 24, die als Elfjährige mit ihrer Mutter nach China floh und von dort über Umwege nach Seoul, erzählt, dass sie auch gute Erinnerungen an ihre Kindheit hat und jetzt manchmal unter dem harten Konkurrenzdruck in ihrer zweiten Heimat leidet. Ihrem ersten Freund hat sie nicht verraten, dass sie von »drüben« ist, aus Angst vor Vorbehalten, die es unter jungen Koreanern ebenso gibt wie bei uns zwischen Wessis und Ossis. Oder Ben, der als Kind in Pjöngjang auf der Straße und in Lagern nur knapp überlebte und doch nicht sagen kann, ob er seine Flucht nicht auch bereut – weil sein Bruder nach wie vor dort lebt.

In München moderiert Ensemblemitglied Florian Jahr den Abend und steuert auch eigene Erfahrungen bei. 1983 in Ostberlin geboren, hat er den Fall der Mauer hautnah miterlebt und erinnert sich noch gut an seinen ersten Kindersprung über die plötzlich offene Zonengrenze. Den probt er dann auch mit seinen koreanischen KollegInnen im Video, auch wenn die Chancen für eine Wiedervereinigung der beiden Koreas in absehbarer Zeit nicht gut stehen. Wie groß dennoch der Wunsch danach ist, zeigt die Neugier, mit der alle Beteiligten der Produktion von- und miteinander lernen wollen – die beste Voraussetzung, um Grenzen nicht einfach so stehen zu lassen. ||

BORDERLINE
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