Corona auch: Nur zwei Mal konnte im Residenztheater Sebastian Baumgartens Inszenierung von »Dantons Tod« gespielt werden.
»Dantons Tod«: Das Rad der Geschichte walzt alle nieder
Die Fassade steht noch, eine verwitterte Schrift besagt »Banque Nationale«. In einigen der vielen Fenster erscheinen Menschen. Haben sie das Gebäude besetzt? Sind sie das Revolutionskomitee? Ist es die Redaktion von Camille Desmoulins’ Revolutionszeitung? Vögel zwitschern, Frühlingsnatur flimmert über die Hauswand. Nicht lange, dann bricht ein Video- und Klanggewitter los. Das Rad der Geschichte walzt alles nieder, zumindest optisch und akustisch. Und das Rad der Geschichte dreht sich weiter, die Drehbühne (Thilo Reuter) wird ständig angeschoben von wohlgeformten Menschen in videobespielten Nude-Trikots. 1835 schrieb der 21-jährige Georg Büchner in nur fünf Wochen sein Drama »Dantons Tod« über die Französische Revolution. Selbst schon auf dem Sprung zur Flucht vor der hessischen Justiz, die ihn wegen seiner aufrührerischen Flugblätter (»Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«) verfolgte. Schonungslos untersuchte er die Mechanismen einer Revolution, manche Sätze erreichten Ewigkeitswert: »Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre Kinder.«
Diese Kinder sind Danton, Desmoulins, Legendre und ihre Mitstreiter, im Jahr 1794 alles Männer Mitte 30. Sie haben noch Macht, kämpfen aber schon ums Überleben gegen den Hardliner Robespierre. Der Philosoph Boris Groys (sein Text wird am Ende zitiert) postuliert, eine Gesellschaft im Überlebenskampf sei bereits untot. Deshalb zeigt Regisseur Sebastian Baumgarten im Residenztheater alle Protagonisten überdeutlich als Untote: alte Elendszausel mit Halbglatzen, strähnigen Haaren bis zum Kragen, schlampiger, vernachlässigter Kleidung (Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes). Soll man glauben, dass die fünf Jahre zuvor die Französische Revolution angezettelt haben?
Allein Danton erinnert im blauen Anzug an seinen Adelsstand: Florian von Manteuffel spielt einen eitlen, großspurigen Lebemann, meist angetrunken und stets mit Zigarre, der auch mal über die eigenen Füße stolpert und gerne überlaut redet. Das tun die anderen allerdings auch, was oft der Musik von Christoph Clöser geschuldet ist. Leiser wird’s nur, wenn Philipp Weiß live am Flügel improvisiert. Die Männer kann man in ihrem verwahrlosten Outfit kaum auseinanderhalten, weder Legendre (Thomas Lettow) noch Desmoulins (Christoph Franken) gewinnen wirklich Kontur. Die politischen Parteien sind nicht erkennbar, die Widersacher Robespierre (Lukas Rüppel) und Saint-Just (Carolin Conrad) werden wenig mehr als Karikaturen. Nur die Frauen zeigen Haltung: Desmoulins’ Frau Lucile (Liliane Amuat) ist Redaktionssekretärin und folgt ihrem Mann in den Tod. Dantons Frau Julie (Nicola Kirsch) driftet in selbstzerstörerischen Wahnsinn. Wunderbar erzählt Sibylle Canonica das Leben der Prostituierten Marion: Selbst das trashige Bordell-Lametta kann den großen Auftritt nicht kleiner machen.
Aber was die Schauspieler klein macht, sind die lautstarken Video-Orkane von Chris Kondek in den Szenenwechseln: Flackernde Schwarz-Weiß-Bilder aus Revolutionen der letzten Jahrzehnte in vielen Ländern überfluten die Drehbühne. Die enthüllt auf der Rückseite das Revolutionstribunal, eine schäbige Brettertribüne. Auf einem runden Teppich davor kehrt ein Roboterarm permanent Blut auf. Man sieht quasi die unaufhörlich arbeitende Guillotine, auf die der Ankläger Fouquier-Tinville alle schicken wird: Hanna Scheibe bewegt sich als elegant frisierte artifizielle Marionette synchron zum Roboter. An der Schmalseite der Drehbühne prangt in Leuchtschrift REPUBLIQUE, drüber grüßt Lenin, doch gleich drunter liegen die Gefängniszellen, in denen Danton und seine Freunde landen. Bei ihrem letzten Auftritt vor dem Tribunal turnen sie in Unterwäsche herum wie die Affen. Warum auch immer.
Baumgartens Inszenierung setzt auf optische Videoüberwältigung, sie will die Dynamik der Französischen Revolution ausweiten auf alle Revolutionen des letzten Jahrhunderts. Sie entpersönlicht die Figuren zu austauschbaren Zombies, und wer diese Prämisse von Groys nicht kennt, kann sie auch nicht verstehen. Und wer nicht vorher »Dantons Tod« noch mal gut gelesen hat, wird aus Büchners großartigem Drama hier wenig Erkenntnisgewinn ziehen. ||
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