Ein Bildband beschwört die Welt des Regisseurs Wes Anderson.

Wes Anderson: Wie im Kino

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Wes Andersons visueller Stil findet sich auch in der realen Welt wieder, wie der Fotoband »Accidentally Wes Anderson« zeigt. © Paul Fuentes

Einer der lebensrettenden Tricks der Kunst ist ja, dass sie schlagartig Tagträume auszulösen vermag. Plötzlich ist das graue Wohnzimmer verschwunden, verhallt ist auch der Murmeltiergruß des Alltagstrotts, und es tut sich eine Parallelwelt auf, die ihresgleichen sucht, weil sie keine Grenzen kennt – weder physische noch gedankliche. Dieser temporäre Eskapismus funktioniert besonders gut, wenn die dargebotene Welt so detailverliebt und einladend gestaltet ist wie in den Filmen des amerikanischen Regisseurs Wes Anderson. Sein visueller Stil ist unverkennbar – achsensymmetrische Bilder, anachronistische Settings und Requisiten: altertümliche Züge wie in »Darjeeling Limited«, Hotels mit verstaubter Noblesse wie in »The Grand Budapest Hotel« oder pittoreske Leuchttürme mit klapprigen Fernrohren wie in »Moonrise Kingdom«. Das alles ist meist in Pastellfarben oder sepialastige Farbpaletten getaucht, die an die 1970er Jahre erinnern. Die Filme inklusive ihrer melancholischen Figuren sind Sehnsuchtsorte, irgendwie aus der Zeit gefallen und doch vertraut.

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© Valentina Jacks

Sehnsüchtige Erinnerungstäuschungen

Wie ein Déjà-vu wirkt da das Buch des bekennenden Anderson-Fans Wally Koval. »Accidentally Wes Anderson« hat er seinen Bildband genannt und sich genau diese sehnsüchtige Erinnerungstäuschung zunutze gemacht: Darin finden sich Fotografien von Orten, die ohne Weiteres Kulisse für einen Anderson-Film sein könnten, es aber bisher nie waren. Beim Durchblättern der über 300 Seiten fühlt man sich direkt in diese Anderson’sche Welt versetzt, in Steve Zissous U-Boot in »Die Tiefseetaucher«, auf den Tennisplatz der Familienresidenz der »Royal Tenenbaums«, ja sogar in den Fuchsbau in »Der fantastische Mr. Fox«. Das »Hotel Opera« in Prag etwa ist im selben Pinkton gestrichen wie das »Grand Budapest Hotel« und erinnert auch in seiner verschnörkelten Wuchtigkeit an die fiktive Institution.

Aus der Social-Media- in die Buchform

Koval begann 2017, nach einigen Déjà-vus mit zufällig gefundenen Fotos, die Geschichten dieser beliebig zusammengewürfelten Orte zu recherchieren und auf dem Instagram-Kanal @AccidentallyWesAnderson zu veröffentlichen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er über eine Million Follower und bekam aus der ganzen Welt Einsendungen. Aus dieser vermeintlich schrulligen Idee ist ein charmantes Buch geworden, das er mit seiner Frau Amanda kuratiert hat. Es beschwört Orte und Techniken, von denen man dachte, es gäbe sie nur noch im Film. Da werden Sportarenen, U-BahnHaltestellen, Münztelefone, Fernrohre auf Aussichtsplattformen und Zugabteile zu Zeitzeugen politischer wie kultureller Veränderungen und Errungenschaften.

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© Piergab

Etwa die Pittsburgh Athletic Association, ein 1911 gegründeter Sportclub, in dem, wie Koval weiß, auch der amerikanische Fernsehmoderator Fred Rogers täglich im Schwimmbad seine Bahnen zog. Dieser hatte mit »Mister Rogers’ Neighbourhood« über 40 Jahre hinweg eine der beliebtesten Kindersendungen im amerikanischen Fernsehen. Deren titelgebende Nachbarschaft war ein Fantasieland, die »Neighbourhood of Make-Believe«, durch die Rogers mit Handpuppen und allerlei Musiknummern führte. Erst kürzlich erschien ein hübsches Biopic über ihn mit Tom Hanks in der Hauptrolle. Der Filmtitel, selbst ebenfalls »Accidentally Wes Anderson«: »Der wunderbare Mister Rogers«. Dieses Buch ist beim zweiten Hinsehen eben auch sehr viel mehr als das Déjà-vu eines Bildbands, es denkt in seinen kleinen Vignetten reale und fiktive Sehnsuchtsorte zu einer eigenen Traumlandschaft zusammen. ||

WALLY KOVAL: ACCIDENTALLY WES ANDERSON. ORTE WIE AUS ›GRAND BUDAPEST HOTEL‹ UND ANDEREN FILMEN DES REGISSEURS
Mit einem Vorwort von Wes Anderson | DuMont | 238 Seiten
28 Euro

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