Der Münchner eksystent Filmverleih ist eine Bereicherung für die Kulturtechnik Kino, lässt aber während des Lockdowns mit seinen Heimmedien auch Arthouse-Herzen höher schlagen.

eksystent: Cinephiler Schatzjäger

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Konnte auf der Berlinale abräumen:
Sandra Wollners »The Trouble With Being Born«. Bald soll er im Kino laufen | © eksystent

Kino ist in Zeiten von Corona nun wirklich kein leichtes Geschäft. Der zweite Lockdown hat den Kinokalender zum zigsten Mal neu geordnet, Filme mussten auf unbestimmt verschoben werden. Besonders bitter getroffen hat es dabei unter anderen den russischen Film »Bohnenstange«, für den das Arthouse-Enfant-terrible Kantemir Balagow 2019 bei den Festspielen von Cannes ausgezeichnet wurde. Am 22. Oktober gestartet, lief er gerade mal neun Tage im Kino und wurde direkt wieder ausgebremst. Das ist sowohl für den Film als auch den Münchner eksystent Filmverleih, der ihn herausgebracht hat, ein Rückschlag. »Es bringt ja nichts, sich zu beschweren, das verändert an der Situation auch nichts«, zuckt Jakob Kijas mit den Schultern. Kijas ist Gründer und Geschäftsführer des Verleihs, der sich in den letzten Jahren mit seinen handverlesenen Filmperlen als eine der aufregendsten Adressen für Arthouse-Kino etabliert hat. Auch angesichts des momentan brachliegenden Kulturlebens ist er kein Fan von fatalistischem Lamento, sondern neben seinem sechsten Sinn für filmische Entdeckungen hat er auch einen gleichzeitig pragmatischen wie umsichtig-kollegialen Blick auf die Branche.

Schon beim ersten Lockdown wurde der Kinostart eines seiner Filme regelrecht niedergewalzt. Kijas ließ sich nicht entmutigen, sondern verlegte die Veröffentlichung von »Isadoras Kinder« spontan auf die digitale Plattform Kino on Demand, um die Filmtheater zu unterstützen – die Einnahmen wurden mit allen auf der Plattform vertretenen Kinos geteilt. »Das war eine akute Maßnahme, auch weil ja die Gefahr bestand, dass die Arthouse-Filme nach dem Lockdown in einer regelrechten Filmflut untergehen würden«, so Kijas, »aber ein Standardmodell ist das für mich nicht. Film gehört für mich zuallererst immer ins Kino, nur da hat man das reinste Seherlebnis«. Die aktuelle Diskussion um das schleichende Zusammenrücken der Auswertungsfenster müsse aber dennoch geführt werden. »Das ist eine Frage, die wir im Hauptverband Cinephilie diskutieren und wir haben auch mit der Initiative Cinemalovers einen Anstoß gegeben, digitale Plattformen direkt an die Kinos anzubinden.« Denn es mache ja einen entscheidenden Unterschied, ob man ein sorgfältig kuratiertes Programm anbietet oder die Plattform einfach nur mit Inhalten überschwemmt.

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Jakob Kijas, Chef von eksystent | © privat

Kijas ist Gründungsmitglied des 2019 ins Leben gerufenen Hauptverbandes für Cinephilie, einem branchenübergreifenden Zusammenschluss von Verleihen, Filmschaffenden, Kinobetreiber*innen und Filmkritiker*innen. Der HVC setzt sich in verschiedenen Arbeitsgruppen für die Anerkennung des Films als schützenswertes und förderungswürdiges Kulturgut ein, das mehr ist als ein unterhaltendes Konsumprodukt. »Da muss sich das generelle Bewusstsein ändern,« so Kijas, das fange schon im Kindesalter an. Der HVC hat daher auch eine Initiative gestartet, die sich für Filmbildung einsetzt. Nur wer bewusst lernt, Filmsprache zu lesen und zu verstehen, wird Kino als das anerkennen, was es ist – Kunst. Aktuell geht es im HVC auch darum, die politischen Rahmenbedingungen für die in der Filmbranche angesiedelten Berufsfelder zu verändern, da viele wie auch das Verleihwesen bisher nur ökonomisch verortet sind. Wer jedoch auch nur einen kurzen Blick in die Kataloge von eksystent oder auch Grandfilm aus Nürnberg und Salzgeber in Berlin wirft, wird sehen, dass das Kuratieren eines solchen Programms weitaus mehr Knowhow als bloßes Wissen über das Kino als Wirtschaftssektor verlangt – bei Kijas definitiv eine gehörige Portion cinephiler Idealismus und der Wunsch, Filme zugänglich zu machen und mit Gleichgesinnten zu teilen.

Die Filmauswahl bei eksystent fokussierte sich zunächst auf osteuropäisches Kino. »Angefangen hat das, als ich 2012 den Film ›It Looks Pretty From A Distance‹ von Anka und Wilhelm Sasnal auf einem Festival in Polen gesehen habe und total hin und weg war. Ich war mir aber auch ziemlich sicher, dass den in Deutschland niemand verleihen würde, und dachte mir, dann mache ich das eben selbst.« Nach und nach kamen auch Titel für Kinder dazu, wie 2017 der wunderbare Animationsfilm »Kommissar Gordon & Buffy« von Linda Hambäk und es kristallisierte sich ein Schwerpunkt mit Filmen von und über Frauen heraus. Um die oft noch marginalisierten Filmemacherinnen auch ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, rief Kijas die Filmreihe Femmes Totales ins Leben, ein Festivalprogramm, das durch deutsche und österreichische Städte tourt und die Werke von Filmemacherinnen ins Zentrum rückt.

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Wurde von der Pandemie übel erwischt: »Bohnenstange« lief nur neun Tage im Kino, bevor der Lockdown kam. Im Bild: Viktoria Miroshnichenko | © eksystent

Wie es weitergeht, ist offen. Die Heimkinostarts der Filme liegen ebenfalls bei eksystent, da stehen die aktuellen Filme noch aus. Gerade ist nach dem Kinostart im Sommer der betörende Neo-Noir »Der See der wilden Gänse« des Chinesen Diao Yinan auf DVD und Video on Demand erschienen, ein visuell überbordender und assoziativ enthemmter Gangsterfilm, der in der Unterwelt von Wuhan spielt. Zwei Titel hat Kijas noch in der Pipeline: Sandra Wollners »The Trouble With Being Born«, der dieses Jahr den Preis der Jury in den Encounters der Berlinale gewonnen hat, und den bewegenden wie aufmüpfigen Dokumentarfilm »Die Dohnal« von Sabine Derflinger über die ehemalige österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal. »So richtig planen kann man momentan natürlich nicht«, lacht Kijas, einen Tag nachdem er den Starttermin des Films für nächsten März verkündet hat. »Aber der Film muss natürlich am Internationalen Frauentag im Kino laufen, das geht gar nicht anders!« ||

Der gesamte Katalog sowie Links zu digitalen und analogen Nachholmöglichkeiten aller Filme
Das Festival Femmes Totales ist unter hier vertreten | Die Initiativen des Hauptverbandes Cinephilie sind unter dieser Adresse dokumentiert.

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