Die freien Theater kämpfen ums Überleben. Aber wie und wie lange können sie im Lockdown durchhalten?

Freie Theater in München: Der Pleitegeier kreist

Drei Monate ohne Theater – der Lockdown im Frühsommer hat die Bühnenliebhaber ausgehungert. Doch nach gut einem Monat war die Saison Anfang November schon wieder vorbei. Derzeit gilt wieder ein pauschales Spielverbot – trotz Hygienekonzepten und Besucherreduzierung. Und alles sieht danach aus, dass der Kulturentzug für die Zuschauer bis weit ins Frühjahr hinein dauern könnte. Doch die wirklich Betroffenen sind die Theater. Bei privaten Bühnen geht eine Schließung ganz schnell an die Existenz. Die Miete muss bezahlt werden, auch ohne Einnahmen. Vielen freien Schauspielern bricht die Lebensgrundlage weg. Die versprochenen staatlichen Nothilfen waren an den Arbeitsbedingungen der Künstler vorbei konzipiert, die Anträge viel zu umständlich, da blieb oft nur Hartz IV.

Künstlerexistenzen lassen sich nun mal nicht bürokratisch normieren. Auch scheint im Kulturministerium niemand die freie Szene zu kennen oder bereit zu sein, sich damit differenziert zu beschäftigen. So hat Söders Symbolpolitik alles gleichermaßen niedergebügelt. Theater rangieren als Freizeitvergnügen zwischen Fitnessstudios und Bordellen.

Christiane Brammer vom Hofspielhaus hat dagegen im November beim Bayerischen Verwaltungsgericht geklagt. Der Eilantrag wurde abgelehnt. Begründung: »Die Rechtsfragen können im Rahmen eines Eilverfahrens nicht verlässlich geklärt werden.« Vor Brammer hatte bereits Dieter Hallervorden für sein Berliner Schlosspark Theater geklagt – mit dem gleichen Ergebnis. Die Hauptverhandlungen in der Normenkontrollklage stehen im Frühjahr an, das Urteil gilt dann auch für die Kollegen. Wir haben Münchner Theatermacher nach ihrer Haltung dazu gefragt.

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Christiane Brammer © Hofspielhaus

CHRISTIANE BRAMMER
Hofspielhaus in der Innenstadt, Klägerin

Ich habe auf Gleichberechtigung und Verhältnismäßigkeit geklagt, weil ich nicht verstehe, warum I-Phone-Stores und Kirchen geöffnet bleiben dürfen, aber wir nicht. Laut Artikel 3 der Bayerischen Verfassung ist Bayern ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. § 140 sagt, Kunst und Wissenschaft sind von den Gemeinden zu fördern. Aber was ist, wenn man seine Kunst nicht mehr ausüben darf? Nur das gemeinsame Erlebnis mit dem Publikum schafft eine Katharsis. Die Freiheit der Kunst funktioniert über Stream nicht, die Präsenz ist nicht zu ersetzen. Das klage ich auch ein. In der Kulturwirtschaft arbeiten viele Menschen, deshalb ist es wichtig, dass Theater offen bleiben wie Schulen und Kitas. Damit wir ein Kulturstaat bleiben. Die Klage kann ich mir nur leisten, weil mich ein Mäzen bei den Kosten unterstützt. Wir proben gerade »Richard III.« und »Der Kontrabass« und hoffen, im Januar oder Februar spielen zu können. Ein Theater kann man nicht einfach zuund aufsperren, jedes Stück braucht monatelange Vorbereitung. Es geht nicht mehr ums Geld – was nützt Geld, wenn ich keine Kunst machen und zeigen darf? Ich versuche immer noch, meine Mitarbeiter hundertprozentig zu bezahlen. Die Klage habe ich als Einzelkämpferin eingereicht, weil die Zeit zu knapp war, Mitstreiter zu suchen. Ich nehme gern jeden mit, der mitziehen will. Inzwischen denke ich aber, dass mein winziges Theater allein mehr Chancen hat als eine Sammelklage.

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Andreas Seyferth © Viel Lärm um Nichts

ANDREAS SEYFERTH
Theater Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik

Uns geht’s wie allen: Wir proben »Turandot« und hoffen auf die Premiere am 30. Dezember. Sollten wir da und im Januar nicht spielen dürfen, könnten wir die Aufführung höchstens fünf Mal im Februar zeigen. Da arbeiten wir schon an neuen Projekten und können danach nicht mehr aufs Repertoire zurückgreifen. Denn wir gestalten für jede Inszenierung den Raum neu, und ein Umbau wäre zu aufwendig. Mehr als 40 Zuschauer dürfen nicht rein. Eine Klage müsste eigentlich vom Netzwerk der freien Theater ausgehen, aber dafür haben wir nicht das Geld. Wir sind abhängig von der Stadt, weil wir in einer städtischen Immobilie spielen, deshalb ist eine Klage kein Thema für uns. Zumal die Kosten ja ein Fass ohne Boden werden können. Und alle in der Szene raffen jeden Cent zusammen, um wenigstens die Schauspieler zu bezahlen. Sie sparen an Technik und allem anderen. Manche Schauspieler können sich schon ihre Wohnung nicht mehr leisten. Die Mitarbeiter der Künstlervermittlung ZbF haben Reiseverbot, wie sollen sie da Schauspieler ansehen und vermitteln? Falls im Sommer wieder gespielt werden darf, wird es eine Premieren-Explosion geben. Deshalb planen wir unser nächstes Shakespeare-Projekt »Maß für Maß« erst für 2022.

 

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Robert Spitz © Andreas W. Kohn

ROBERT SPITZ
dasvinzenz Theater in Neuhausen

Mich würde mehr eine Sammelklage interessieren, warum freie Theater in Bayern nicht gleichzeitig von Stadt und Staat gefördert werden dürfen. In anderen Städten ist das nicht so. Ich war mal zwei Jahre in Singen in einem Off-Theater engagiert, das bekam damals über 600.000 Mark im Jahr, alle Mitarbeiter waren regulär angestellt. In München beträgt die Höchstförderung derzeit 180.000 Euro. Wenn ich meine 42 Plätze hygienegerecht reduziere, ist es eh nicht rentabel zu spielen. Da wir hier in der Elvirastraße nebenan noch bis Ende 2022 eine Monsterbaustelle haben werden, rechne ich nicht damit, dass wir 2021 im eigenen Haus spielen können. Wir haben für vier Produktionen nächstes Jahr die Mucca-Halle im Kreativquartier angemietet, dazu sind Koproduktionen mit dem Pathos Theater geplant. Es ist es bitter, dass wir Reihen wie Blues-Abende und Lesungen nicht weiterführen können, damit haben wir manche Lücken gestopft. Im jetzigen Finanzengpass hoffen wir auf die Spielstättenförderung. Mich empört, dass Theater gleichwertig mit Bordell und Freizeit eingestuft werden. Man hätte zig Sachen machen können, aber es geht immer nur um die Wirtschaft.

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