Der Klangkonzeptkünstler Stefan Winter bringt vieles zusammen. Im Schwere Reiter ist es Tanz und Bild, Geräusch und Musik, Beethoven und Protest. Unter anderem.

Stefan Winter: Von innen nach außen

»The Ninth Wave« Teil II. 3, »Under the Waterfall, Allegory Search« © Neue Klangkunst

Stefan, du bist Musiker, Labelchef, Klangkünstler, Konzeptdenker. Was treibt dich in letzter Zeit um?
Mariko Takahashi und ich haben zum Beispiel im vergangenen Jahr die »Neue Klangkunst« gegründet. Sie kümmert sich als gemeinnützige Gesellschaft um die Umsetzung von Klangkunstwerken, also vor allem um das Zusammenspiel von Musik und Geräusch mit anderen Kultursparten. Im Prinzip wollten wir dieses Jahr nutzen, um das ganze Projekt richtig zu starten, aber 2020 hat alles durcheinandergeworfen. Eingefroren ist nicht der richtige Ausdruck, wir haben ja weitergearbeitet. Aber alles war eigenartig verlangsamt …

… magmatisch …
… fürchterlich. Bis jetzt haben wir noch nicht einmal eine Website. Aber weiter geht es natürlich trotzdem. Es gibt da so einige Projekte, die aus meiner Sicht zu unseren Hauptthemen gehören. So soll über kurz oder lang zum Beispiel die Operngarage geschlossen werden. Da gibt es Pläne, den ganzen Bereich in eine Fußgängerzone zu verwandeln. Eine Machbarkeitsstudie versucht bereits zu klären, ob man die Garage mit einem Tunnel vom Altstadtring anfahren könnte. Ich halte das für wenig wahrscheinlich und bin eher der Meinung, dass da ein Klangkunstmuseum hineingehört. Man müsste ein paar Decken und Wände rausreißen, aber ansonsten würde das ein offener Raum sein können, auch für Performances. Da könnte eine Installation mit Ligeti genauso hineinpassen wie ein DJ-Set. Frag mal bei deinen Freunden herum: Die hören inzwischen alle querbeet. Außerdem kam mir zu Ohren, dass auch Nikolaus Bachler als Intendant der Staatsoper schon einmal daran gedacht hatte, die Garage zu schließen, um im Sommer den Max-Joseph-Platz als Spielort zu haben. Wie auch immer, das wäre mitten in der Staat und die Leute würden quasi hineinfallen.

Das steckt allerdings noch etwas weiter in der Zukunft. Sehr viel näher ist jetzt »The Ninth Wave«. Was passiert bei diesem Projekt im Schwere Reiter?
Wir wollen den Raum in der Diagonale zweiteilen. In der Mitte gibt es eine Leinwand, auf die von zwei Seiten projiziert wird. Davor sitzen die Musiker, um sie herum würden normalerweise die Leute wie in einer Arena platziert sein. Das fällt im Stream leider weg und ich nutze den Raum mit seiner herrlichen Akustik als Filmset. Und trotzdem wird alles live und rein akustisch gespielt, Musik, Geräusche, alles. Da kommen auch viel alltägliche Gegenstände zum Einsatz, Stahlwolle aus der Küche zum Beispiel, Arbeiterhandschuhe mit Noppen, die Geräusche machen. Leinwände kann man für Meeresrauschenverwenden. Zum Instrumentarium gehören auch Utensilien, die man aus der Barockmusik kennt, Windmaschinen, Donnerbleche.

Es gab bereits eine Premiere beim Spring Festival in Tokio.
Stimmt, da wirkten einige Musiker mit, die jetzt leider nicht dabei sein können, der wunderbare Percussionist Ichiro Hosoya zum Beispiel. Für mich ist es bei den Geräuschen beispielsweise wichtig, dass jemand – eigentlich wie ein Schauspieler – zu dem Geräusch wird, das er spielt. Kennst du Luigi Russolos »L’arte dei rumori«? Er hat in den Zwanzigern Geräuschkunst gemacht und nach den ersten Konzerten gemeint: Bloß keine Musiker! Das müssen Maler oder andere Künstler machen. Das habe ich Ichiro erzählt und zu ihm gemeint: Schalte alles aus, was du kennt! Und er sagte: Alles klar, Stefan! Es hat wunderbar funktioniert, intuitiv zur Partitur. Darum geht es mir. Musik und Geräusche sind losgelöste Elemente, die im Dialog, Zusammenspiel, Streit wieder eine Einheit finden.

Welche Rolle hat die optische Dimension, Projektion?
Die einzelnen Ebenen gehen ineinander über, auch thematisch. Auslöser war für mich der 3. Oktober 2013, als vor Lampedusa eines des ersten großen Schiffe unterging. Ich habe Berichte von Überlebenden gelesen, vieles hat mich an das Floß der Medusa erinnert. Auch hier hatte der Kapitän eine rote Fahne gesetzt, damit andere die Schiffbrüchigen sehen konnten. In diesem Fall war es eine brennende Fahne und der Anfang vom Untergang, weil das Schiff dadurch Feuer fing.

Aber wie passt das mit »Ode To Nature« zusammen?
Das kommt über eine andere Seite. Ich wollte in Tansania einen Wasserfall rot einfärben. Das hat eineinhalb Jahre gedauert, aber als ich mit dem zuständigen Verantwortlichen vor Ort sprach und ihm das Skript zeigte, meinte er: »This is an ode to nature!« Und ich habe ihn gleich gefragt, ob ich den Titel übernehmen darf. Überhaupt spielen Farben eine zentrale Rolle in allen neun Bildern der Performance. Personen, die in der Wüste im Sand liegen und ihre bleichen Schatten zurücklassen. Der rote Wasserfall als Styx, das Floß mit den afrikanischen Darstellern, die in den Filmvorlagen mitspielen. Man sieht oft nur Fragmente, weil das Material wiederum auf die Tänzerin projiziert wurde. Sie sollte neun Allegorien darstellen, eine Reflexion von innen nach außen.

Und Beethoven, im Beethoven-Jahr?
Das kam eher zufällig, das Projekt war ja schon ziemlich lang geplant. Es sind alles Beethoven-Adaptionen, die Fumio Yasuda erarbeitet und komponiert hat. Die Idee flog uns zu, als Fumio und ich bei Charles Schumann an der Bar saßen, über die neunte Welle sprachen, und mit einem Mal das Wort Nonagon fiel. Neun Bilder, neun korrespondierende Teile mit neun Minuten. Schaffen wir das? Fumio meinte: Ja! Am Anfang war also die Zahl. Der Termin wiederum war auch eine Fügung. Als Christiane Böhnke-Geisse vom Schwere Reiter mit dem Datum auf mich zukam, meinte ich zu ihr, dass das erste belegte Lebenszeichen von Beethoven ja seine Taufe am 17. Dezember war. So wurde daraus ein Tauffest, das durch den einen Stream statt der ursprünglichen fünf Aufführungen jetzt zwei Tage später stattfindet.

Bei so viel verschiedenen Brechungen des Themas – Film, Projektion, Tanz, Video, Musik, Komposition, spontane Elemente, Beethoven und so weiter – ist es da für den Zuschauer nicht außerordentlich schwer, das noch zu verstehen?
Die Hintergründe sind für das Erleben gar nicht wichtig. Alles, was passiert, hat seinen Grund, aber zunächst erst einmal nur für den Einzelnen. In der Seemannssprache geht man davon aus, dass die neunte Welle jeweils die stärkste ist. Das kann man als Motiv sehen, aber viel wichtiger ist, wie das ganze Geschehen auf einen selbst wirkt. Meine Hoffnung ist es, nicht wie ein Filmemacher durch Geräusche und Musik und Bilder eine Geschichte zu erzählen, sondern dass sie durch diese äußeren Reize im Inneren des Rezipienten, des Zuhörers und Zuschauers entsteht. ||

THE NINTH WAVE – ODE TO NATURE
Schwere Reiter | Livestream | Buch und Regie: Stefan Winter | Komposition nach Ludwig van Beethoven: Fumio Yasuda | Livemusik-Dirigent: Aarón Zapico | Klavier für vier Hände: Ferhan & Ferzan Önder | Klarinette: Joachim Badenhorst | Bassklarinette: Gareth Davis | Bratsche: Kelvin Hawthorne & Klaus-Peter Werani | Geräusche: Mathis Nitschke & Stefan Winter | Tanz, Choreografie in der Filminstallation: Aki Tsujita | 19. Dez. | 20 Uhr

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