Auch in diesem Jahr haben wir wieder ein paar Buchtipps für Sie. Hier eine kleine Auswahl aus der neuen Ausgabe. Und immer daran denken: Viele Buchhandlungen können Sie auch online besuchen!
Untern Baum: Buchtipps zu Weihnachten (1)
URGUT
»Mein Alltag jetzt ist halt sehr langweilig«, schreibt Stefanie Sargnagel pragmatisch, »da müssen jetzt die anarchischen Jugendjahre herhalten.« Drum handelt ihr Debütroman also von ihrer Jugend. Schnodderig und sehr wienerisch protokolliert sie ein Erwachsenwerden zwischen Beisl und Gemeindebau, zwischen Rausch und Ernüchterung. Die Schule, dieser »Hort der Sinnlosigkeit«, verliert an Bedeutung, ein »Leben im Widerstand« wird zum Ideal, eines im Rausch zur Realität. Sargnagel, die mit ihren »Statusmeldungen« zur Chronistin unserer Zeit in den sozialen Medien wurde, wählt auch in ihrem Roman einen pragmatischen Tonfall. »Dicht« nennt sie ihr Buch schlicht und schiebt als Untertitel »Aufzeichnungen einer Tagediebin« hinterher. Sie rechnet sich »gendermäßig eher den Landstreichern« zu als den Mädchen, verschweigt weder das Gefühl von Unbesiegbarkeit noch das häufigere der Verlorenheit. Es ist ein sehr persönliches Buch, wie es scheint – oder nur ein gut ausgedachtes? So genau weiß man nie, wo das Erlebte aufhört und das Erdachte anfängt. Sargnagel ist eine Tiefstaplerin, die genaue Beobachtungen in rotzigen Sätzen verbirgt und eine große Zartheit hinter der vorgeschobenen Derbheit. Tief drinnen ist dieser Roman nichts weniger als die Hommage an eine einmalige Freundschaft. Um im Jargon zu bleiben: urgut. ||
ANNE FRITSCH
STEFANIE SARGNAGEL: DICHT. AUFZEICHNUNGEN EINER TAGEDIEBIN
Rowohlt, 2020 | 256 Seiten | 20 Euro
ERST FALLEN BÄUME
Jeden Donnerstag treffen sich Amira, Sara, Alex, Ben und Matthias bei ihrem Lieblingsgriechen in Deisenhofen, um höchst engagiert über Politik, vor allem über die drohende Klimakatastrophe und die weltweite Umweltzerstörung zu diskutieren. Beim Räsonieren wollen sie es freilich nicht belassen. Es muss gehandelt werden. Aber wie? Matthias schreitet als Erster zur Tat: Einen von ihm umgesägten Baum lässt er auf die Autobahn bei Nürnberg krachen, um die Autofahrer im so entstandenen Stau zum Nachdenken über die Folgen des von ihnen verursachten CO2-Ausstoßes zu zwingen. Da capo am Irschenberg. Doch dabei bleibt es nicht: Nach den Bäumen fallen Schüsse. Zum Entsetzen der anderen in der Clique radikalisiert sich Alex. Auf verschiedenen Autobahnabschnitten schießt er mit dem Gewehr auf die Reifen der vorbeifahrenden Pkws und Lkws. Tote und Verletzte sind zu beklagen. Die Polizei rotiert, sucht krampfhaft nach den Tätern, die Bekennerschreiben hinterlassen.
Wie einen Film mit raffiniert ineinander verflochtenen Szenen lässt der Autor diesen Ökokrimi über eine zunächst eingeschworene Clique von Umweltaktivisten ablaufen, deren Wege sich jedoch trennen, als Gewaltanwendung zum Ziel führen soll. Ungemein spannend beschreibt Schönmüller die Eskalation, taucht psychologisch tief in die unterschiedlichen Charaktere der fünf Protagonisten ein. Und er schildert mit herrlich ironischem Unterton die Anstrengungen der Polizei, der »Öko-Terroristen« habhaft zu werden, bis sich Alex, eingekesselt vom SEK, nach seiner letzten Auto-Abknall-Aktion im Windrad gegenüber der Allianz-Arena verschanzt und Matthias in der U-Haft in Stadelheim landet. Amira, Sara und Ben wollen ein neues Leben beginnen. Open end. Ein Buch, das ganz gewaltig unter die Haut geht. ||
HANNES S. MACHER
MAX SCHÖNMÜLLER: NICHT MEHR LANGE
Allitera Verlag, 2020 | 194 Seiten | 12,90 Euro
NACKERT NACHTS IM TEGERNSEE
Zugegeben, ein weltberühmtes Ungeheuer wie »Nessie« hat Bayern nicht zu bieten. Wer aber nun denkt, in den hiesigen Gewässern würde es ungeheuer staad zugehen, der sieht sich nach der Lektüre von »Wassersagen aus Bayern« eines Besseren belehrt. Im Walchensee tummelt sich ein abscheulicher Drache, in der Aschauer Klamm lauert der Tatzelwurm mit seinem krokodilähnlichen Maul, und am Chiemsee treibt die runzelige Wetterhexe ihr Unwesen. Karl-Heinz Hummel, ausgezeichnet mit dem Ernst-Hoferichter-Preis, hat die aquadämonischen Sagen mit viel Liebe zusammengestellt. Wie er zuvor schon bayerische Wirtshaus- und Raunachtsagen gesammelt hat. Bei den Wassersagen war er allerdings nicht alleine. Eine ganz besondere »Muse« stand ihm bei: das Rockadirl. Die rothaarige Wasserfrau mit dem großen Herzen am rechten Fleck flüsterte »dem Schreiberling« mit »ihrer heiseren, tiefen und warm tönenden Stimme« in einer romantischen Sternschnuppennacht am Lagerfeuer Sage um Sage ins Ohr. Wer sich nun vielleicht fragt, wo man diesem geheimnisvollen Wesen begegnen kann, dem sei das »Lied vom Rockadirl« nahegelegt. Dort heißt es: »’s Rockadirl, so weiß wie Schnee / Schwimmt nackert nachts im Tegernsee«. ||
FLORIAN WELLE
KARL-HEINZ HUMMEL: WASSERSAGEN AUS BAYERN
Allitera Verlag, 2019 | 142 Seiten | 16,90 Euro
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