Aufgrund der kommenden Einschränkung des Kulturlebens posten wir diesen Text aus unserer Ausgabe 101 vorab hier in voller Länge. So haben Sie noch die Chance, diese Veranstaltung wahrzunehmen.
Heiko Dietz schrieb mit »Gretes Traum« ein Stück über gescheiterte Ideen.
»Gretes Traum«: Der Traum ist aus
Heiko Dietz, Schauspieler, Regisseur und Leiter des theater … und so fort ist schon lange auch als Autor aktiv und hat seiner kleinen Bühne damit bereits einige Erfolge beschert. Durch etliche Krisen hat er sie in den letzten Jahren auch beherzt geführt und tut in der derzeitigen Pandemie, die durch Verbohrtheiten der bayerischen Staatsregierung und anderer politischer Gremien auch und besonders eine Krise der Kultur ist, alles, um das Theater in Sendling am Laufen zu halten. Bessere Hygienekonzepte und strengere Regeln als im Theater gibt es nirgends. Hier ballt man sich nicht wie im Supermarkt zusammen, sondern sitzt mit großem Abstand in bequemen roten Sesseln und vergisst für eine Weile mal das leidige C-Thema.
Verbohrtheiten gibt es auch in Dietz’ jüngstem Text »Gretes Traum« zuhauf. Bei Grete (Ute Pauer) handelt es sich anscheinend um eine Gefängnisinsassin, die seit 37 Jahren darauf wartet, draußen die Revolution fortführen zu können. Wegen der gewaltsamen Mittel, mit denen sie und ihre Weggefährten den Umsturz erzwingen wollten, landete sie in Isolationshaft. Und sieht anscheinend Gespenster. Denn so offensichtlich, wie es scheint, ist hier nichts. Wer ist die Frau, die da plötzlich auftaucht und ebenso abrupt wieder verschwindet? Will diese Anna Grete aushorchen? Ist sie eine ehemalige Weggefährtin? Jedenfalls bringt sie Informationen mit, die Grete ungläubig zurücklassen.
Ute Pauer streift an unsichtbaren Mauern entlang wie ein Panter im Käfig. Auf der niedrigen Bühne mit den grauen Stellwänden von Heinz Konrad, die ein wenig wie Sichtbeton aussehen, zirkelt sie rechtwinklige Räume ab. Und so durchgelaufen, wie ihre dicken Socken zu ausgefranster Hose und Pulli sind, scheint sie diese Gänge schon eine Ewigkeit zu machen. Auf Anna (Petra Wintersteller) reagiert sie ungläubig und dann feindselig. Sie sei doch vor 37 Jahren in einer Kiste rausgetragen worden, habe sich in der Zelle erhängt, oder etwa doch die Kronzeugenregelung? »Du warst doch schon immer das Messer im Rücken unseres Kampfes«, wirft sie ihr pathetisch vor und drischt auch sonst revolutionäre Phrasen, die an die RAF denken lassen. Da sind Assoziationen an Stuttgart-Stammheim und die damit verbundenen Verschwörungstheorien nicht weit.
Petra Winterstellers Spiel lässt noch eine andere Erklärung möglich erscheinen. Ihre Anna wirkt unnatürlich ruhig, immer ein wenig wie eine KI, die im Gespräch dazulernen muss. Zuerst starrt sie wie paralysiert, spricht stockend, als ob sie es verlernt hätte, auch davon, dass sie subjektiv sei. Oder doch ein Geist? »Ich denke dich, also sei da, was auch immer du bist«, beschließt Grete, ermüdet von der Isolation. Natürlich hat auch Sartre Pate gestanden, aber die Hölle sind hier vor allem die eigenen Verbohrtheiten. Und so mäandert »Gretes Traum« zwischen Gefängnisdrama, Science Fiction und existentialistischem Vexierbild, nicht ohne Seitenhiebe auf die Zumutungen der Gegenwart, und gleitet gelegentlich ins Thesenpapierhafte. Aber das haben politische Theorien wohl so an sich. ||
Gretes Traum
theater … und so fort | Hinterbärenbadstr. 2 | 29. Okt. bis 1. Nov.| 20 Uhr | Tickets: 089 23219877
Sie können uns mit einem Kauf im Online-Kiosk oder einer Spende über Paypal unterstützen. Danke!
Das könnte Sie auch interessieren:
Moby Dick: Stefan Puchers Inszenierung am Residenztheater
Freie Theater: TamS, Freie Bühne München, Hofspielhaus
Wet - The Show: Werner Buss' Abschied vom GOP Varieté
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton